Seite:Die Gartenlaube (1864) 644.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Werde ich denn den Winter hindurch hier bleiben können?

… Es wäre grauenhaft, diese Einsamkeit! Ich werde nach Wien gehen müssen und dort recht ernstlich Kunststudien treiben, modelliren, Thon kneten – und … das alte Junggesellen- und Wirthshausleben weiter treiben! Als ob ich nicht auch das so recht herzlich satt hätte! Es ist seltsam, aber seit ich in diesem alten Hause bin, mein’ ich, ich habe just Alles, Alles in der Welt recht herzlich satt … es fehlt mir etwas – der Himmel weiß was – am Ende ist es die Statue, die schöne Flora, die man mir geraubt hat, obwohl ich nicht weiß, warum ich in diesem Augenblick solch’ eine marmorne Schönheit sehr amüsant finden sollte, eine lebendige wäre mir lieber … ja, eine lebendige Schönheit, die mir zum Herzen redete wie eine marmorne, nur mit rothen Lippen und warmem Odem … eine Schönheit, wie dieses Mädchen von Falkenrieth, diese Eugenie, die mir’s angethan hat … und das so gründlich wie es möglich ist!“

Er verschränkte die Arme auf der Brust und blickte eine Weile in Gedanken verloren auf den Boden. Dann nahm er Hut und Handschuhe wieder und ging hinaus, um sich das Pferd satteln zu lassen, das er sich zu seinem Gebrauch ausgesucht, bis er ein besseres zu erwerben Gelegenheit gefunden, und bestieg es, um Allmer zu folgen.

Allmer war bisher seine einzige Gesellschaft gewesen, der ruhige gesetzte Mann, der so wenig Zuvorkommendes gegen ihn hatte, zog ihn doch an. Er hatte begonnen sich an ihn zu gewöhnen, sich von ihm leiten zu lassen in seinen Geschäftsangelegenheiten; wie magnetisch von der Aussicht auf Unterhaltung mit Allmer gezogen ritt er ihm nach.

Als er das kleine Dorf, welches zu seiner Besitzung gehörte, hinter sich gelassen hatte, sah er rechts weithin ausgedehnt die Getreideflur liegen, auf welcher in der Entfernung Schnitter mit Mähen und Weiber mit Garbenbinden beschäftigt waren. Er ritt langsam über die Stoppelfelder, bis er die Gruppen erreicht hatte. Allmer war nicht bei ihnen.

„Er war eben hier,“ gab einer der Arbeiter auf Horst’s Frage nach ihm Bescheid, „aber er ist gleich dort hinaus weiter, geritten, auf Schollbeck zu.“

„Nach Haus Schollbeck?“ wiederholte Horst ein wenig überrascht. Dann setzte er hinzu: „Wohinaus der Weg dahin?“

Der Arbeiter beschrieb den Weg, und Horst ließ sein Pferd demselben folgen. Nach kurzer Zeit hatte er die Ackerflur hinter sich und kam an das Ufer eines kleinen Bergflusses, der einen schmalen dünnen Wasserfaden durch ein breites trockenes Felsbett rinnen ließ, im Winter und Frühjahr wahrscheinlich ein wilder rauschender Gesell, jetzt, in den trockenen Sommermonaten dem Anschein nach kaum tief genug, um eine tüchtige Forelle zu verbergen. Rechts und links stiegen niedrige Hügelwände auf, die mit Lärchentannen bedeckt waren.

Forellen mußte das Gewässer aber doch ernähren, oder wenigstens irgend eine andere des Nachstellens werthe Fischart, denn Horst sah nach einer Weile einen jungen Mann in Hemdsärmeln mit einer langen Angelruthe am Ufer sitzen. Freilich war da, wo der junge Mann saß, ein kleiner Mühlteich angelegt; drüben am andern Ufer, das mit einer nackten niedrigen Felswand hier ein wenig zurücktrat, war die Mühle errichtet, ein dunkles kleines Bauwerk aus braungrauem Stein mit einem schwarzen Schieferdach darauf; dunkle Tannen, die auf der Höhe drüben standen, lugten dem Müller in den Schornstein.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.
Nr. 16. Aus der Sommerfrische im bairischen Hochlande.
Von Ludwig Steub.

