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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Sie sind es!“

„Hören Sie den Schrei, Doctor!“

„Hauptmann, das ist der Schrei einer Sterbenden!“

„Die arme Frau! Der arme Mann!“

„Eilen wir!“

„Wir kommen zu spät.“




Die beiden Greise im Vorzimmer der kranken Freifrau hatten lange still beisammen gesessen. Bei einem plötzlichen Geräusche waren sie aufgefahren. Das Vorzimmer lag an einem Seitengange in dem bewohnten Theile des Schlosses. Man konnte in diesen Seitengang auf kurzem, geradem Wege von dem Hauptcorridor aus gelangen, in welchen von dem großen Treppenhause des Schlosses unmittelbar die breite Doppeltreppe führte; man kam aber auch hin aus jener engeren Treppe und durch jene schmalen, gewundenen, dunklen und abgelegenen Gänge, durch welche der Arzt den alten Mönch geleitet hatte.

Das große Portal, das in das Treppenhaus führte, war am Abende verschlossen, von Dienern bewacht. Von dem Hauptcorridor aus konnte daher unangemeldet Niemand zu den Zimmern der Freifrau gelangen. Jene schmalen, gewundenen, meist durch unbewohnte Theile des Schlosses führenden Gänge waren vielleicht nicht einmal den sämmtlichen Bewohnern des Schlosses bekannt; ein Fremder hätte sich, zumal am Abend, da sie nicht erleuchtet waren, in ihnen und durch sie gar nicht zurechtfinden können. Das Geräusch, das die beiden Greise hörten, schien aus der unbewohnten Gegend des Schlosses, aus den schmalen, dunklen Gängen, zu kommen. Es kam rasch näher. Schritte von Menschen schlichen leise, aber schnell, als wenn der Nachtwind durch die alten Gänge fahre.

„Wer kann da kommen?“

„Die Franzosen, geführt von einem Verräther, dem Louis.“

„Schließen wir die Thür ab.“

Der Kammerdiener schloß die Thür ab, die in den Gang führte.

„Zum Freiherrn! Er muß in den verborgenen Gang!“

Die Kammerfrau kam durch die Seitenthür, durch die sie sich in ihre Stube nebenan begeben hatte, in das Zimmer gestürzt.

„Franzosen!“ rief sie. „Rettet den Herrn.“

Ihr Rufen war in dem Krankenzimmer gehört. Der Freiherr öffnete die Thür des Zimmers.

„Was giebt es?“

„Die Franzosen, gnädiger Herr! Retten Sie sich!“

Der Freiherr kehrte in das Krankenzimmer zurück. Der alte Diener trat mit ihm ein, flog zu der verborgenen Tapetenthür und riß dieselbe auf.

„Hier, hier, Herr Baron! In den Gang! Da unten sind Sie sicher.“

Aber die Kranke hatte laut aufgeschrieen. Der Freiherr eilte zu ihr. Sie umfing ihn krampfhaft.

„Georg, ich sterbe! Aber rette Dich, rette Dich!“ rief sie dann.

Sie konnte es rufen, die edle Frau, in dem furchtbaren Krampfe, in den Schreck und Angst sie geworfen hatten, der alle ihre Glieder schüttelte. Es war der Krampf und der Kampf ihres Todes. Konnte der Gatte sie in diesem Kampfe verlassen?

„Margaretha, mein Weib, mein Alles, stirb nicht!“

Er beugte sich über sie; er umfaßte sie, dem Krampfe zu wehren, den Kampf zu mildern.

„Gnädiger Herr, ich beschwöre Sie!“ rief der Diener.

Er erhielt keine Antwort.

„Ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen heilig ist,“ rief er noch einmal. „Da sind die Verfolger.“

Er stürzte zu dem Krankenbette, zu dem Freiherrn. Die Verfolger waren da. Sie waren wie im Sturm an die Thür des Vorzimmers geflogen und fanden sie verschlossen. Drei Kolbenstöße stießen die Thür ein. Bewaffnete Gensdarmen drangen in das Zimmer, rannten hindurch zu der Thür des Krankenzimmers. Der Verräther hatte sie von Allem unterrichtet, mit Allem bekannt gemacht. Der alte Mönch hatte sich vor die Thür gestellt und trat ihnen entgegen.

