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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Reboul’s Gedichten, Alexander Dumas, als er ihn besuchte und in seinem Bäckerladen in der Bäckerjacke fand. Noch bezeichnender aber ist es, wenn der Bäcker dem berühmten Schriftsteller sagt: „Ich bin Bäcker von fünf Uhr Morgens bis vier Uhr Abends. Wollen Sie Milchbrod, so bleiben Sie hier; – wollen Sie Verse, so kommen Sie diesen Abend wieder zu mir.“

Als Alexander Dumas Abends kam, fand er den Bäcker wieder im Laden. Dieser führte ihn dann auf den Speicher und zwischen Haufen von Weizen und Korn hindurch zu seiner Poetenstube. Auch die dann folgende Scene schildert Dumas, und sie ist bezeichnend genug, um wiedergegeben zu werden.

„So,“ sagte Reboul, indem er die Thüre hinter sich schloß. „Hier ist mein Heiligthum. Das Gebet, die Begeisterung, die Poesie nur haben das Recht, hier einzudringen. In dieser Kammer, die einfach ist, wie Sie sehen, habe ich meines Lebens schönste Stunden, die der Arbeit und der Träume, zugebracht.“ Das Zimmer war so einfach wie möglich, zwei Stühle, ein Schreibpult, ein elfenbeinernes Crucifix waren alles Geräthe; die ganze Bibliothek bestand aus zwei Büchern, der Bibel und Corneille.

Auch Dumas ließ die stille Frage: „Wie kommst Du dazu, zu dichten?“ endlich laut werden. Der Bäcker-Dichter antwortete: „Das Unglück hat mich dazu gebracht!“ Er hatte seine Geliebte durch den Tod verloren. „Diejenigen, die mich bis dahin umgeben hatten, suchten, anstatt mit mir zu weinen, mich zu trösten; meine Thränen flossen gegen das Herz zurück und überschwemmten es. Ich suchte die Einsamkeit und in Ermangelung einer Seele, die mich verstand, suchte ich Trost in Gott. Diese einfachen und gottgläubigen Klagen nahmen einen poetischen Charakter an; meine Gedanken bildeten sich eine Sprache, die mir selbst unbekannt war, und da sie, in Ermangelung einer gleichgestimmten Seele auf Erden, dem Himmel zustrebten, so gab Gott ihnen Flügel und sie stiegen zu ihm hinauf.“

Es liegt in diesem Auftreten des Dichters und Bäckers so viel Poesie wie Selbstschätzung, Selbstüberschätzung, so viel Tiefe wie oberflächliche Eitelkeit. Bezeichnend ist es dann ebenfalls, daß der legitimistische Dichter und Bäcker seine Gedichte von Lamartine und Alexander Dumas zugleich in die Welt einführen ließ; er war in der That ein Schüler Lamartine’s und – kokettirte doch ein wenig mit Alexander Dumas in der napoleonisch-republikanischen Richtung, die Letzterer vertrat.

Beide Gegensätze finden wir auch in seinen Gedichten wieder. Die große Mehrzahl derselben sind aus dem Samen aufgegangen, der durch die Winde aus den welkenden Blumen der Lamartineschen Treibhauspflanzen emporgetragen wurde. Sie sind schwungreich und schön, nur sind sie in dem weniger üppigen Boden des Bäckerkämmerleins lange nicht so voll, duftig, strotzend und farbenstrahlend, wie in den Warmhäusern der Lamartine’schen Prunkgärten. Im Geiste sind sie aber vollkommen dieselben: Weltschmerz, Gottbegeisterung, tiefes Bewußtsein der Verkommenheit des Tagesgetreibes und hoffnungsloses Hinübersehnen nach irgend etwas Besserem. Es fehlt das rechte Mark, die einfache Natur, der frohe Muth, das klare Wollen.

Der legitimistische Anflug des Südens liegt auf fast allen Blättern und Blumen. Auch diese Richtung deutete Reboul in dem Gespräche an, welches er mit Alexander Dumas in seinem Dachstübchen führte. „Sie sind kein Royalist, ich weiß es,“ sagte er dem zukünftigen Historiographen Garibaldi’s, „aber Sie sind religiös. Denken Sie sich also, was es heißt, die heiligen Bilder, zu denen Euch als Kinder Eure Mütter führen, um zu denselben zu beten, umgeworfen, unter die Hufe der Pferde getreten, in den Koth geschleppt zu sehen. – – O, wenn ich nicht die Poesie, um zu klagen, und die Religion, um mich zu trösten, gehabt hätte, was wäre aus mir geworden, o mein Gott!“

In diesen paar Aeußerungen liegt der ganze Mensch und liegen auch alle seine poetischen Ergüsse. Sie sind sämmtlich Variationen über dasselbe Grundthema. Schön aber sind sie mitunter, recht schön, und so wollen wir denn wenigstens eins davon in freier Verdeutschung mittheilen. Es heißt:

 Meine Leier.

Für Wahn wird heute die Vernunft gehalten,
Des Brandes Fackel für ein leuchtend Licht,
Und eh’ die Ströme des Vulcans erkalten,
Hebt sich an seinem Fuße Schicht um Schicht

5
Der Bau des Hochmuths! Was soll dir dies frommen,

O Leier? Nichts! Du bist von Gott gekommen!