Vom mächtigen Inn, von der Thierseer Ache, von der friedlichen Leitzach eingefangen, dehnt sich im südlichen Baiern ein Alpenstock aus, den ein behaglicher Wanderer in vier Tagen kaum umgehen möchte. Dieser Alpenstock ist reich an Waldungen und an offenen Triften. Die Sennhütten sind kaum abzuzählen und die Zahl der Rinder ist Legion. Wo du gehst und stehst, begleitet dich das Geläute der Almenglocken, die melodisch hinschallen über Berg und Thal. Die Pfade ziehen entweder in leichter Steigung am rauschenden Bache empor und sind dann meist steinig, von Felswänden überragt, von Ahorn und Buchen beschattet, oder sie gehen über sonnige Weiden, die sich oft ganz sanft und glatt dahinlegen, reich geschmückt mit schönster Alpenflora und umgeben von dunklem Hochwalde – mitunter so still und einsam, so feierlich, als wehte noch der Geist der alten germanischen Waldheiligthümer über sie hin. Dieses Zusammenspiel aller Elemente schöner Gebirgslandschaft bringt oft wundervolle Wirkungen hervor, zumal da sich mitunter gar herrliche Blicke in andre Bergketten hinüber oder in die Ebene hinaus aufthun. Obgleich diese Alpenlandschaft meistentheils mild ist, die Wege selten beschwerlich, die Schauer der Gletscherwelt gar nicht vorhanden sind, so zeigen sich doch einige Ungethüme, die daselbst auffahren und welche, obwohl rauh und wild, doch sich zu großer Beliebtheit emporgeschwungen haben. Es sind dies z. B. der vielbesungene Wendelstein, der die Gegend von Aibling und von Rosenheim beherrscht und sehr oft bestiegen wird; der Brinnstein in der Audorfer Gegend, der allmählich mehr und mehr Besuch erhält und von Vielen, was den Glanz der Aussicht betrifft, dem Wendelsteine vorgezogen wird, so wie noch andere minder erhebliche Häupter.

In diesem Hochlande liegt weder Flecken noch Dorf, auch kaum eine Kirche, sondern nur hin und wieder eine kleine Bergkapelle, aber an seinem Rande finden sich viele schöne und wohlhabende Ortschaften. An der Abendseite z. B. liegt das idyllische Baierisch-Zell, wo in alten Zeiten ein kleines Kloster, das die Wildniß zu bezwingen gegründet, später aber nach Scheiern verlegt wurde; Fischbachau in dem stillen Thal der Leitzach, gleichfalls eine Stelle alter Andacht, mit der weitbekannten Wallfahrt am Biebenstein, ein kleiner, aber schön gelegener Ort, wo viele Jahre lang der gute alte Förster eine fröhliche Gastfreundschaft übte und das Einerl seine wunderschönen Almenlieder sang.

Viel lebendiger, als diese geräuschlosen Thäler, sind im Sommer die Dörfer, welche am Fuße des besagten Bergstocks, dem Inn entlang liegen. Die Eisenbahn, die an ihnen vorüber nach Innsbruck zieht, trägt zu dem regeren Verkehre mächtig bei. Ueberdies winken verschiedene Reize, die nicht gerade ganz von der Landschaft abhängen. Gern fliegt der Baier, der etwa zu Rosenheim oder Aibling Haus hält, auf einen Nachmittag in’s Tirol hinein, um sich zu Kufstein oder in der nahegelegenen Klause einmal eine gute Stunde beim tiroler Wein zu spendiren – gern schließt sich der Sommerfrischgast, der von München gekommen, dem heitern Unternehmen an. Auch die Verpflegung in den tirolischen Grenzorten wird sehr gerühmt, und man trifft Manchen an, der die schönen Forellen, die leckern Spielhähne und den edlen Gemsenbraten, so er dort genossen, nicht mehr vergessen kann. Für Andere liegt eine mächtige Anziehung in den Bauertheatern, welche hier am Grenzsaume Baierns und Tirols von beiden Nationen mit gleicher Vorliebe betrieben werden. Nicht mit Unrecht giebt man jenem von Kiefersfelden in Baiern den Vorzug, sowohl was Talent der Spielenden als Glanz der Ausstattung betrifft. Aber auch die tirolischen Dörfer Niederndorf und Erl wetteiferten heuer rühmlich mit ihren stammverwandten Nebenbuhlern. Es ist bekannt, daß die Stücke alle in den Ritterzeiten spielen müssen und daß sie von den Bauern selbst verfertigt werden. Einen großen Namen als Theaterdichter hatte der Kohlenbrenner Joseph Schmalz, der vor dreißig Jahren gestorben ist und viele dramatische Arbeiten hinterlassen hat. Seine Schule scheint noch immer fortzublühen, obgleich es uns schwer fiele, einen seiner Nachfolger namhaft zu machen. Gewöhnlich wird nur im Sommer gespielt und nur an Sonn- oder Feiertagen. Man giebt dann ein und dasselbe Stück vom Mai an bis Johannis und läßt hierauf ein zweites folgen, welches wiederholt wird bis zum Ende der Saison. So gab man während des letzten Sommers im tirolischen Niederndorf anfangs: „Die Grafen von Hohenstein, oder: Die Sclaven in Aegypten“; nach diesem aber: „Graf Ubald von Treuenstein, oder: Der Rächer am Todtensarge“, jedes ein „Ritterschauspiel in fünf Acten mit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_644.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)