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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Vorbereitungen für den morgenden Sturm. Da ward gegraben und geschanzt, wurden Balken und Faschinenbündel herangetragen, um daraus Pulverkammern und Ausfallstufen zu bauen. Auch schleppte man Woll- und Heusäcke, Matratzen und Sandkarren herbei, um die erwarteten Wolfsgruben und spanischen Reiter der Feinde, auf welche man sich in besonderen Exercitien vorbereitet, unschädlich zu machen. Die Ausfallstufen bestehen aus Planken und Faschinenbündeln, die man in terrassenförmigen Absätzen übereinander schichtet, und auf denen die Sturmcolonnen, sobald der Angriffsmarsch ertönt, in geschlossenen Reihen hervorbrechen.

Während die Leute wacker arbeiteten, fielen plötzlich und gleichzeitig zwei Bomben in die Parallele. Die eine crepirte schon in der Luft und kam in einem Hagelschauer von Sprengstücken hernieder, vor denen die Arbeiter sich schnell zu Boden oder zur Seite warfen. Die andere Bombe dagegen wühlte sich tief in die Böschung und warf dann einen Regen von Erdklumpen und Eisenstücken in die Höhe und nach allen Seiten. Eines der Sprengstücke traf einen armen Infanteristen mitten in die Brust, worauf er, den Spaten in der einen, das Gewehr in der andern Hand, kopfüber stürzte und sich krampfhaft stöhnend umherwälzte. Man rief nach einem Arzte, aber ehe dieser ankam, war schon ein katholischer Priester bei der Hand. Er reichte dem Sterbenden die letzte Oelung, und dieser verschied in seinen Armen. Dann kamen die Krankenträger, die am rechten Arm eine rothe Binde tragen, luden den Todten auf eine Bahre und schaufelten ihm in der Nähe die letzte Wohnung.

Otto Glagau. 




Berlin bei Nacht.
Ein Beitrag zu den Geheimnissen der Residenz.
Von Franz Wallner.

Ein Schrei des Entsetzens scholl durch ganz Berlin, als am 19. April d. J. früh Morgens am Sperrbalken, zwischen dem Stralauer- und Frankfurterthor – dem sogenannten Oberbaum – ein blutiger Sack entdeckt wurde, der die furchtbar verstümmelte Leiche des Prof. Gregy, einer bekannten Persönlichkeit, enthielt, und unverkennbare Spuren auf einen inmitten der Stadt begangenen Raubmord hinwiesen. Fast schien es, als ob die rastlose Thätigkeit der Stützen der Berliner Criminalpolizei[1] zur Erforschung der Urheber des gräßlichen Verbrechens fruchtlos sein sollten; Tag um Tag verging, und weder die beispiellose Aufopferung der Gerichtsbeamten noch die ausgesetzte hohe Belohnung des Polizeipräsidiums für den, der auf die Spur der Thäter leiten könne, brachte das geringste Licht in das grauenvolle Dunkel. Die Erzählungen der Einzelnheiten des schauerlichen Vorfalls bildeten das Tagesgespräch vom Palast bis zur Hütte. Vergebens die successive Erhöhung des ausgesetzten Preises für die Entdeckung der Mörder, vergeblich die rastlose Mühe der routinirtesten Criminalcommissäre; es schien, als ob die Nacht, welche das Verbrechen erzeugt, einen ewigen dichten Schleier über dasselbe ausgebreitet habe. Auch durch das öffentlich an den Anschlagsäulen befestigte photographische Bild des Ermordeten, in seiner gewöhnlichen Kleidung, konnte nicht ermittelt werden, wo das Original die letzten Lebensstunden zugebracht habe.

Allein Blut schreit um Licht, und der Mord will an den Tag, und so kam es endlich dahin, daß man inmitten der Stadt ein vollständiges Raubnest entdeckte, in welchem der unglückliche Franzose, freilich nicht ohne eigenes Verschulden, sein grauenvolles Ende finden sollte.

Das Weitere in diesem Drama haben die sämmtlichen Journale ausführlich geschildert, und die letzten Acte vor den Assisen und dem Schaffot werden wohl nicht lange auf sich warten lassen. Dies Ereigniß hat aber gezeigt, in wie vielerlei Gestalten sich in großen Hauptstädten das Verbrechen vor dem Auge der Gerechtigkeit verbirgt, in wie viele Stufen die Schlupfwinkel zerfallen, in welche die Feinde der Gesellschaft flüchten.

Vielleicht brauche ich darum den Leser der Gartenlaube nicht um Verzeihung zu bitten, wenn ich ihn auf einen Moment in diese Regionen einführe, in welche nur selten ein flüchtiger Blick dringen kann; denn es ist nothwendig, durch diese entsetzliche Nachtseite im Leben unserer modernen Großstädte sich von Zeit zu Zeit recht eindringlich daran mahnen zu lassen, welche furchtbare Schatten sich hinter dem blendenden Glanze unserer heutigen Civilisation verstecken, wie fern das Ziel noch liegt, welches die menschliche Gesellschaft anzustreben hat.

