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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

von Troja bis zum Wiedersehen des greisen Vaters Laertes folgen wir dem „herrlichen Dulder Odysseus, dem vielgereisten“; wir begleiten ihn zu den Kämpfen mit unwirthlichen Bewohnern fremder Küsten und dem tückischrohen Cyclopen, zur listigen Zauberin Kirke, in die Schrecken der Unterwelt hinab; wir sehen ihn dann, nachdem alle Gefährten umgekommen, einsam auf der Insel der Kalypfo und in den tobenden Fluthen des Meeres durch die Göttin Leukothea gerettet; wir folgen ihm auf das reizvolle Eiland der Phäaken und lauschen seiner Begegnung mit der Königstochter Nausikaa, wir geleiten ihn endlich zu seiner heimathlichen Felseninsel Ithaka.[1] Und mit dem unendlichen Wechsel der dargestellten Begebenheiten wechselt auch das Wesen der Landschaft, welcher hier weiter nachzugehen zwar sehr anziehend sein, aber doch zu weit führen würde.

Uns bleibt nur noch Eines zu sagen übrig. Wir gedenken des Umstandes, daß Goethe es war, der den Mann, dessen kernige Züge wir heute in gelungener Nachbildung den Lesern der Gartenlaube vorführen, bei den ersten Schritten auf seiner Künstlerlaufbahn mit Rath und That unterstützte, daß er es war, der ihm bei seiner ersten Reise nach Italien einen weisen Reisesegen bezüglich der beiden Meister Claude Lorrain und Poussin mitgab.[2] Und so wenig es uns beikommen kann, diese zwei so ganz verschiedenen Naturen zu vergleichen, so muß uns doch eine Aehnlichkeit zwischen Beiden auffallen. Wie Goethe im Verlaufe seiner ganzen Bildung sich der Antike mit immer größerer Vorliebe zuwendete, wie ihm insbesondere nach seiner italienischen Reise mit einem Zauberschlage das Verständniß der reinen Formenschönheit des Südens aufging, so sehen wir auch bei Preller, dem bildenden Künstler, einen ähnlichen Entwickelungsgang in den Odysseecartons zum Abschluß gebracht. Es giebt so Manche, welche bei Goethe über diese Wendung klagen und uns glauben machen wollen, seine deutsche Natur habe dabei Einbuße erlitten. Wir zählen uns nicht zu diesen Unzufriedenen; doch wollen wir hier nicht mit ihnen rechten. Aber wie dem auch sein möge: die Betrachtung von Preller’s Landschaften wird lehren, daß sein deutscher Sinn nur desto reiner und fester aus dem südlich-antiken Stoffe hindurchleuchtet. Gegenüber den meist schalen und schwachen Kunstprodukten unserer heutigen romanischen Zeitgenossen empfinden wir es mit Stolz, daß er der Unsere ist; wir können seinen Schöpfungen mit Recht nachrühmen, daß sie

Des Italieners feurig Blut,
Des Nordens Daurbarkeit

in sich tragen, und wir freuen uns, daß nicht erst eine gerechte Nachwelt, sondern schon die dankbare Gegenwart Friedrich Preller zu den ersten deutschen Künstlern rechnet.

J. C. 




Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 10. Netzflügler. Fliegen oder Zweiflügler.

Das Nationalgefühl, die Schaben in Rußland und Gogol’s „Todte Seelen“. – Libellen, Wasserjungfern und Schneider. – Ameisenlöwen. – Fliegen aller Art. – Schluß.

 Meine Herren!

Das Nationalgefühl ist ein schönes und edles Gefühl – es erhebt die Herzen und stählt das Vertrauen, indem es uns erlaubt, uns als Glieder einer großen Familie zu fühlen, von welcher wir wissen, daß sie den Wahlspruch hat und in’s Werk setzt: Einer für Alle – Alle für Einen! Ich lobe diejenigen, welche namentlich im Auslande das Banner ihres Volkes hochtragen, seine Ansprüche vertheidigen, seine Eigenschaften in glänzendes Licht setzen.

Wenn aber dies Nationalgefühl so weit geht, daß es blind macht gegen die Uebelstände und Fehler, welche bei jedem Volke wie bei jedem Menschen sich zeigen; wenn es so weit geht, Thatsachen zu leugnen und sogar von Anderen zu verlangen, daß diese ebenfalls unwahr sein sollen, damit ja nicht irgend ein Schattenflecken im Gemälde sich zeige; wenn es kitzlig wird, wie der Handwerksbursche in den Fliegenden Blättern, dem der Zeigefinger am Wegweiser eine Grimasse und einen Seitensprung abnöthigt: so ist es Zeit, solchen Ausschreitungen entgegenzutreten.

