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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

leidenschaftliches Jagen nach Gewinn. Jetzt zieht der liebliche waldbekränzte Hügel am Limmatufer den Blick des Ankömmlings nach oben. Da sieht er in gebietender Stellung über den rauchenden Schloten, über den klappernden Hämmern, über den knarrenden Lastfuhrwerken einen herrlichen Palast sich erheben. Der Bau, im edelsten Renaissancestyl aufgeführt, ist ein Werk unseres Gottfried Semper. Es ist kein Königspalast, in welchem stolze Fürsten ihre prachtvollen Feste feiern. Nein, es ist die freie Burg deutscher Wissenschaft, von der wir sprechen. Das zürcherische Volk hat sie freiwillig hingestellt und hat damit gezeigt, daß es kein niedriges Krämervolk ist, daß die bürgerliche Arbeit den Sinn für die höchsten Güter der Menschheit nicht erstickt, daß vielmehr jene in einem freien Volke den gesundesten Boden bildet, aus welchem die schönsten Blüthen idealen Strebens emporblühen.

Das eidgenössische Polytechnicum in Zürich.

Das Gebäude wird zwar erst in der nächsten Zeit feierlich eingeweiht werden, aber es beherbergt doch schon seit diesem Frühjahr die beiden hohen Schulen der Schweiz, die zürcherische Hochschule und das eidgenössische Polytechnicum. Die ältere der beiden Schwesteranstalten, die zürcherische Hochschule, verdankt ihr Dasein jener Bewegung der Geister, die im Anfang der dreißiger Jahre durch Europa fluthete. Die Männer, welche in Zürich an der Spitze dieser Umwälzung standen, wollten eine bleibende Stätte für freie Bewegung der Geister gründen, darum stifteten sie die Hochschule. Und es ist diesen edlen Männern wirklich gelungen, ein Institut zu schaffen, welches einzig in seiner Art dasteht. Ein seltenes Zusammentreffen von glücklichen Umständen machte diese Anstalt, deren Budget nicht größer ist als das eines Bataillons Soldaten, zu einem hervorragenden Centrum des deutschen wissenschaftlichen Lebens. Oder sollte man diesen Namen einer Hochschule versagen, die im Laufe von kaum dreißig Jahren eine Reihe von Männern hat aussenden können, wie Schönlein, Pfeuffer, Hasse, Kölliker, Henle, A. Schmidt, Hildebrand, Bluntschli, Engel, Ludwig, Moleschott, Keller, Dirnbierg, Lebert, Mommsen, Nägeli, Köchly, Hitzig etc.? Diese Männer, die jetzt, so viele ihrer noch leben, die ersten Lehrstühle Deutschlands in ihren Fächern einnehmen, haben sie nicht alle ihre produktivsten Jahre in Zürich gewirkt?

Zu den glücklichen Bedingungen für das Gedeihen der Züricher Hochschule gehört vor Allem der Boden, auf dem sie erwachsen ist. Die Schweiz ist für jeden Deutschen ein Land der Sehnsucht. Schon die herrliche Natur übt eine mächtige Anziehung. Noch mehr aber wirken die Zustände. Der Deutsche sieht in ihnen, und mit Recht, das Ideal, welches der germanische Geist erreichen kann, wo er sich frei entwickelt. Darum folgt jeder deutsche Gelehrte so gern einem Rufe nach der Schweiz. Uebrigens haben die Eingebornen selbst ein ansehnliches Contingent zu den in der Wissenschaft hervorragenden Männern gestellt. Gehören doch schon unter den angeführten Namen nicht die kleinsten geborenen Schweizern. Und auch gegenwärtig wirken an der Züricher Hochschule viele europäische Notabilitäten, die Landeskinder sind. Es genüge zu erinnern an Oswald Heer, den Schöpfer der fossilen Entomologie, an Arnold Escher, den berühmten Kenner der Alpen. Ueberhaupt ist der alemannische Stamm der Schweiz unter den deutschen Stämmen nicht der letzte, was Befähigung und Neigung zur wissenschaftlichen Thätigkeit betrifft. Die Geschichte der deutschen Wissenschaft giebt seit Jahrhunderten davon das glänzendste Zeugniß. Auch kann es dem aufmerksamen Beobachter in der Gegenwart nicht entgehen, daß die ganze Bevölkerung von Zürich einen besondern Sinn für Wissenschaft besitzt. Wissenschaftliche Vorträge finden stets ein zahlreiches Publicum, an den wissenschaftlichen Vereinen betheiligen sich auch Nichtgelehrte mit großem Eifer, vor Allem ist der schweizerische Student durchschnittlich sehr fleißig und von wahrhaft wissenschaftlichem Interesse beseelt.

Auch die Lage Zürichs an den äußersten Grenzmarken germanischer Sprache und Gesittung gereicht seinen höheren Bildungsanstalten nur zum Vortheil. Das polyglotte Gewühl verschiedener Nationalitäten führt dem Geiste neue Bildungselemente zu und spornt ihn, seine nationale Eigenart zu Ehre und Geltung zu bringen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_517.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)