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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

ihre Knochen in den Ablagerungen zurückgelassen, deren Zahl freilich noch sehr gering ist, nämlich außer einer gewissen Menge von Kiefern, Zähnen, Schenkel- und Armbeinen nur drei Schädel, von denen einer in der Höhle von Engis bei Lüttich, ein zweiter in einer Grotte des Neanderthales bei Düsseldorf und der dritte am 17. Juni 1864 in den Schwemmgebilden von Moulin-Quignon bei Abbeville in Frankreich gefunden wurde. An letzterem Orte entdeckte man vor zwei Jahren eine menschliche Kinnlade, über deren Authenticität sogar ein wissenschaftlicher Congreß zusammenberufen wurde, der trotz englischer, auf biblische Vorstellungen gegründeter Einsprüche endlich doch die Echtheit des Fundes und das hohe Alter der Kinnlade anerkannte – heute, wo man an derselben Fundstätte noch viele andere Knochenreste entdeckt hat, die von über alle Zweifel erhabenen Forschern selbst aus dem Lager gezogen wurden, dürfte ein solcher Congreß wohl gar nicht mehr zusammenberufen werden.

Der Schädel von Moulin-Quignon ist noch nicht genauer untersucht worden; aus der Beschaffenheit der Kinnlade schloß Quatrefages, ein bekanntes Mitglied der französischen Akademie, daß es ein Volksstamm von kleiner Statur mit wahrscheinlich rundem Kopfe gewesen sein müsse, vielleicht den heutigen Lappen ähnlich, eine vorläufige Untersuchung der neulich gefundenen Reste scheint seine damaligen Schlüsse bestätigen zu wollen.

Ich habe in meinen „Vorlesungen über den Menschen“ im zweiten Bande die Resultate der bis jetzt bekannten Untersuchungen über die beiden Schädel von Engis und Neanderthal zusammengestellt und nachgewiesen, daß sie keiner jetzt bekannten europäischen Race, wohl aber den Australiern am nächsten stehen, indem sie bei großer Länge eine nur sehr geringe Breite besitzen, wozu noch außerdem eine Menge anderer Eigenthümlichkeiten kommen; daß der Schädel von Engis vielleicht einem Weibe angehörte, während der vom Neanderthal, wie auch die dabei gefundenen sonstigen Knochen bestätigten, der eines großen und starken Mannes gewesen und der wildeste und affenähnlichste Schädel ist, der uns überhaupt bis jetzt bekannt. Einem normalen deutschen Schädel gegenüber gehalten, bietet dieser Schädel aus der Bärenzeit eine so furchtbare Degradation dar, daß man sich eines gelinden Schauders nicht erwehren kann. Die entsetzlich aufgewulsteten Lagen der Augenbrauen, ähnlich den Ringen, welche die Augen des erwachsenen Gorill oder Orang umgeben; die tiefe Einbuchtung dahinter, die sich in ein flaches Gewölbe fortsetzt, so daß man bei horizontaler Stellung der Schädeldecke über den Augenbrauen gar keine Stirne mehr sieht; der flache Scheitel und die ungeheure Dicke der Schädelknochen selbst – Alles das läßt eher den Gedanken an eine wilde Bestie als an einen Menschen aufkommen, und erst eine genauere Untersuchung läßt uns erkennen, daß dies doch ein menschlicher Schädel war und das darin eingeschlossene Gehirn einen menschlichen Typus hatte.

