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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 38. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Nobles Blut.
Schloßgeschichte aus den Erinnerungen meines Vaters.
(Fortsetzung.

Der Mönch hatte wohl richtig gelesen in den Augen des Dieners. Sie verkündeten Entsetzliches, bevor die Lippen es aussprechen konnten.

„Sie sind vorbereitet, gnädigster Herr?“ sagte er.

„Ich bin,“ unterbrach ihn der Mönch, „für Dich wie für alle Anderen der Franziskanerpater Antonius.“

Der Diener neigte sich gehorsam, während die Augen ihm feucht wurden.

„Sie sind vorbereitet, frommer Pater, das Traurigste zu hören. So lassen Sie es mich denn kurz machen. – Der Herr hatte mich binden lassen, als Jenes mit Ihnen geschah. Gebunden wurde ich in den Hundestall geworfen, kein Mensch durfte zu mir. Da öffnete sich um Mitternacht die Thür des Stalles, der Graf trat ein und löste meine Bande.

,Du wirst mir folgen,’ sagte er dabei. ,Du wirst thun, was ich Dir befehle. Sprichst Du ein einziges Wort von dem, was Du siehst und hörst, so bist Du des Todes.’

Er mußte schrecklich anzusehen sein, wie er so sprach. Ich konnte es in der Dunkelheit nicht sehen, doch ich hörte es an der Stimme. Es überlief mich heiß und kalt, aber ich folgte ihm. Er ging in das Schloß, die Treppe zum ersten Stock hinauf, hier in den Corridor links, an dessen Ende sich die Thür befand, die in den runden Thurm führte. An einer der letzten Thüren des Corridors blieb er stehen. Es war die Thür zu dem Wohngemach der Gräfin, seiner Gemahlin. Er zog einen Schlüssel hervor und schloß die Thür auf. Wir waren bisher im Dunkeln gegangen. In dem Zimmer brannte ein trübes Licht.

,Reinige hier,’ befahl er mir. „In einer Stunde darf man hier keinen Fleck mehr sehen, wenn Dir Dein Leben lieb ist.“

In dem Zimmer war eine Blutlache. Ich schleppte Wasser herbei, Tücher und was sonst zum Reinigen gehörte. Er stand in der Thür und sah mir zu. Wie er aussah, ich weiß es nicht; ich hatte nicht den Muth ihn anzusehen, und ehe die Stunde um war, war ich fertig. Er verschloß die Thür.

,Jetzt hier,’ befahl er.

Er zeigte auf den Boden des Corridors vor der Thür des Zimmers, aus dem wir kamen, bis zu der Thür des Thurmes.

Er hatte das Licht aus dem Zimmer mitgenommen. Ein Strich von Blut zog sich von der einen Thür zur andern. Ein Blutender war hier an der Erde geschleppt. Ich reinigte auch hier. Er stand mitten im Corridor und sah mir zu. Als ich bald fertig war mit meiner Arbeit, wollten mich meine Kräfte verlassen. Ich war in die Nähe der Thurmthür gekommen und hörte in dem Thurme ein leises Wimmern. Ich hörte es diesmal deutlich, erschrecklich deutlich. Das Tuch, mit dem ich wischte, fiel mir aus der Hand.

,Wird’s bald?’ rief er mir drohend zu.

Ich arbeitete wie wahnsinnig weiter. Ehe der Morgen anbrach, war ich fertig.

,Du kannst gehen,’ sagte der Graf. ,Du bleibst in meinen Diensten. Du bist der einzige Treue hier. Werde nicht zum Verräther. Gehe zu Bett und spionire nicht!’ rief er mir noch drohend nach.

Er blieb in dem Corridor. Ich ging, ohne mich umzusehen, in meine Stube, in mein Bett. Schlafen konnte ich nicht. Als die ersten Leute im Schlosse aufstanden, wagte auch ich mich hinaus und ging in den Schloßhof, nach dem runden Thurme zu. Die Fenster des Grafen waren von innen noch fest mit den Vorhängen verhüllt, in seinem Wohn- wie in seinem Schlafzimmer. Der Graf schlief also noch. Ich ging um das Schloß herum, ich sah zu den Fenstern der Gräfin und des Grafen Curt hinauf. Sie waren verschlossen, wie sonst, als wenn die Bewohner noch in voller Ruhe des Schlafes wären. Ich wartete bis zu der Stunde, wo der Herr regelmäßig aufzustehen pflegte. Ich mußte dann in sein Schlafgemach kommen, ihm das Frühstück bringen und ihm beim Ankleiden helfen. Er bewohnte ganz allein den Thurm, und verschloß daher jeden Abend dessen nach außen auf den Hof führende Thür, und ich konnte nur vom Schlosse aus zu ihm gelangen. Ich ging in das Schloß, in jenen Corridor, der bis in den Thurm führte, an und in dem ich in der vergangenen Nacht jene entsetzliche Arbeit hatte vornehmen müssen. Ich sah noch die Spuren des Waschens und Fegens und Reibens. Eine Blutspur war nirgends[WS 1] mehr zu erblicken. Ich hatte meine Arbeit gut gemacht. Ein Grausen ergriff mich; in dem Gange war Niemand, die Thüren zu den Gemächern der Gräfin waren verschlossen, wie immer zu dieser Stunde; sie stand erst später auf. Ich klopfte an die Thür, die in den Thurm, in das Schlafzimmer des Grafen führte. Ich erhielt keine Antwort, selbst als ich stärker klopfte. Es blieb auch still, als ich zum dritten Male klopfte. Der Graf mußte es gehört haben, wenn er auch noch so fest schlief; er hatte einen leisen Schlaf. Er wollte mir also nicht antworten. Ich kehrte um. An der Treppe begegnete mir der Bediente des Grafen Curt. Er sah verstört aus.

,Wissen Sie nichts von meinem Herrn?’ fragte er mich.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nigends
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_593.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)