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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die todte Eva.
Historische Mittheilung aus dem Hofleben früherer Tage. Von George Hiltl.

Es war im Jahre des Heiles 1532.

Hinter dem Fenster des Erdgeschosses eines entlegenen Hauses auf dem Altenwiek zu Braunschweig war am Abende des heiligen Cyprianstages noch spät heller Lichtschein zu erblicken. In dem Zimmer, von dessen Fenster aus jener Schein strahlte, ging ein Mann unruhig auf und nieder. Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und schien nachzudenken. Seine ganze Erscheinung, sowie seine Kleidung ließen in ihm den Künstler erkennen. Es war Andreas Siemon, der Bildschnitzer von Braunschweig, ein sehr geachteter und in seiner Kunst hochberühmter Mann, durch dessen Hände gar manche Kanzel und Kirche, manches Schloß und viele Privathäuser ihre Zierrathen erhalten hatten.

Als die Glocken Mitternacht anschlugen, trat der Meister zum Fenster und drückte die Stirn gegen die Scheiben. Seine Augen suchten draußen Etwas zu erspähen. Umsonst! Die Dunkelheit war allzu groß. Dagegen vernahm sein Ohr den Hufschlag von Rossen, welche die Gasse heraufzukommen schienen. Es währte auch nicht lange, so hielten Reiter vor dem Thore des Hofes, der des Meisters Haus von der Gasse trennte. Siemon ging eilig aus dem Zimmer, überschritt den Hof und öffnete das Thor. Der eine der beiden Reiter war schon abgestiegen, der noch Aufsitzende hielt das ledige Pferd. Siemon reichte dem Abgestiegenen die Hand und führte ihn, leise die Treppe voransteigend, in das Zimmer, dessen Fenstervorhänge er schloß. Der Ankömmling warf Mantel und Kappe ab. Er zeigte sich als schönen, stattlichen Mann, den das spanische Wammes und die hohen Reitstiefel trefflich kleideten. Ein herrlich gearbeitetes Waidmesser hing in goldener Fangschnur an seiner Linken, und dicke silberne Sporen klirrten an seinen Füßen.

„Willkommen, Herr Herzog!“ redete Siemon den Fremden an, „wollet Euch ein wenig niedersetzen in meiner schlechten Behausung und dann mir Eueren Wunsch oder Befehl mittheilen, den zu vernehmen ich Euch heute erwartete.“

Der Gast des Meisters war Niemand anderes als Herzog Heinrich der Jüngere von Wolfenbüttel, ein unruhiger, lebendiger und verwegener Herr, des Herzogs Heinrich von Würtemberg, dessen Tochter Maria er geheirathet hatte, nicht geliebter Schwiegersohn; ein Feind der neuen Glaubenslehre, zu welcher sich die Häupter des schmalkaldischen Bundes, die Verwandten seines Hauses und seiner Gattin bekannten.

„Mein Besuch soll bald beendet sein, Meister,“ entgegnete der Herzog, „sehet zu, daß wir ungestört sind.“

„Wir sind es, gnädiger Herr, mein Hausgesinde liegt in tiefem Schlafe. So habe ich es eingerichtet.“

„So höret. Ich komme Euere Kunst in Anspruch zu nehmen. Ich habe ein Spiel vor, das Niemand wissen soll. Haltet reinen Mund, und meine Gunst wird Euch bleiben. Ihr wißt, daß ich Euch stets hervorgezogen und Eueren Meißel viel beschäftigt habe.“

„Ihr könnt auf mich zählen, gnädiger Herr.“

„Ihr sollet mir also ein Bild fertigen. Das Bild soll aussehen, als schlafe es. Es muß eine Holzfigur sein, aber malet das Gesicht fein an, gleich als wäre es das Antlitz eines schlafenden oder verstorbenen Menschen. Auch sorgt dafür, daß Ihr das Gebild auf den St. Michaelstag fertig habt.“

Siemon stutzte.

Darauf aber sank das Gespräch der Beiden zu einem leisen Geflüster herab, also daß man davon nichts mehr verstehen konnte.

Nach einer Weile drückte der Herzog dem Meister die Hand und verließ dessen Haus. Bald waren die Hufschläge der davontrabenden Rosse verhallt; Siemon löschte seine Lampe und warf sich, nachdenklicher geworden, auf sein Lager. –

Am St. Michaelstage wandelte ein Mann durch die Laubgänge des herzoglichen Schloßgartens zu Wolfenbüttel. Ueber seinen Kleidern trug er eine weite Sammetschaube, unter welcher ein ziemlich großer Gegenstand versteckt schien. Nachdem er sorgfältig hin und her gespäht hatte, erblickte er endlich den Herzog Heinrich. Schnell eilte er auf ihn zu. Heinrich befahl ihm einen Augenblick zu verziehen und ging zwischen den Gebüschen hindurch zu einem Seitenthurme des Schlosses. Siemon folgte, erstieg hinter dem Herzoge eine Schneckentreppe und trat fast mit ihm zugleich in das kleine Gemach, welches Heinrich „sein Stüblein“ nannte. „Gebt schnell her! laßt mich sehen!“ sagte der Herzog.