Ich erzählte in der vorigen Vorlesung von den Schaben und ihrer ungemeinen Häufigkeit in Rußland. Es konnte mir im Traume nicht einfallen, daß es Personen geben könne, welche sich in ihrem nationalen Ehrgefühl durch die naturgeschichtliche Thatsache beleidigt oder wenigstens gekränkt fühlen, daß es viel Schaben in ihrer Heimath gebe. Doch ist dies der Fall gewesen. Man hat mir vorgeworfen, ich übertreibe. Nachdem man mir zuerst die Existenz der Schaben rundweg abgeleugnet hatte, – versicherte man, nur in den niedrigsten Hütten gäbe es „Preußen“ und niemals in solcher Menge, wie ich behauptet hätte.

Es wird mir leicht sein, zu zeigen, daß ich da, wo ich nicht selbst gesehen, nicht selbst beobachtet habe, doch wenigstens nicht ohne Gewährsmänner in den Tag hinein geplaudert habe. Mir liegt gerade Gogol’s Roman „Die todten Seelen“ vor. Zur Zeit seines Erscheinens machte dies Buch in Rußland vielleicht noch mehr Aufsehen und jedenfalls mit größerem Rechte, als die Mysterien von Paris von Eugen Sue. Man staunte über die Wahrheit der Schilderungen, über die Feinheit der Beobachtungen, oft selbst über die Schroffheit, mit welcher die Dinge gesagt wurden; – man erkannte und erkennt jetzt noch allgemein an, daß niemals die Seiten des russischen Lebens mit solcher Treue, mit solcher unnachsichtlichen inneren Wahrheit gemalt worden seien. „Gogol,“ sagte ein Kritiker, „zog keine Glacéhandschuhe an, um mit zartem Finger die Wunden zu berühren – er schlägt oft mit der Bärentatze drein und wirft Regierung und Volk manche bittere Wahrheiten in’s Gesicht. Er ist ein glühender Patriot, der sein Vaterland liebt mit dem ganzen brennenden Enthusiasmus des Italieners, wie mit der hartnäckigen Beständigkeit des Nordländers, aber diese Liebe macht ihn gegen die bestehenden Fehler nicht blind.“

Nun, meine Herren, lesen Sie diesen Roman der Wahrheit und sagen Sie sich dann, wer Recht hat, ich oder diejenigen, die mir widersprechen. Lesen Sie die ersten zwei Seiten. Der Held der Geschichte kommt in dem ersten Gasthof der Gouvernementsstadt N. an. Der Kellner führt ihn in sein Zimmer. „Das Zimmer,“ sagt Gogol, „war ganz in der gewöhnlichen nur zu wohlbekannten Art. Der Gasthof entfernte sich in keiner Weise von dem wohlbekannten Typus der Gasthöfe in den Gouvernementsstädten, wo der Reisende für zwei Rubel täglich ein ruhiges Zimmer mit Myriaden von Schaben haben kann, die wie Pflaumen aus allen Winkeln hervorgucken.

Ich könnte Ihnen noch zwanzig ähnliche Stellen anführen, ziehe es aber vor, zu unserem Gegenstande zurückzukehren. Die naturwissenschaftliche Thatsache steht über der National-Eitelkeit, und wenn der Schweizer mir verbieten wollte, vom Schweizerbandwurm, der Creole vom Sandfloh, der Italiener vom Floh und der Isländer vom Blasenbandwurm zu reden, weil ihr nationales Haben dabei stark creditirt ist, so bliebe am Ende nichts übrig, als gänzlich zu schweigen, wie viele politische Schriftsteller es zu Zeiten der Censur thaten.

Wichtiger wohl erscheint ein anderer Vorwurf. „Sie sind am Ende Ihrer Vorlesungen,“ sagte man mir, „Sie haben alle Insecten behandelt, warum sprechen Sie nicht von den

Netzflüglern (Neuroptera)

Warum nicht, bei Gelegenheit der Schnaken, von den Wasserjungfern und Libellen, mit denen diese Thiere so viel Verwandtschaft besitzen?“

Ich gestehe, daß ich einigermaßen im Fehler bin; daß ich die Libellen wenigstens hätte erwähnen sollen. Aber ich fürchtete, in Weitläufigkeiten verwickelt zu werden, ich fürchtete, meinen Vorwurf nicht zu Ende führen, mein Versprechen nicht lösen zu können und,


  1. Denjenigen unserer Leser, welche sich beim Betrachten der demnächst auch photographirt erscheinenden Cartons über die einzelnen dargestellten Scenen genauer unterrichten wollen, empfehlen wir als willkommenen Führer eine kleine Broschüre: Friedrich Preller’s Odysseelandschaften, Leipzig 1863.
  2. Vergl. Eckermann, Gespräche mit Goethe.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_397.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)