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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Gnädige Frau,“ wandte er sich zu Frau Milden, „nach welcher Gegend wandten sich die, welche hier waren?“

Frau Milden hatte nur einen Blick schweigender Verachtung für ihn. Der Staatsanwalt sah es nicht, er war in seinem Amte.

„Herr Lieutenant, die Entsprungenen, die Sie verfolgen, waren vor einer Viertelstunde auf jener Höhe, dann hier im Gehölze, und können nur in jener Richtung, dem Gebirge entlang, ihre Flucht fortgesetzt haben. – Sind Ihre Gensdarmen der Gegend kundig?“

„Vollkommen, Herr Oberstaatsanwalt; eben so ich.“

„Nun, so müssen in spätestens einer Stunde die Flüchtigen in Ihren Händen sein – wenn Sie eilen.“

„Ah, Herr Oberstaatsanwalt,“ meinte der Officier, „großer Eile wird es kaum bedürfen. Die Entflohenen haben eine hohe Mauer der Festung ersteigen müssen. Dabei ist einer von ihnen gestürzt und hat sich erheblich verletzt.“

„Und welcher von ihnen?“

„Wir wissen es nicht. Wir sahen nur die Blutspur.“

„Um so besser, Herr Lieutenant. Sei es von den Beiden, welcher will, der Andere läßt den Verwundeten nicht im Stich. Ich wünsche Ihnen Glück.“

Der Officier und seine drei Gensdarmen sprengten in der Richtung weiter, die ihnen der Staatsanwalt angegeben hatte.

Die Ohnmächtige war erwacht. Sie hatte den letzten Theil des Gesprächs zwischen ihrem Gatten und dem Lieutenant gehört.

Sie schauderte. Frau Milden schloß sie fester in ihre Arme.

„Um des Himmels willen, verrathen Sie sich nicht.“

Der Staatsanwalt hatte gesehen, wie seine Frau die Augen aufschlug. Er nahete sich ihr.

„Leonore, gestatten Dir Deine Kräfte, aufzustehen?“

„Ich hoffe.“

„So bitte ich Dich, es zu versuchen.“

„Nicht doch,“ wollte Frau Milden Einsprache erheben.

„Ich bitte, gnädige Frau! Meine arme Frau hat Ihnen schon zu viele Last machen müssen.“

Er reichte seiner Frau die Hand. Sie konnte sich daran aufrichten. Sein Arm stützte sie. Dann wandte er sich wieder zu Frau Milden, zu den Andern. Er hatte kalt, gemessen, aber höflich gesprochen; so waren auch seine Bewegungen gewesen. So sprach und war er weiter.

„Gnädige Frau, nehmen Sie meinen und meiner Frau innigsten Dank. Nehmen Sie Alle unseren Dank für die Freundlichkeit, die Sie in den Tagen unserer gemeinschaftlichen Reise uns geschenkt haben. Wir müssen hier von Ihnen scheiden. Sie fragen mich, warum. Die Antwort, die ich Ihnen darauf zu geben habe, ist mir gewiß eine sehr schmerzliche. Es ist in unser Beisammensein ein Mißton getreten, der uns ferner nicht mehr beisammen duldet. Die Schuld ist nur auf meiner Seite. Aber machen Sie mich nicht zu sehr verantwortlich für sie. Schon das Amt des Criminalrichters wird als ein schweres betrachtet; man will nur gar zu oft und gar zu gern dem Manne, der es trägt, Härte des Herzens zuschreiben. Der Staatsanwalt, der öffentliche Ankläger der Verbrechen, hat eine noch schwerere, eine noch traurigere Pflicht zu erfüllen, und erfüllt er sie, wie Gewissen und Ehre es ihm vorschreiben, so ist er fast Allen der Mann der vollen Herzlosigkeit, man scheut, man haßt, man meidet ihn. Ich bin gewohnt, meine Pflicht streng, mit der äußersten Strenge zu erfüllen. Ich kann nicht anders. Ich habe vor Ihren Augen so eben einen Beweis davon liefern müssen. Ich lese in Ihren Blicken das Urtheil darüber. Wir müssen uns trennen. Leben Sie wohl.“

Er verließ, seine Frau am Arm, die Gesellschaft. Seine Stimme hatte gegen das Ende seiner Worte beinahe etwas wie ein leises Zittern verrathen. Er entfernte sich mit seinem gemessenen, festen Schritte. Seine Frau glaubte man an seiner Seite schwanken zu sehen. Ihr Gesicht hatte sie mit ihrem Taschentuche bedeckt. Frau Milden weinte, als sie gingen. Auch die Augen der Braut waren feucht. Die Männer standen ernst und stumm.