Siemon schlug die Falten der Schaube zurück und enthüllte dann einen noch mit Tüchern bedeckten Gegenstand. Es war eine trefflich geschnitzte und bemalte Büste. Sie zeigte ein ruhendes Haupt, dessen Augen geschlossen, dessen schwarze Haare aufgelöst waren. Ohne zu wissen warum, hatte der Meister dem Gebilde einen schmerzlichen, wehmüthigen Charakter gegeben.

Herzog Heinrich erschöpfte sich in Lobeserhebungen. Er zahlte dem Meister zwölf schwere Goldgulden auf den Tisch, öffnete dann einen unter seinem Sitzbette angebrachten Kasten, legte das Holzbild behutsam hinein und schloß die Lade.

Erst als es dunkelte, erlaubte er dem Meister den Thurm zu verlassen. Siemon kehrte nach Braunschweig zurück. Alle Ueberbleibsel der geheimnißvollen Bildhauerarbeit hatte er sorgfältig vernichtet.




Am St. Michaelstage herrschte in dem Hoflager zu Wolfenbüttel große Freude. Mit strahlendem Antlitze sah man die Herzogin Maria durch die Gemächer schreiten. Sie war heute herablassend und zutraulich gegen das Gesinde, während sie doch schon geraume Zeit mit Niemand gütig gesprochen oder ihrer Umgebung anders als mit finstern Blicken, argwöhnischem Lächeln und kurzen Worten entgegengetreten war.

Und der Grund dieser plötzlichen glücklichen Veränderung? Tags zuvor hatte das Kammerfräulein Eva von Trott ihre Entlassung vom herzoglichen Hofe begehrt; daher die Freude Maria’s und die Umwandlung ihres ganzen Wesens. In der That hatte die Herzogin alle Ursache sich zu der Entfernung des Kammerfräuleins Glück zu wünschen.

Eva von Trott, die Tochter eines hessischen Edelmannes von Verdienst und alter Familie, die Schwester des kurbrandenburgischen Marschalls von Trott, war mit kurzen Worten die Geliebte des treulosen Gatten der unglücklichen Marie, Herzog Heinrich’s des Jüngeren von Wolfenbüttel. Freilich war die Störerin des ehelichen Friedens eine mit allen Reizen der Jugend und Schönheit ausgestattete Dame. Die Urkunden und Belege für diese seltsame Geschichte sind nicht allzu zahlreich, und da kann man denn auch Manches nur muthmaßen. So scheint es fast, als habe der Herzog bereits vor seiner Heirath das innige Verhältniß mit Eva gehabt, denn er hat sie sich von ihrem Vater als Hofdame seiner Gattin erbeten.

Da Herzog Heinrich nicht gewöhnt war seinem Willen Zügel anzulegen, so entstand sehr bald ernster und gefährlicher Unfrieden in der fürstlichen Ehe, den ein unkluges Benehmen der Herzogin, die sich zur Schlichtung des Streites an ihren Vater wendete, noch steigerte.

Eva von Trott hatte dem Herzoge vom Jahre 1524 bis 1531 drei Kinder geboren.[1] Die Folgen ihrer Fehltritte wußte das Paar schlau genug zu verbergen. Unter dem Vorwande eine Reise thun zu müssen, verließ Eva jedesmal den Hof.

Tief unten am Westende des Harzgebirges liegt auf hohem Kalkfelsen die Burg Staufenberg. Versteckt zwischen Wald und Buschwerk, von einsamen Forsten umgeben, durch hohe Mauern abgeschlossen, in jener Zeit namentlich schwer zu erreichen, bot das alte Schloß einen sichern Versteck für Liebe oder Verbrechen dar. Das Verhältniß des Herzogs konnte hier ungestört fortdauern, und so nahmen denn die Hallen der Staufenburg die schöne Sünderin in ihren Schutz, so oft Gefahr drohte, daß der Zustand der herzoglichen Geliebten den Späheraugen der Hofleute nicht entgehen könne. Nach einigen Monden erschien sie dann wieder bei Hofe. Mit diesen Geheimnissen waren eine Menge größtentheils niedriger Persönlichkeiten vertraut, welchen sich der Herzog hatte in die Arme werfen müssen; muthmaßlich war ihr Schweigen durch große Opfer erkauft worden.


  1. Das erste, ein Sohn, ward auf den Namen Theuerdank getauft. Die beiden andern Kinder, Töchter, führten den Namen Zifra. Die älteste starb bereits elf Wochen nach der Geburt. Theuerdank endete später in Dürftigkeit und ist verschollen. Laut Aktenstückes d. d. 15. Januar 1542, Wolfenbüttel, zeigen die Räthe daselbst an, daß er mit einem Heizer entlaufen sei und im Kloster zu Hardenberg gebettelt habe.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_488.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)