Berlin hat eine Reihe anrüchiger Locale, wo sich der Leichtsinn, die Prostitution und das Verbrechen breit machen und – verstecken, Plätze, welche das scharfe Auge der Sitten- und der Sicherheitspolizei unablässig beobachtet. Von den goldstarrenden, lichtumstrahlten Balllocalen: Musenhalle, Orpheum, Ballhaus etc. etc. bis zu den elendesten Tanzkneipen herab, stehen alle diese Locale unter der strengsten Controlle. Nur selten verirrt sich der schwere Verbrecher in die glänzenden Räume des wirklich höchst geschmackvollen Orpheums oder in die Musenhalle; nur der Lehrling der Gesetzwidrigkeit, der junge Kaufmannsdiener, der bereits Eingriffe in die Casse seines Herrn versucht, und der feine, raffinirte Gauner verkehren hier mit den eleganten, aber für Jeden zugänglichen Dirnen. Der Officier, welcher die Uniform mit der Civilkleidung vertauscht, um im bunten Gewühle unerkannt eine kleine Orgie zu feiern, der Fremde, den der etwas mehr als zweideutige Ruhm dieser Locale dahin lockt, das sind neben jenen die Elemente, aus denen das Publicum derselben zusammengesetzt ist.

Das Orpheum hat alle die zahlreichen ähnlichen Etablissements der preußischen Hauptstadt durch den wirklich märchenhaften Glanz seiner Ausstattung weit überflügelt; namentlich kann der Garten mit seinen tausenden von geschmackvollen Gaskörpern mit Mabille und Chateau des fleurs in Paris siegreich in die Schranken treten. Schade, daß dieser behagliche Aufenthalt dem eigentlichen anständigen Publicum Berlins eine terra incognita bleiben muß.

Einen gewaltigen Sprung machen wir, wenn wir uns in die Kürassierstraße, in die sogenannte „Kitzelpelle“ begeben, ein Local, welches in letzterer Zeit nicht mehr den bösen Ruf verdient, in dem es steht. Früher bestand das Stammpublicum dieses Tanzlocals notorisch fast gänzlich aus Verbrechern, Dieben, Einbrechern, Fälschern, Dirnen der untersten Classen und allenfalls den in der Nähe arbeitenden Fabrikmädchen. Sogar das Orchesterpersonal war aus bestraften Subjecten zusammengesetzt. Ueber der Casse prangte eine Tafel mit der an diesem Orte ungemein burlesk wirkenden Inschrift: „Vor Taschendieben wird gewarnt“. Bei einem plötzlichen Ueberfall der Polizei, der sich öfter ereignete, als den Besuchern lieb war, fand man den Boden bedeckt mit rasch weggeworfenen Nachschlüsseln, Dietrichen und anderen Diebswerkzeugen. Jetzt ist das Publicum dort schon mehr gemischt; es finden sich ab und zu einige ehrliche Elemente aus den unteren Ständen ein, Handwerksbursche und ihre Mädchen, die, in der Absicht sich um jeden Preis zu amüsiren, sich im frohen Kreise herum wirbeln – den Mittelpunkt dieses Kreises bilden freilich noch Polizeibeamte von der Criminal- und Sitten-Abtheilung, theils in Uniform, theils in Civil. Ein Genremaler könnte hier die wirksamsten Studien machen, hier wo die wahrste Gleichberechtigung herrscht und die rauschende Seidenrobe in friedlichster Eintracht neben dem ärmlichsten Kattunkleide walzt und polkt. Der eigentliche schwere Verbrecher verkehrt jetzt hier selten, er wohnt entweder bei der „Seinigen“ oder er sucht, zu einem beabsichtigten Fang, seine Gesinnungs- und Geschäftsgenossen an einsameren Orten auf, wo das Auge der Sicherheitsbehörde weniger belästigend sein Treiben verfolgt, wo er mit Muße die Stunde abwarten kann, in welcher sein Nachtwerk beginnt. Der routinirte Gauner wendet sich nach Mitternacht den sogenannten „Kaffeeklappen“ und nächtlichen Conditoreien zu, die erst nach zwölf Uhr geöffnet werden und wo er bei einer Tasse sogenannten Moccakaffees, der sechs Pfennige kostet, Gelegenheit hat, seine Operationspläne mit den Cameraden zu verabreden und ersteren die frische That folgen zu lassen.

Diese Kaffeeklappen an der Königsmauer, am Oranienburgerthor und anderen wenig besuchten Orten dienen dem Verfolgten auch zuweilen als Asyl. Ein sehr ergötzliches Intermezzo bildete


  1. Die intelligenten Criminalbeamten Pick, Weber und Bornemann.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_456.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2021)