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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

bei ihm gewesen, so nun auf dem alten Bauernhofe in Gottes freier schöner Natur.

Auch Friedrich Wilhelm der Vierte hatte den Pater Ignaz nach der Residenz berufen und ihm eine hohe Stelle angetragen. Noch einmal war der Pater nach Berlin gereist und hatte an den Monarchen noch einmal eine Bitte gerichtet, die: in der Nähe des Mannes bleiben zu dürfen, dem er einst als Lehrer entgegengetreten und dessen Schüler er geworden.

Ehe Pater Ignaz schied, fragte der König lachend: „Und Sie wollen nicht mindestens einen von den Versuchen machen, deren man Sie so vielfach mir gegenüber verdächtigt, wollen mich nicht zu Ihrem Glauben bekehren?“

„Mein Streben war stets nur auf die Erreichung des Möglichen gerichtet, Majestät.“

„Wie? des Möglichen? Nein, mein Bester, da irren Sie, denn ich weiß nur zu gut, daß, als Sie mir damals zuerst, nach dem Diner in M. von dem jungen Bauer erzählten, der an jenem Tage sein Todesurtheil vernommen, Sie von mir doch anscheinend das Unmögliche verlangten.“

Der Priester lächelte und entgegnete lebhaft: „Darum wandte ich mich ja einzig an Ew. Majestät, nicht nur als einen der Mächtigen auf Erden, denen es hienieden allein möglich ist, scheinbare Unmöglichkeiten zu vollbringen, nein, auch an den Menschen, dessen edles Herz ich kannte, wie das meines armen, verkannten Freundes.“

„Und doch,“ sprach der Herrscher Preußens sinnend und demüthig, „sagen Sie selbst, was ist meine That gegen die des Bauern!“

„Ew. Majestät thaten viel, Alles, gaben dem Gefangenen das Leben, die Freiheit!“ rief der Priester begeistert.

„Und er, der Bauer, gab mir doch mehr, die Lehre, daß ein Mensch nicht einer Krone bedarf, um einer Krone würdig zu handeln.“




Sollte ein geneigter Leser fragen, woher ich die That des Bauern kenne, diese wahre Heldenthat? Ich lebte in Westphalen, und dort ist sie wohl bekannt. Dort steht jener Bauernhof in einem seiner reizendsten Dörfer, und da lebt jener einst des Mordes Angeklagte, geliebt von seiner Familie, geachtet von seinen Freunden, bewundert von Allen, die seine That kennen.

Er selbst spricht nie über das aus Liebe und Rücksicht gebrachte Opfer. Man ahnte es einst, man wußte es später und erzählt sich’s, wo man ihn sieht, erzählt sich’s auch noch in dem Gefängnisse, spricht dort mit Stolz, mit Achtung und Bewunderung von dem jungen Manne, den man in eben den Mauern einst nur voll Schauder als Mörder betrachtet.

L. Ernesti. 




Auf Firn und Eis.
Erinnerung aus den Bergen. Von S.

Im weltbekannten Haslithale des weltbekannten Berner Oberlandes war es. Dort, an der Handeck hatte ich mit meinem Freunde und Landsmanne, einem Ritter vom Malkasten, mein Villeggiaturquartier bezogen; nicht an dem vielbeschriebenen Falle der Aare, der unter jenem Namen gefeiert ist auf der ganzen civilisirten Erde – der braust ein gut Stück weiter links – sondern auf der schönen Handeckalp, welche, obwohl nahe an 4500 Fuß über dem Spiegel des Mittelmeeres, noch von üppigem Tannendickicht eingefaßt wird. Ehedem gab’s hier nur eine gewöhnliche Sennhütte, wo sich der müde Wanderer auf dem Heuboden strecken und an einem Glase Milch oder „Nidln“ (Rahm) und einer Schnitte „Ziegers“ (magern Käses) erlaben konnte, jetzt ist auch hierher die Speculation und mit ihr die Cultur gedrungen. Aus dem alten großen Holzbau mit dem weitgespannten Giebel, der früher lediglich hirtlichen und viehlichen Zwecken diente, ist zugleich eine Art von Hotel entstanden, und ein gegenüber errichtetes neues Haus umschließt die Schlafstätten für die einsprechenden Reisenden; kein Gasthofspalast freilich wie auf Rigikulm, auch nicht einmal wie die Herberge auf dem Faulhorn oder auf der Wengernscheideck, doch alles sauber, gut, behaglich und nicht allzutheuer, – wenn man billig in Erwägung zieht, daß weder Dampfwagen noch Dampfschiffe, nicht Postkutschen und nicht Marktboote, sondern nur die Rücken keuchender Vier- und Zweifüßler des Leibes Nahrung und Nothdurft herzuschleppen können.