„Zurück! Dort liegt eine Sterbende! Zurück im Namen des allbarmherzigen Gottes, den auch Ihr in Eurer Sterbestunde anrufen werdet.“

Man hörte nicht auf ihn. Er wurde zur Seite gestoßen. Die Thür des Krankenzimmers war von innen verriegelt. Der Kammerdiener hatte es gethan; er hatte die Gegenwart seines Geistes nicht verloren. Die Thür wurde mit dem Kolben eingestoßen, wie die erste. Die Verfolger waren in dem Krankenzimmer.

Der Freiherr hatte noch seine Arme um die Sterbende geschlungen. Der treue Diener suchte ihn von ihr fortzureißen, aber er konnte es nicht. Die französischen Gensdarmen hatten ihn schon gefaßt und rissen ihn von ihr. Sie konnten es und schleppten ihn fort.

Der Diener stürzte hinter ihnen her, als wenn die Ohnmacht noch etwas retten könne aus den Klauen des Verraths und der Gewalt. Die Sterbende stieß einen durchdringenden Schrei aus. Der Mönch trat an ihr Bett. Eine Todte lag vor ihm. Die arme Frau hatte ausgerungen, war erlöset von ihrem Schreck, von ihrer Angst, von allen ihren Leiden. Der Mönch kniete nieder am Bette und betete still für die Seele seiner todten Verwandten.

Der Arzt und der Hauptmann kamen aus dem geheimen Gange hervor. Sie sahen die Leiche und den still vor ihr auf den Knieen betenden Mönch. Sie standen unwillkürlich schweigend. Da kehrte der alte Diener Conrad in das Zimmer zurück. Sein Gesicht war leichenblaß.

„Kommen Sie,“ sagte er zu dem Hauptmann und zu dem Arzte. „Retten können Sie nicht mehr. Der Fluch dieses unglücklichen Hauses muß in der heutigen Nacht sich ganz erfüllen; aber kommen Sie.“

Sie folgten dem alten Diener. Der Mönch betete still weiter. Nach einer Weile öffnete sich leise die Thür. Die Kammerfrau der Verstorbenen trat ein. Ihr verweintes Gesicht war zugleich verstört.

„Herr Pater, Sie möchten zu dem runden Thurme kommen.

Der alte Conrad läßt Sie dringend bitten. Ich werde unterdeß bei der Leiche beten.“

Der Mönch erhob sich und verließ das Zimmer. Die Frau kniete an seiner Stelle nieder.

(Schluß folgt.)




Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.
Nr. 6. Weltkind und Propheten beim Schmaus in Koblenz.

„Götz von Berlichingen“ ist erschienen, die „Leiden des jungen Werther’s“ sind ihm vor Kurzem gefolgt und haben die tiefste und gewaltigste Wirkung geäußert, die je ein Dichterwerk auf das deutsche Publicum ausübte; der Autor, der junge Doctor juris Wolfgang Goethe in Frankfurt a. M., ist der literarische Held des Tages. Aus allen Frauen- und Mädchenaugen in Deutschland fließen ihm in Bächen Thränen der Rührung, des Dankes und der Bewunderung, nicht weniger aus denen empfindsamer Jünglinge. Im simplen weißen Kleide mit Rosaschleifen an Brust und Schultern wandeln zarte Damen, das geliebte schmerzensreiche Buch in der Hand, an des Flusses Ufer und suchen auch wohl hie und da in solchem Aufzug in den Wellen das Ende ihrer Leiden, und gefühlvolle Cavaliere in blauem Frack, gelben Hosen und Stulpstiefeln wälzen düstere Pläne im liebesgramzerrissenen Herzen und liebäugeln mit ihren Pistolen. Vergebens wähnt Herr Nikolai in Berlin mit plumpem nüchternem Spott den Strom zu dämmen. Es bekommt ihm schlecht; denn der, der jene Thränen quellen machte, versteht es nicht minder, solche Trümpfe durch ganz andere zu übertrumpfen und den armseligen Spötter mit einem einzigen humoristischen Keulenschlag zu Boden zu strecken. Des Dichters Herzensthränen, die er einst in Wetzlar weinte, als er sich losriß am letzten Abende und jenen Zettel schrieb: „Er ist fort, Lotte, wenn Du dieses liesest,“ sind längst getrocknet. Er „wandelt“ nicht mehr „in Wüsten, da kein Wasser ist“, wo „seine Haare ihr Schatten sind und sein Blut sein Brunnen“, wie er ehedem noch von Frankfurt nach dem geliebten „teutschen Hause“ an der Lahn schrieb. Er hat sein beliebtes „Hausmittel“ angewandt, um sich zu heilen von Schmerz und Verwirrung, und vortrefflich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_596.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)