Schon fühlt die Macht, wie ihr die Kraft ermattet,
Die Hände zittern und der Glanz verblaßt –
Und droben hängt, von Trauer überschattet,

10
Die stolze Fahne regungslos am Mast.

Kaum sind die letzten Wetter wild zerstoben,
Droht neues Blitzgewölk, bereit zum Toben.

Was kümmert’s mich, wenn solche Eintagsmächte
Der Alltagsmensch als seine Götter ehrt?

15
Er ist ein Knecht, und es gefällt dem Knechte,

Daß er den Staub vor jedem Tempel kehrt.
Der Götze, den er heute will zertreten,
Wie oft lag er vor ihm in brünst’gem Beten!

Die Geißel nur lehrt ihn den Meister kennen,

20
Nur in der Geißel achtet er den Herrn;

Und heute wird er den Verräther nennen,
Der gestern noch als Brutus war sein Stern,
Und den er gestern in den Staub gezogen,
Dem baut er heute des Triumphes Bogen!

25
Und darum ist es Dein Beruf geworden,

O meine Leier, Deines Zorns Orkan
In donnernden gewaltigen Accorden
Zu schleudern gegen solchen Doppelwahn!
Gedenke stets des Himmels, meine Leier!

30
Du kommst von ihm, nur ihm ist Deine Feier!

Und um dieses Bewußtseins willen, daß seine Leier vom Himmel komme, um des hohen Berufes willen, den er für sich in Anspruch nahm und den er mit keiner Sylbe verleugnet hat, widmen auch wir ein ehrendes Andenken dem edlen Arbeiter, der für uns eben so hoch steht wie Lamartine, in der That unendlich viel höher, da er seine Backstube nicht verließ, sondern der Arbeit – und nicht dem Heller Belisar’s – das Brod in hohem Alter dankte.

Reboul war der würdige Schüler Lamartine’s. O, warum konnte der Meister vom Schüler nicht lernen, der Arbeit allein zu danken, was das Leben bedarf! Dem Schüler aber gebührt ein reines Denkmal; wir zollen unsern bescheidenen Beitrag dazu.

J. Venedey. 




Blätter und Blüthen.


Grisettentreue.[1] Durch die vielen Veränderungen, Umwälzungen und Neubauten, die gegenwärtig in Paris vorgenommen werden, verliert die große Stadt nicht nur eine bedeutende Anzahl interessanter historischer Erinnerungen, sondern büßt auch den eigenthümlichcn, charakteristischen Reiz ihrer Physiognomie nach und nach ein. Jenes ursprünglich pariserische Gepräge, das sich in Dingen, Erscheinungen und Persönlichkeiten aussprach, die eben nur in Paris und für Paris möglich waren, geht allmählich verloren und fällt der Tradition anheim. Zu diesen entschwundenen Typen gehören auch die „Grisetten“. Dieses zierliche, heißblütige, gutherzige Geschlecht ist leider ausgestorben, man findet die gazellenartigen Geschöpfe nicht mehr; sie sind dahin, die Heldinnen der vielgelesenen Romane von Paul de Kock!

Dagegen ist die Zunft der „Loretten“, der „Biches“, der „Cocottes“, der „Dames aux camélias“ aufgetaucht; diese glänzenden, geschminkten und höchst eleganten Damen bieten aber einen sehr kläglichen Ersatz für ihre liebenswürdigen Vorgängerinnen. Sie sind im höchsten Grade unpoetisch, von empörender Berechnung, lieben den Müßiggang und sind durch und durch verdorben. Dagegen waren die Grisetten arbeitsam wie die Bienen, leichtsinnig wie die Schmetterlinge, durchaus uneigennützig, treu in ihren Neigungen und Freundschaften, schöner und edler Regungen fähig. Ich denke, in der folgenden kleinen und wahrheitsgetreuen Geschichte ein siegreiches Argument für meine Vorrede zu liefern.

Mein Freund Alfred Derval, Sohn eines hochgeachteten Notars in der Provinz, kam vor etwa zehn Jahren als achtzehnjähriger Mensch hier her nach Paris, um seine Rechtsstudien an der Sorbonne zu vollenden. Er miethete eine kleine bescheidene Wohnung im Quartier Latin, jenem interessanten Stadtviertel, das fast ausschließlich von der hoffnungsvollen studirenden Jugend bewohnt wird. Nachdem er sich in seinen anspruchslosen Räumen einigermaßen eingerichtet hatte, öffnete er sein Fenster in der Absicht, die Nachbarschaft ein wenig zu recognosciren. Zunächst wurde sein Ohr sehr angenehm berührt durch den Klang einer frischen, jungen Stimme, die ein kleines Lied, das damals gerade in Aufnahme war, lustig zwitscherte. Natürlich suchte Alfred sogleich das Singvögelchen zu entdecken, das sich so harmonisch vernehmen ließ. Sein Suchen blieb nicht lange fruchtlos, denn


  1. Aus derselben frischen Feder wird die Gartenlaube ihren Lesern fortan in regelmäßigen Bildern und Skizzen das Interessanteste aus dem öffentlichen und socialen Pariser Leben vorführen. D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_431.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)