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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

richtete es so ein, daß darin auch für seine Hochschule Raum war. Ferner gestattete er dem Polytechnicum die Benutzung der schon bestehenden wissenschaftlichen Sammlungen, die nunmehr auch bereits in dem gemeinschaftlichen Bau aufgestellt sind. Endlich wirken eine Anzahl von Lehrern in Physik, Chemie, den beschreibenden Naturwissenschaften, Literatur, Aesthetik etc. an beiden Anstalten zugleich durch Vorlesungen, welche von den Studirenden beider Anstalten besucht werden. Von diesem Umstande hatte zunächst die Züricher Hochschule als solche großen Vortheil, denn sie erhielt einen Zuwachs von Lehrkräften ersten Ranges, die sie mit ihren eigenen beschränkten Mitteln kaum hätte erwerben können. Es genüge an Namen wie Clausius und Vischer zu erinnern.

Wenn dereinst die Verschmelzung der Hochschule und des Polytechnicums zu einer einheitlichen Pflanzschule der gesammten Wissenschaft als vollendete Thatsache dastehen wird, dann wird die Schweiz, ja Europa wird danken können den Männern, welche einst in der Bundesversammlung in eingestandenem Eifer gegen die idealen Interessen die eidgenössische Hochschule verwarfen. Dann zeigen auch sie sich als solche, die es menschlich dachten böse zu machen, aber durch die es die Fügung aus der Höhe schließlich gut gemacht hat.

Noch ist diese völlige Verschmelzung eine Perspektive. Sie ist sogar in diesem Augenblick ein wenig weiter in die Ferne gerückt, als es anfangs schien. Seit nämlich Kern die Leitung des Polytechnicums aufgeben mußte, um den Gesandtschaftsposten in Paris anzutreten, stehen Männer an der Spitze der Anstalt, die, wie es scheint, von jener Idee der Vereinigung nicht erfaßt sind, die sich vielmehr mit allen Kräften dagegen sträuben. Aber hoffen wir, daß auch hier wieder die Dinge mächtiger sein werden, als die Menschen.

So ist denn die Züricher Hochschule zwar in mannigfacher Beziehung zum Polytechnicum, doch eine selbstständige Anstalt unter eigenen Behörden und mit getrenntem Lehrkörper. Kehren wir zu ihr zurück. In ihre Geschichte hat vor etwa einem Jahre wiederum ein Ereigniß mächtig fördernd eingegriffen, die Aufhebung des letzten Klosters auf Züricher Boden, der reichen Abtei Rheinau. Wie verfügten durch ihre Vertreter die schlichten Bauern des Staates Zürich über diese ihnen zufallende große Erbschaft? Sie wird nicht verschleudert für destructive Zwecke, für Kanonen und andere Mordwerkzeuge. Sie wird auch nicht verwandt zur Förderung der materiellen Interessen, was man von einem anscheinend ausschließlich industriellen Volke am ersten hätte erwarten sollen. Nein, die Güter von Rheinau sollen der Geistesbildung zu Gute kommen. Sie werden lediglich für Kirchen- und Schulzwecke verwandt. Ein namhafter Bruchtheil davon im Betrage von einigen Millionen Franken ist zu den Fonds der Hochschule geschlagen. Er wird namentlich auch dazu dienen, die wissenschaftlichen Sammlungen und Institute reicher auszustatten, und dann steht die Züricher Hochschule auch hinsichtlich ihrer materiellen Mittel kaum hinter einer ihrer Schwesteranstalten in Deutschland zurück. Uebrigens waren schon bisher einige der Institute für die medicinische Facultät wahrhaft glänzend, insbesondere die Anatomie und die klinischen Anstalten. Auf der ersteren sind jeden Winter durchschnittlich 130 menschliche Körper in einem prachtvollen Secirsale zur Verfügung der Studirenden. Das ist eine Gelegenheit, Anatomie, die Grundlage alles medicinischen Wissens, zu lernen, wie sie in solcher Ausdehnung nicht oft geboten wird. In den Kliniken des neuen Cantonsspitals unterrichten ein Griesinger und Billroth mit Benutzung eines Materials, wie es nur die größten Städte Deutschlands bieten können. Außerdem besitzt Zürich auch eine psychiatrische Klinik, ein Institut, das bei fast allen deutschen Universitäten gänzlich fehlt. Sie wird gleichfalls von Griesinger geleitet, der bekanntlich auch in der Irrenheilkunde zu den ersten Autoritäten zählt.