Aber dieser Affenmensch, denn anders können wir ihn wohl kaum nennen, hat doch einen Funken in sich, der ihn über seine nächsten Verwandten erhebt; er sinnt darauf, seine Lage zu verbessern und sich das Uebergewicht über die ihn umgebende Thierwelt zu verschaffen. Diese wird nicht durch irgend einen Machtbefehl in seine Hand gegeben, sondern er selbst muß sich die Mittel schaffen, sie zu überwältigen. Zugleich ändern sich nach und nach auch die umgebenden Verhältnisse. Der Höhlenbär wird seltener und macht seinem weniger kolossalen Vetter, dem gewöhnlichen braunen Bär, Platz. Höhlentiger und Hyänen verschwinden ebenfalls nach und nach, ebenso die großen Dickhäuter, Flußpferd, Nashorn und Mammuth, während dagegen Auerochsen, Pferde und namentlich Rennthiere im südlichen Frankreich häufig sind und die gewöhnliche Nahrung des Menschen zu bilden scheinen. Man kann diese Epoche füglich die Periode des Rennthiers nennen, da dieses das charakteristischste Thier ist, dessen Knochen auch am häufigsten ihrer Härte wegen verarbeitet werden, woraus man fast schließen könnte, daß der Mensch damals ein Leben führte, ähnlich den wandernden Lappen, denen früher auch das Rennthier Alles war. Jetzt freilich, seit die Civilisation in die Finnmarken gedrungen ist, weiß auch der wandernde Lappe die Producte derselben zu schätzen, und Kaffee und Zucker, Wollengewebe und ähnliche Dinge gegen seine Rennthierhäute und Zungen einzutauschen. Es ist also diese Periode die Aussterbezeit der untergegangenen Thierarten und zugleich die Rückzugszeit der nordischen Thiere, die noch im Süden hausten, gegen höhere Breiten hin.




Blätter und Blüthen.


Karl August und der Oberförsterssohn. Ein Oberförster, der seit langen Jahren treu und redlich gedient, wurde einst bei der Holzrevision beschuldigt und überführt, daß mehrere Klaftern Holz auf seinem Schlage fehlten. „Da weiß der Himmel, wie das zugegangen,“ entschuldigt sich der alte Mann, „ich hab’ sie nicht; auch weiß ich nicht, wer hier etwa der Thäter ist.“

Mit dieser Entschuldigung waren das großherzogl. Oberforstamt und Kammercollegium natürlich nicht zufrieden; es wurde eine gerichtliche Untersuchung über den Armen verhängt, in Folge deren der Oberförster seines Dienstes entsetzt werden sollte. Das Haus des Oberförsters war seitdem ein Haus der tiefsten Trauer, nicht sowohl über den bevorstehenden Verlust des Amtes und Brodes, als vielmehr über den Verlust der bürgerlichen Ehre.

Da macht sich der älteste Sohn des Oberförsters, dem der Schmerz und das Elend seiner Familie auch zu Herzen ging, in aller Stille auf, eilt in die Residenz und meldet sich bei dem Oberforstamte freiwillig als denjenigen, der als Forstgehilfe seines Vaters das fehlende Holz auf dem Schlage heimlich verkauft und das Geld dafür verthan habe. Der Thäter wird bestraft, seines Amtes als Jagd- und Forstgehülfe entsetzt und muß – was am meisten schmerzte – für alle Zukunft jeglichem etwaigen Anspruche auf eine Anstellung als Förster im Großherzogthume feierlich und förmlich entsagen.

Was nun zu thun? Der junge Mann wählte das Beste für damalige Zeiten, er wurde Soldat und als Oberjäger eingestellt. Nach beendigtem Kriege kehrte er in sein Vaterland und Vaterhaus zurück, aber mit welchen Aussichten, welchen Hoffnungen? Der Vater redet ihm zu, sich vor der Hand wieder um eine Anstellung als Jägerbursche auf irgend einem Reviere des Großherzogthums zu bewerben. Mit schwachem Glauben, daß man über seinen mehrjährigen, treuen Soldatendiensten sein früheres Vergehen vergessen haben werde, begiebt sich der Sohn in die Residenz und meldet sich. Jedoch vergebens. Der greise Vater selber verwendet sich für ihn, umsonst. Es bleibt sonach dem Armen nichts anderes übrig, als irgend einen andern Lebensberuf zu wählen, was auch geschah; er wurde Großknecht auf einem Gute.

