Seite:Die Gartenlaube (1864) 494.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Aus den Landen des befreiten Bruderstammes
Nr. 2. Ein Besuch bei der dänischen Feldwache. – Das Auswerfen der dritten Parallele.
Von einem preußischen Soldaten.

In den letzten Wochen der Belagerung der Düppeler Schanzen war das Verhältniß der dänischen und preußischen Vorposten ein recht freundschaftliches geworden, so zwar, daß man am Tage leicht vergessen konnte, es sei Krieg, wenn nicht die gezogenen Vierundzwanzigpfünder unsererseits und die aus glatten Röhren geschleuderten Vierundachtzigpfünder dänischerseits in sehr verständlicher Sprache das Wort „Krieg“ gedonnert hätten.

So in der frühen Morgenstunde, wenn die Sonne eben aufgegangen, war im Allgemeinen die Zeit, in welcher, freilich gegen die Vorschriften der Vorgesetzten, ein heimlicher Verkehr unter den beiderseitigen Vorposten stattfand.

Lassen Sie mich Ihnen von einem Besuche, den ich einer dänischen Feldwache machte, erzählen.

Es war das letzte Mal, als mein Truppentheil vor der Erstürmung auf Vorposten lag. Ich hatte gegen Morgen Dienstgeschäfte in einer Nebenfeldwache und mußte an unseren Postenlinien entlang meinen Weg nehmen. „Herr …,“ sagte mir, als ich auf demselben Wege zurückkam, ein vorgeschobener Posten, „da drüben steht ein Kerl, der mir schon seit längerer Zeit zuwinkt, zu ihm zu kommen. Sehen Sie, da kommt er wieder hinter dem Knick hervor.“

So war’s. Der Danske sieht anfänglich ein Weilchen zu uns herüber, dann kommt er näher und das bereits avertirte Winken beginnt. „O,“ denke ich, „die Nacht war wieder recht hübsch frostig, und sie haben da drüben am Ende Warmbier bereitet, wovon ich schon so viel gehört; da wäre ein Trunk zu dieser frühen Morgenstunde für den preußischen Soldatenmagen, der während der Nacht eben nichts empfangen hatte, als schlechten Rum und ein wenig Commißbrod, so übel nicht; ich gehe hinüber.“

„Und kommen Sie in einer halben Stunde nicht zurück, holen wir Sie.“

„Gut, mein Junge.“

Ich mag wohl, als ich wenige Schritte von dem Dänen entfernt war, etwas langsamer gegangen sein; es war doch ein ganz eigenes Gefühl, das mich in dem Augenblick ergriff, als ich einsah, ich war in der Gewalt des Feindes, und zwar mit meinem Willen. Der dänische Posten mochte mein Zögern bemerkt haben; er kam mir freundlich lächelnd entgegen, und mir die Hand reichend, sprach er in gutem Deutsch mit schleswig-holsteinischem Accent: „Kommen Sie nur ohne Zagen; sehen Sie, dort hinter der Hecke ist unser Officier und die Feldwache, ich werde bald abgelöst und komme dann auch hinein.“

Ich ging nach dem bezeichneten Platze; da sah’s denn recht bunt und geschäftig aus. Etwa dreißig Mann und ein Officier saßen und lagen in bunter Gruppe in einem großen Loch um ein Feuer, an welchem in zwei Kesseln eine gelbliche Flüssigkeit schäumte und brodelte.

„Guten Morgen, Cameraden.“

Jeder erwiderte meinen Gruß, jeder streckte mir seine Hand entgegen, nirgends Überraschung über mein Kommen, ich fühlte mich von den Feinden bewillkommnet, wie von den herzigsten Freunden.

Das Regiment, welchem jene angehörten, hatte längere Zeit in Holstein gelegen und aus diesem Grunde war es fast Allen möglich, sich mit mir zu verständigen.

Ich stellte mich dem Officier vor, er sprach im besten Hochdeutsch, wenn auch äußerst artig, doch immerhin etwas zurückhaltend mit mir. Allein das gab sich gar bald, er wurde herzlich und zutraulich, als einer seiner Leute zwei Becher mit jenem vorhin erwähnten dampfenden Stoff gebracht und ich auf die Bitte, sein Gast zu sein, auf seinem Plaid Platz genommen hatte und mit ihm Schiffszwiebacke aß, die ungefähr um so viel die unsern übertreffen, als Biscuit das schwarze Brod, und das erquickende Warmbier trank. Da gab’s so vieles zu erzählen, was von gegenseitigem Interesse war, nur des Krieges wurde mit keinem Worte gedacht, weder von meiner noch von seiner Seite – weshalb, ist wohl klar.