Eines Abends waren wir zeitiger als gewöhnlich von unserer Nachmittagswanderung heimgekehrt und pflegten uns auf der Holzbank vor unserer Sennte. Da schlug der große Bernhardshund des Wirthes an, das Haus kam in Alarm, denn ein neuer Gast hielt seinen Einzug. Dergleichen Episoden waren immer Epochen in unserm Stillleben. Wir erhoben uns denn auch, um uns den Ankömmling in der Nähe zu betrachten. Es war ein kräftiger Mann in den Fünfzigen; ein langer grauer Schnurrbart und Augenbrauen, die allenfalls auch zu einem stattlichen Schnauzbarte hingereicht hätten, gaben ihm ein gewisses strenges, martialisches Ansehen. Mit einer Behendigkeit, welche sein graues Haar Lügen zu strafen schien, schwang er sich aus dem Sattel seines Maulthiers und schüttelte dem Wirthe, der diensteifrig herbeigeeilt war, als einem alten Bekannten herzlich die Hand.

„Nehmen Sie mir die Sachen da gut in Obacht und sorgen Sie für meine Leute,“ sprach er auf ein zweites schwerbepacktes Maulthier und sechs handfeste Männer weisend, die sein Gefolge bildeten. Darauf trat er in das Speisezimmer.

Mit dem Fremden, welcher mit einem eigenen Packthier und mit so großer Escorte über die Grimsel zog – denn wo anders konnte man von der Handeck hin? – mußte es eine besondere Bewandtniß haben. Dies und sein interessantes Aeußere erregten unsere Neugier, die uns ebenfalls rasch in’s Zimmer trieb. Wir bestellten unser Nachtessen und waren mit dem Herrn bald in lebhaftem Gespräche.

„Morgen beziehe ich meine gewöhnliche Sommerresidenz,“ erzählte der Ankömmling; „eine Sommerresidenz, wie es keine zweite giebt, so frisch, so glänzend, so imposant – – – ich gehe auf den Unteraaregletscher, da steht mein Sommerpalais. Besuchen Sie mich dort einmal, meine Herren. Da oben sollen Sie erst erfahren, was Alpenpracht und Alpenmajestät bedeuten! – Doch,“ fügte er hinzu, „warten Sie noch ein paar Tage; es ist gar wohl möglich, daß ich meinen Pavillon erst unter dem Schnee hervorsuchen muß, dann bin ich genöthigt, meine ganze Wirthschaft von Neuem loszueisen und in Gang zu setzen, ehe ich Besuch empfangen kann. Ohnedem sah ich verdächtiges Gewölk, als ich von Guttannen heraufritt.“

Darauf beschrieb er uns den Weg, welchen wir einzuschlagen hatten, unter genauer Berücksichtigung aller uns nothwendigen Einzelheiten. „Sie können nicht fehlen, meine Herren. Kommen Sie also ja,“ sagte er, indem er sein Licht nahm, um sich in das Schlafhaus drüben zurückzuziehen.

Jetzt kannte ich den Mann. Es war Herr Dollfus-Ausset aus Mülhausen im Elsaß. Einer der reichsten Fabrikanten-Familien seines Geburtsortes entsprossen und selber Baumwollfabrikant, ist derselbe zugleich ein bedeutender Physiker und unbestritten der erfahrenste Beobachter der Gletscher und ihrer mannigfachen Erscheinungen und Räthsel. Sein Lieblingsstudium ist ihm völlig zur Leidenschaft geworden. Sobald der Sommer kommt, zieht er, seit fast zwanzig Jahren, nach der Schweiz, quartiert seine Familie im Hôtel des Alpes am Reichenbache ein und klimmt hinauf in das Gebiet des ewigen Schnees. Hier auf einem Uferfelsen des Unteraaregletschers hat er sich ein kleines niedriges Steinhaus erbaut, den der gesammten naturgelehrten Welt wohlbekannten Pavillon Dollfus, in dem er mehrere Wochen, manchmal auch Monate zuzubringen pflegt. Tag für Tag wird alsdann der Gletscher begangen, untersucht und angebohrt, wird seine Bewegung, sein Vorrücken oder Rückgehen gemessen, werden Barometer und Thermometer consultirt, Cyanometer und andere Apparate zur Hülfe genommen und die nach allen Richtungen hin angestellten wissenschaftlichen Beobachtungen genau verzeichnet und beschrieben, hauptsächlich um dem Gesetze auf die Spur zu kommen, das einer der schwierigsten und noch immer unentschiedenen Fragen der Naturwissenschaft, der Lehre von der Gletscherbewegung, zu Grunde liegt.

Herr Dollfus hatte richtig prophezeit. Zwei Tage lang dictirten uns Nebel und Regen eine unliebsame Clausur im Handeckwirthshause. Erst am dritten Morgen konnten wir zu unserer Expedition ausrücken. Bald rechts bald links des polternden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_532.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)