Den gegenwärtigen Bestand des Lehrkörpers der Züricher Hochschule im Einzelnen zu durchmustern wäre überflüssig; sind doch fast alle Lehrstühle mit Männern besetzt, die schon als Forscher und Schriftsteller in den weitesten Kreisen bekannt sind. Es möge nur noch vergönnt sein, einen Blick auf das Leben der Studenten der Züricher Hochschule zu werfen. Der deutsche Jüngling, der gelockt durch den Zauber des Schweizerlandes und den wissenschaftlichen Ruf des Limmat-Athens aus der Ferne dahinkommt, findet dort alle Schattirungen seines heimischen Studentenlebens, vom buntfarbigen Corps bis zur deutschen Burschenschaft mit schwarz-roth-goldnem Bande. Auch die Studenten, welche sich keiner Verbindung anschließen wollen, sondern lieber ungebunden durch äußere Formen in Studium und Vergnügen ihre eigenen Weg gehen, werden sich wohl fühlen; denn die Dimensionen des Züricher Lebens sind doch schon so große, daß die Veranlassungen zu Conflicten, die in den kleineren deutschen Universitätsstädten an der Tagesordnung sind, kaum jemals vorkommen. Der Ton unter den Studenten ist durchweg als ein guter zu bezeichnen, nur selten sind Ausschreitungen zu beklagen, obgleich, oder vielleicht gerade weil keine pedantische Disciplinargewalt in die Freiheit der Entwickelung hemmend einzugreifen sucht.

Hat der Züricher Studiosus an einem heißen Sommertage in den Hörsälen geschwitzt, so kann er sich Abends in den krystallnen Fluthen des lieblichen Sees abkühlen oder zum Ruder greifend auf seinen Wellen sich schaukeln und schwelgen im Anblick der von den Strahlen der sinkenden Sonne erglühenden Alpen. An freien Tagen führt ihn ein Bahnzug in wenigen Stunden tief in die Alpenwelt selbst. Ihre erfrischende Luft kräftigt ihn zu neuer geistiger Anspannung. Aber auch die langen Winterabende kann der Student sich auf’s Mannigfaltigste verkürzen. Zieht er nicht die muntere Gesellschaft der Cameraden bei Wein und Bier vor, so findet er reichlich Gelegenheit zu gemüthlicher Erholung in den bescheidenen Salons seiner Lehrer, was besonders den Norddeutschen willkommen ist. Auch hierin ist die Züricher Hochschule mancher andern überlegen. Das Verhältniß zwischen Docenten und Studenten ist kein kaltes auf den Hörsaal beschränktes. Es findet vielmehr ein vielseitiger persönlicher Verkehr zwischen Lehrern und Lernenden statt, der natürlich nicht verfehlen kann auf beide Theile anregend zu wirken, um so mehr, als er durch keinerlei geschmacklose Hofrathsalluren getrübt wird.

So sieht es aus in dieser freien Burg deutscher Wissenschaft. Möge sie noch lange Jahre fest stehen, und mögen noch recht viele deutsche Jünglinge in ihren stolzen Hallen zu freien deutschen Männern heranreifen!

Ein Schweizer Docent. 




Eines deutschen Technikers Lehr- und Meisterjahre.
Von Max Maria von Weber.
Bauer und Officier. – Der Sohn des Dresdener Canzelisten. – Der Frankenberger übercomplete Unterkanonier. – Aggregirter Lieutenant ohne Gehalt. – In seiner wahren Sphäre. – Der Wasserbaudirector. – Als Trainführer. – Nach dem 29. Bülletin. – Von Kosaken gefangen. – Schwerer Abschied von der Gefangenschaft. – Fortschritte auf seiner Bahn.

Es giebt noch keinen Ruhm für den deutschen Techniker! Noch sind die Herolde beim großen deutschen Geistesturnier nicht geneigt den neuen Kämpfer als ebenbürtig anerkannt mit den alten Disciplinen des Wissens in die Schranken treten zu lassen.

Die Gründe dafür liegen nahe und sind tief im Charakter des Volkes begründet. Jede Civilisation ist partiell, jede hat ihre schwachen Seiten und Lücken, und die ideale Richtung des deutschen Genius ist die Wurzel der Mängel deutscher Cultur, wie ihrer höchsten Blüthen. Mehr als andere Völker haben wir lange Zeit über das Wissen das Können vergessen. Die Technik ist aber das verkörperte Können, und da sie nun plötzlich an der Hand des Geistes der Zeit unwiderstehlich in unsere Mitte tritt, da rümpfen die alten Wissens-Branchen von tausend Ahnen, die Theologie und die Medicin, die Juristerei und die Kunst, die der Kräfte des jungen Riesen nicht mehr entbehren, sich seiner nicht mehr erwehren können, wenigstens die Nase über seine Abkunft und fragen: „Was will der Schmied, der Maurergesell, der rußige Gießer in unserer Mitte? Das Geld, das er erwirbt, soll ihm gegönnt sein, Ruhm, Ehre, Unsterblichkeit gehören uns allein!“ Sie vergessen dabei, daß alle geistigen Thätigkeiten, mögen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_519.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)