Fast ganz zuletzt, als ich mich bereits anschickte, wieder zu den Meinen zurückzukehren, verleitete mich der Anblick eines schwarzen Flors um den linken Arm des Officiers zu der Frage, ob er wohl Verluste ihm nahestehender Personen erlitten habe. „Ja,“ sagte er mit einem tiefen Aufathmen, „mein junges Weib wurde kürzlich, als Ihre Batterien Sonderburg bombardirten, wohin sie mir aus Kopenhagen gefolgt und welches sie meinethalb nicht verlassen wollte, von einer Kugel in ihrer Wohnung getödtet.“ Ein längeres Schweigen beiderseits; großer Schmerz wie große Freude haben keine Worte. – Da plötzlich hebt er das große blaue Auge, in welchem, wenn ich nicht sehr irre, etwas wie eine Thräne glänzte, zu mir auf. Durch das Naß der Thräne aber blitzte und loderte ein wildes Feuer.

„Sehen Sie, mein Camerad, daß ich Sie, selbst in dieser kurzen Zeit und obschon Sie mein Gegner sind, lieb, recht lieb gewonnen habe, werden Sie wohl erkannt haben, Ihre Nation aber, das ganze deutsche Volk, hasse ich mit aller Leidenschaft meiner Seele, wie man nur zu hassen vermag; diese ganze deutsche Nation, die mit frecher Hand uns unser Eigenthum zu entreißen gekommen ist, ihr werde ich bis zum letzten Athemzug entgegenkämpfen, und wie ich denkt jeder brave Däne. Aber schauen Sie da hinauf nach unseren Werken, die, wenn auch zerwühlt und zerrissen von der Unzahl Ihrer Geschosse, doch noch Hunderten und Tausenden den Tod bringen werden. Das glaube und darauf vertraue ich fest, daß sie niemals in Ihre Hände kommen, auch wenn Sie noch so lange davorlägen. Sollte es aber den kolossalen Massen gelingen, bis in die Ruinen zu gelangen, dann glauben Sie mir, werden auch alle diese Massen neben den todten Vertheidigern durch die letzten Lebenden derselben ihren Untergang, ihr Ende finden. Dänemarks Kampf ist ein verzweifeltes Streiten für sein gutes Recht, gegen die Uebermacht, und Verzweiflung vermag viel.“ Er reichte mir die Hand: „Leben Sie wohl, mein lieber Camerad!“

„Auf Wiedersehen,“ sagte ich.

Noch hier und da ein freundlich Wort, ein kleines Angedenken dem und jenem, noch einen Schluck aus dem „Büttel“ jenes Mannes, der mich zuerst hinübergewinkt, und die geflüsterten Worte: „Ich bin Schleswiger, aus Apenrade, heut’ Abend komme ich hinüber!“ und ich hatte die dänische Vorpostenkette hinter mir. Die preußischen Cameraden aber waren eben im lebhaftesten Gespräch über die Mittel, mich am bequemsten wieder von den Dänen abzuholen, sie meinten mich mit Gewalt zurückgehalten.

Einige dreißig Stunden später war kein Däne bewaffnet mehr auf dem Festlande Schleswig-Holsteins! Die für uneinnehmbar gehaltenen Werke waren in unserm Besitze.

Was aus jenem Schleswiger geworden, weiß ich nicht; möge er entkommen sein!

Ueber den dänischen Officier erhielt ich zufällig Kunde, er ist, von mehreren Kugeln getroffen, unter den Händen preußischer Aerzte auf dem Verbandplatze gestorben.


Eine der schönsten Erinnerungen für mich und wohl für Viele bleibt die Nacht, in welcher unser Regiment in Verbindung mit dem 24. commandirt worden war, die dritte Parallele, 500 Schritt von den Schanzen, auszuwerfen. Alles war mir dabei neu, alt und bekannt einzig die Gefahr. Daß die Dänen diese Arbeit mit aller Macht würden zu verhindern suchen, hatte man unsererseits entschieden geglaubt und demzufolge die üblichen Vorbereitungen getroffen; denn das ganze schwere Feldlazareth stand in Wester-Düppel bereit.

Es war eine prachtvolle laue Nacht, der Mond hing, ein mildes Licht verbreitend, am wolkenfreien Himmel, als wir, nur mit Gewehr und Munition versehen, längs des Wenningbundes, dessen Wasser, ein großer, blaugrüner Spiegel, leise und wie zärtlich kosend an die Ufer schlug, zur Arbeit vorrückten.

Kurz vor der ersten Parallele machten wir Halt, um die nöthigen Instructionen zu erhalten. Jeder Mann warf die Flinte über die Schulter, und einen Schanzkorb auf dem Kopfe, gingen Tausende, Mann hinter Mann, in langer Reihe vor. Nichts, kein Wort war zu hören, als das leise, taktförmige Auftreten und hier und da ein tiefes Aufseufzen; denn die Schanzkörbe, besonders die aus grünen Ruthen gefertigten, waren schwer und wurden zur

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_494.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)