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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

ihn schmunzelnd am Gitterthor, schüttelt ihm die Hand und zieht ihn zur alten Bank unter die Linden, ruft Weib und Tochter vom Heerde, und – Hans und Grete gelten fortan für ein sicheres Paar.

Vielen wird’s aber nicht so gut! Will auch die Grete dem Hans wohl – so nicht immer ihr Vater, und oft auch lauert ein von den Eltern begünstigter Nebenbuhler im Hinterhalt. Seltsamer Weise schließen sich die Hunde des Hofes stets den Sympathien und Antipathien ihres Herrn an, und der Bauer kann sich in dieser Hinsicht auf die Thiere verlassen. Will daher ein von Schicksal und Glück nicht begünstigter Liebender dem Mißgeschick doch noch Liebesblüthen entlocken, so sucht er erst die Freundschaft jener bösen Hunde zu gewinnen, die den Schatz bewachen, den er dem Hofe entreißen möchte.

Fehlt der sparsamen Hausmutter daher bald eine Wurst, bald ein Stück Fleisch, so spricht sie sinnend zu ihrem Alten: „Du, usere Hannes gaiht uf dä Freite, aberst dä Olle is ihm nach misgünstig.“[1]

Die Diebstähle in der Speisekammer sind den Dorfmüttern nicht allein ebenso sichere Liebesanzeichen, wie Stadtmüttern vorkommende Zerstreutheiten, dauernde Appetitlosigkeit ihrer Kinder und dergleichen ungewöhnliche Dinge, – die erfahrene Dorfalte weiß auch nach den fehlenden Würsten die Erfolge ihres Lieblings zu berechnen. Immer helfen Fleisch und Würste aber nicht, den aufrührerischen Geist eines Hundes zu beschwichtigen. Wochenlang gefüttert und genudelt, wird er von regem Pflichtgefühl dann oft gerade zum verrätherischen Bellen angetrieben, wenn der Geliebte glücklich und ungefährdet „achter (hinter) dem Fenster“ seiner Auserwählten steht.

Der Vater des Mädchens und der eifersüchtige zweite Bewerber, die das stete Sattsein der sonst hungrigen Hunde und deren sich steigernder wählerischer Geschmack auf die richtige Fährte gebracht und die nun dem auflauern, der die treuen Wächter besticht – diese Feinde der glücklichen Liebe dringen denn beim ersten Anschlagen der Hunde, mit Knitteln bewaffnet, auf den Bevorzugten ein, und es beginnt da nicht selten ein blutiger Kampf von größerer Machtentfaltung, denn jedes also vom Vater nicht begünstigte Liebespaar findet seine Anhänger und Beschützer in den jungen Burschen des Dorfes. Diese liegen oft schon, mit Heu- und Mistgabeln bewehrt, hinter der Hagedornhecke, ehe der Geliebte über den Lattenzaun steigt, um das bewußte kleine Fenster zu erreichen. Ereilt nun väterlicher Zorn oder die wuthentbrannte Eifersucht den Glücklichen, so springt das kleine Vertheidigungsheer herbei, die Heugabeln errichten eine Palissade vor dem Bedrängten, und giebt der Bauer nicht gutwillig den ehrenhaftesten Rückzug für die Feinde frei, indem er höflich das verschlossene Thor keines Hofes öffnet, – so bringen ihn gut angebrachte Stiche und derbe Schläge oft nicht allein dazu – sondern auch „zur Einwilligung“ und den anderen Bewerber „zum Entsagen“. Läßt ein alter Eisenkopf sich aber eher auf eigenem Grund und Boden maltraitiren, als daß er nachgiebt, dann bricht für’s Liebespaar stets eine böse Zeit an. Die Grete muß auf dem Heuboden schlafen, dessen Luke der gestrenge Vater vernagelt, und – aus ist’s mit den Küssen durch das Fenster! Die wahre Liebe findet aber auch da einen Ausweg. Hans war nicht umsonst Jahre lang im Walde Gefährte des Eichhörnchens. Er klettert über die wackligsten alten Holzschuppen, über halbzerfallene Strohdächer, bis an die vernagelte Luke, und gelingt es ihm, die im ersten festen Schlaf liegende Geliebte durch leises Pochen zu erwecken, so findet sich immer eine Ritze oder ein barmherziges Astloch, durch welche die Liebesworte und Schwüre von Ohr zu Ohr dringen können.

Kommt’s endlich zur Hochzeit, können „Paßter und Küster“ von bevorstehender Trauung benachrichtigt werden, so erwartet Jung und Alt voll Freude den Hochzeitsbitter. Im höchsten Staat, Brust und Hut mit mächtigem Strauße geziert, einen blumen- und bänderbehangenen Stab in der Hand, tritt ein junger Bauerbursche, gefolgt von vier bis sechs Brautjungfern, die Körbe tragen, die Runde durch Höfe und Dörfer an und bringt Verwandten und Bekannten die Kunde vom nahen Fest und „Klein und Groß“ die Einladung zur Hochzeit. Diese Einladung geschieht in Versen, und hat der Cantor nicht seine ebnende Hand an die Reime gelegt, so sind sie meist holprig, wie die Hohlwege der Dörfer.