Da wird nach Jahresfrist fast durch Zufall der wahre Thäter jenes Holzdiebstahls entdeckt. Es wird dem Großherzoge sogleich gemeldet, und dieser läßt den Großknecht zu sich bescheiden.

„Sie sind der Sohn des Oberförsters S.?“ fragt Karl August streng, als der junge Mann in das Zimmer des Großherzogs tritt.

„Zu Befehl, Hoheit.“

„Wie kommen Sie dazu meine Justizbehörde zu belügen und sich als den Dieb und Verkäufer von gestohlenen Hölzern auszugeben?“

Der junge Mann trat einen Schritt näher. Hoheit kennen meinen alten Vater,“ sagte er leise. „Er hatte nichts als seine Kinder und seine Ehre, er war uns stets ein lieber Vater, und da dachte ich denn, es sei Schuldigkeit des Kindes, die Ehre …“

Der Großherzog, der am Tische stand, unterbrach ihn. Als der junge Missethäter so einfach und ohne alle Ruhmrederei seine edle That entschudigen wollte, packte es den Fürsten, und er pochte, um seine Rührung und die aufperlenden Thränen zu verbergen, unwillkürlich auf den Tisch. Hastig ging er dann auf den Erschrockenen zu, und indem er ihn mit zornigen Blicken ansah, sagte er mit erhobener Stimme:

„Und da dachten Sie die Ehre Ihres Vaters mit einer Lüge zu retten? Wissen Sie, was Sie verdienen, junger Mann? … Die Oberförsterstelle in T. (es war die Stelle seines Vaters), und damit der wackere Sohn des wackern Vaters die bösen Tage vergessen kann – hier eine Anweisung auf meine Kammer zum Bau eines neuen Hauses und für den alten Vater den vollen Gehalt als Pension. Gehen Sie – gehen Sie, lieber S.,“ rief er, als der junge Mann weinend zu seinen Füßen stürzte und danken wollte, „gehen Sie – und Gott schenke in meinem Lande allen Vätern solche Söhne!“ –

In einem der hübschesten Forsthäuser des weimarischen Landes wird heute noch von den Kindern des ehemaligen vermeintlichen Diebes am 3. September das Bild des „alten Herrn“ bekränzt, der es verstand in so echt fürstlicher Weise lang getragenes Unrecht wieder gut zu machen und Kindesliebe zu belohnen.




Struve’s Weltgeschichte (jetzt bei Streit in Coburg) scheint sich, nachdem das Buch in Tausenden von Exemplaren in Amerika verbreitet wurde, in neuer Zeit auch in Deutschland Bahn zu brechen. Gottfried Kinkel schreibt darüber: „Es ist die erste ganz frei geschriebene und dabei volksthümliche Geschichte, die es giebt. Im Kerker zu Rastatt begonnen, ist es ein Triumph des freien Geistes geworden, dessen Ueberzeugung keine Fessel beugt. Die Sprache ist einfach, der Sinn ist rund und nett, die Sätze, was für ein populäres Werk unschätzbar ist, kurz und treffend, die Beurtheilung vergangener Völker und Reiche klar, scharf und radical. Es thut einem wohl unter den deutschen officiellen Redensarten, einmal auf einen Schriftsteller zu stoßen, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Ganz vortrefflich sind am Schlusse der längeren Abschnitte die Rückblicke auf den Fortschritt der menschlichen Bildung während jeder einzelnen Periode. Die Folgen der Zeit zwischen der Reformation und dem westphälischen Frieden sind hier z. B. treuer und vollständiger entwickelt, als ich sie in irgend einem anderen Buche gefunden habe. Ich wundere mich nicht, zu hören, daß dieses Buch in Amerika sich eine so breite Bahn gebrochen hat. Allen Landsleuten im Vaterlande sollte die Verbreitung desselben am Herzen liegen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_640.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)