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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 40. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der böse Nachbar.
Erzählung von Levin Schücking.
1.

Ein junger Mann schritt unfern der Weser durch eine waldreiche Gegend, in welcher die wenig erhobenen Hügelrücken dichtes Laubholz trugen, während die schmalen Thaleinsenkungen dazwischen von saftig grünen Wiesenflächen eingenommen waren. Der Weg des Wanderers, ein gewundener Fußpfad, hielt sich fast immer in wohlthuendem Schatten, und einen anmuthigeren Weg für eine Fußwanderung konnte es nicht geben. Bald durch die grünen Waldeshallen, in welche die Nachmittagssonne schräg ihre Lichter warf; bald an den klaren, hier und da über ein Wehr rauschenden Bächen entlang, welche die Wiesenflächen durchliefen; auch zuweilen über kleine Brücken und Stege, über welche die breiten Aeste sich wölbten wie hohe Lauben. Im Walde pfiff die Goldamsel, und anderes Gevögel zwitscherte und sang in den Zweigen; den starren Waldbäumen, die sich nicht regen und bewegen können, ist ja das beweglichste und beschwingteste Volk in der ganzen Schöpfung zu Gesellen gegeben. Wo die Sonne einen größeren Fleck des Weges beschien, schlängelte sich auch wohl eine behende Eidechse und verschwand raschelnd im vorjährigen Laube. Sonst war alles still. Menschen schienen in dieser romantischen Waldgegend nicht zu hausen, oder, wenn sie da waren, die Hut ihrer Wiesen dem lieben Gott überlassen zu haben, den sie, in grober Holzarbeit ausgeschnitzelt, an braune, neben dem Wege aufgerichtete Kreuze gehangen hatten.

Schloß Falkenrieth.

Der junge Mann, welcher durch diese Gegend schritt, sah am meisten einem wandernden Studenten ähnlich – dann aber jedenfalls einem, der über den Büchern nicht die frische und kecke Lebenszuversicht verloren. Er blickte aus den dunklen Augen sehr scharf und fast herrisch um sich; die Züge waren gebräunt, unter der feingeschnittenen Nase hatte sich ein respectabler blonder Schnurbart entwickelt; blond auch war trotz der dunkelbraunen Augen das lockig gekräuselte Haupthaar; hoch und stark entwickelt die Stirn, auf der ein österreichisches Militärkäppchen mit dem gerade vorstehenden Lederschirm thronte.

Das letztere deutete nun freilich nicht gerade auf den Studenten; aber das Aeußere des jungen Mannes that es, der bestaubte Kittel, der kleine leichte Tornister und, mehr als das, etwas Keckes, Selbstbewußtes und doch Gedankenvolles in seinen Zügen.

Noch einen von Wald überschatteten Hügel hatte unser Wanderer hinter sich und war eben an ein Drehkreuz am Ausgange des Gehölzes gekommen, als er überrascht plötzlich von der Seite her vor diesem Drehkreuze ein lebendes Wesen Halt machen sah, das freilich nicht hindurchkonnte und nun ungeduldig den Kopf aufwarf, sich streckte und heftig schüttelte und dann aus Leibeskräften ungestüm um sich schlug, um das Fliegen- und Bremsenzeug abzuwehren, das sich über ihm versammelt hatte.

Dies neu auftauchende Wesen war ein schönes, kräftig gebautes braunes Pferd, das auf seinem Rücken ein Paar Gurte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_625.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)