Am Morgen des festlichen Tages läuft der Küster, oft schon bei Tagesanbruch, im blauen langschößigen Frack in die kleine Dorfkirche, um nachzusehen, ob Blumen und Kränze, mit denen er sie geschmückt, in bester Ordnung sind. Die Brautjungfern aber eilen zur Braut und schmücken sie, so schön sie können.

Die Landestracht um Minden ist eine der reizendsten, die es giebt: ein leuchtend rother, mit Band umsäumter Wollrock, schwarzes Tuchmieder, von silbernen Spangen gehalten, ein Hemd vom feinsten weißen Leinen, das oben am Halse schließt und in weiten Aermeln bis zu den Handgelenken herabfällt. Die goldene Brautkrone hat einen Schleier von Bändern, und den Hauptschmuck bildet eine Kette der prachtvollsten Bernsteinperlen, deren Dicke sich nach dem Reichthum der Braut richtet und die oft den Werth von fünfzig Thalern übersteigt.

Der Anzug der Männer hat auch viel Eigenthümliches. Er ist aber fast durchgehend in Westphalen gleich. Ein breitkrämpiger Hut von schwarzem Filz, ein langer weißer Rock von Leinen, mit silbernen Knöpfen, feuerrothe Staatsweste, ebenfalls mit silbernen Knöpfen, enganliegende Beinkleider und Stulpenstiefeln oder Gamaschen.

Solch dörflicher Brautzug ist ein hübscher poetischer Anblick. Dem Brautpaare folgen zunächst Kinder, mächtige Sträuße tragend, hinter diesen schreiten, ihrer Würde sich bewußt, die ehrenfesten Alten. Die festlich geschmückten Mädchen, die geputzten Burschen folgen paarweise. Aus jedem Hause, jeder Hütte schließen sich Festesgäste an, und ein endlos langer Zug ist’s oft, wenn der stille Friedhof erreicht ist, in dessen Mitte, von prächtigen alten Bäumen beschattet, die kleine bescheidne Kirche steht.

An der Thür der Kirche empfängt der Küster den Brautzug. Ein Taschentuch hängt ihm bei solch feierlichen Gelegenheiten stets so lang aus der Tasche, daß dessen Endzipfel die anscheinende Unmöglichkeit vollbringt, mit den Endspitzen der tief herabfallenden Frackschöße zu correspondiren. Der kühne Aufschwung seines Hutes bringt manchmal die Ehrenpforte in Gefahr, und die Brille fällt nicht selten bei der tiefen Verbeugung von ihrem hohen Posten; doch ihn, den kein wilder Schulknabe je außer Fassung gebracht, verliert auch da nicht seine Geistesgegenwart und folgt stolz als „Hauptwürdenträger des Christenthums“ dem Brautpaare zum Altare. Ist die Trauung geschehen, so empfängt vor der Thür ein lauter Tusch der Dorfmusik das junge Paar, und endloser Jubel ertönt über den stillen Friedhof, Böller werden gelöst, alte Gewehre knattern. Die Dorfburschen machen nun Versuche, die Frau zu entführen; ihre mit Knitteln versehenen Brautführer aber wehren das um so entschiedener ab, als ein Gelingen des Streichs Jedem eine Flasche Wein kostet.

Im Hochzeitshause beginnt nach der Gratulation der Tanz. Schlag Zwölf setzt sich Alles zum Gastmahl in der Tenne nieder, und zu solchem Hochzeitsschmaus ist Tage lang vorher gekocht, gebraten, gebacken und gebraut. Speise und Trank ist reichlich da, und dem Essen folgt der Tanz, dem Tanz neues Mahl, bis die drei Tage und Nächte, die jede Hochzeit dauert, zu Ende sind.

Am Morgen des vierten Tages geleiten die jungen Burschen der Gesellschaft das junge Paar zum Hofe des Mannes. Auf dem Brautwagen befindet sich die ganze Aussteuer. Zwischen Spinnrad, Butterfaß, Milcheimern und Betten sitzt über den Regionen der buntbemalten Kisten und Laden das junge Paar. Unter Hurrahgeschrei der Vorreiter geht’s durch blühende Auen, durch schattigen Wald dem eigenen Heerde entgegen. Da steigt plötzlich blauer Rauch über dem alten Baumhof auf. Lauter Jubel, denn – dort das Ziel!

Mit strahlenden Augen blickt der junge Mann auf den Hof seiner Väter, der nun mehr und mehr aus den Lindenkronen auftaucht; feuchten Auges eilt der Blick der jungen Frau zurück zu dem dunkeln Eichenkamp, welcher ihre alte Heimath birgt, dann ein Blick auf den Mann ihrer Wahl, und das junge Weib fühlt mächtiger denn je, wo die wahre Heimath des Weibes – ihre beste Heimath ist. Ein starker Arm umfaßt sie, treue Augen blicken sie heiß und zärtlich an, über bebende Lippen ringt sich das Wort: „Unser Haus!“ und am eigenen Hofe hält nun der Wagen. Die Hunde schlagen an – ein Sprung – ein Schritt und das junge Paar betritt seine eigene Schwelle.

Betreten auch wir nächstens einmal einen solchen altsassischen Bauernhof und sehen, wie seine Bewohner da leben und wirken, im Haus ihrer Väter auch sterben.




  1. Unser Hans geht auf Heirath aus, aber der Alte ist ihm noch nicht günstig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_504.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)