Der gutmüthige Herr Milden hatte zuerst wieder Worte.

„Hätten wir ihm nicht doch in Manchem Unrecht gethan?“

Keiner antwortete ihm.

„Heuchelei,“ fuhr er dann fort, „lag wenigstens nicht in seinen Worten.“

„Nicht gegen uns,“ bestätigte halb der Domherr.

„Sie meinen, er macht den Heuchler gegen sich selbst, Herr Domherr?“

„Nehmen Sie ihn, wie wir ihn sahen,“ sagte der Domherr.

„Er ist der Mann der heftigen, fast wilden Leidenschaft. Es ist ihm ein Amt übertragen, das nur der ruhigste, der besonnenste Mann ausüben sollte, in das kein Atom von Leidenschaft hineingetragen werden darf, und in dessen Tragen und Ausüben die Welt nur zu leicht Haß, Rache, Verfolgungssucht und so viele häßliche und verächtliche Leidenschaften sucht und findet. Er weiß das Alles, er kennt sich selbst. Wie nahe liegt es, wie natürlich ist es, daß er sich selbst einredet, er erfülle in Allem nur seine Pflicht, eine traurige Pflicht seines schweren Amtes; er erfülle sie ohne jegliche Leidenschaft, und wenn die Welt das Gegentheil behaupten wolle, er könne ruhig sein in dem Bewußtsein, daß er nur einen Eifer kenne, nur von einem Eifer beseelt sei, dem für das Recht. So ist er in der That in seinem Gewissen nur der Mann des strengen und unerbittlichen Rechts, und auch seine Bitte an uns war nicht unbillig; trägt er Schuld – und er trägt sie – machen wir ihn nicht zu schwer verantwortlich dafür.“

„Aber seine arme Frau?“ mußte Herr Milden fragen, der nach allen Seiten hin gutmüthig und mitleidig war.

„Onkel,“ trat sein Neffe an ihn heran, „ich werde in meinem Leben nicht wieder eifersüchtig sein.“

„Ah, Junge, Du siehst also, daß man Herr auch über die Eifersucht werden kann. Warum kann er es denn nicht? Warum quält er die arme Frau zu Tode?“

„Weil es schon zu spät ist!“

„Und weil sie auch vielleicht einige Schuld mit hat, mein Junge,“ fiel Herr Milden ein, der jetzt wieder die Partei des Staatsanwalts glaubte nehmen zu müssen.

Aber da mußte ihm seine Frau entgegentreten.

„Nein,“ rief sie, „sie ist das edelste, das reinste, das treueste Herz von der Welt.“

Herr Milden nahm Niemandes Partei mehr.

(Schluß folgt.)




Ein deutsches Etablissement in Baltimore.
Beitrag zur amerikanischen Cultur- und Industriegeschichte.

Kein Product hat für die Culturgeschichte der neuen Welt eine so große Bedeutung, als der Tabak. Wir wollen, um dies in’s rechte Licht zu stellen, nicht in die dunkeln Zeiten vor den großen oceanischen Entdeckungen zurückgehen, wo in Mexico die Azteken in großen und kleinen Gärten ihren Tabak zogen und daraus Cigarren rollten, oder das geliebte „Kraut“ aus seltsam gestalteten, bald Menschen, bald Thiere darstellenden Pfeifen rauchten, die sie auch in ihre Altarhügel legten und zuletzt als treue Gefährtinnen ihres Lebens in ihre Gräber nahmen. Ebensowenig wollen wir hier hervorheben, wie auch die Ureinwohner Nordamerika’s den Tabak schätzten und noch schätzen, wie sie, frömmere Raucher als wir, die ersten Wölkchen ihrer Pfeifen dem großen Geiste weihen und wie die Friedenspfeife (Calumet) in ihren völkerrechtlichen Verträgen unter einander und mit den europäischen Eindringlingen manchem blutigen Kriege ein Ende machte. Alles dies haben altspanische, französische und deutsche Schriftsteller weitläufig geschildert und damit bewiesen, wie wichtig der Tabak in der Culturgeschichte der neuen Welt ist. Unsere Aufgabe ist es nur, mit wenigen Worten anzudeuten, wie rasch der Tabak in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in dem großen nordamerikanischen Freistaate die Vorurtheile besiegte, die sich hier gegen ihn erhoben hatten, und wie er, selbst der Souveränetät der amerikanischen Damen zum Trotz, sich rasch nicht nur Duldung, sondern auch Anerkennung errang. Noch vor zehn Jahren konnte Friedrich Tiedemann in seinem trefflichen Werke über die Geschichte des Tabaks und ähnliche Genußmittel mit vollem Rechte schreiben:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 388. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_388.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2021)