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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Herloßsohn, der gute, allbekannte, herzliche Herloßsohn ist schlafen gegangen. Was er als Romanschriftsteller, als Novellist und Dichter war – und wahrlich, er war keiner der schlechtesten im liederreichen Deutschland – das kritisch auseinanderzusetzen, überlassen wir den Literaturblättern und belletristischen Journalen. Aber er war mehr als ein Dichter, er war ein guter Mensch im schönsten und höchsten Sinne des Wortes, ein Gemüth, wie es in der kalten Welt jetzt seltener und immer seltener wird. Er kannte nur ein Streben, und das hieß: helfen und immer wieder helfen! Wo die Armuth hungerte oder das Unglück weinte, wo es einen herabgekommenen Schriftsteller oder eine darbende Familie zu unterstützen gab, einem zugereisten Künstler aus der Noth zu helfen, da war Herloßsohn dabei, und wenn er selbst keinen Groschen mehr besaß, dann lief er umher bei seinen wohlhabenden und reichen Freunden und bettelte, bis er geholfen und die Noth gehoben. Er hat Tausende im Leben verschenkt, hat tausend und abertausend Thränen damit getrocknet, und er selbst ist arm, bettelarm gestorben im Spital! – Ein deutsches Dichterleben!“ –

Ich selbst habe die nachfolgenden Zeilen auf seinen Grabeshügel niedergelegt:

Und als der Herbst kam trüb daher gegangen,
Vom Baume fiel das letzte Blatt,
Da grub auf Sanct Johannis wieder man ein Grab.
Und in der Erde dunkeln Schrein
Da senkte man mit stiller Wehmuth ein
Ein treu Gemüth, ein treues Blut,
Gar liebevoll und kindlich gut,
Und einen liederreichen Mund,
Voll ernster Rede, heitern Scherz,
Doch eine Perle war sein Herz.
Ach, dem man damals grub ein Grab,
Mit Freuden wohl sank er hinab,
Denn keine Rose wollte ihm mehr blühn,
Und keine Freude war ihm mehr verliehn –
Drum mußt’ er „heimwärts mit den Schwalben ziehn.




Die Wohlthäterin der Frauenwelt.


Jede Erfindung ist mehr ein Product der Zeit, als eines einzelnen Geistes. Daher kommt es denn auch, daß gemeinhin eine industrielle Erfindung mehrere Urheber zugleich hat. Man denke nur an die Telegraphie! Nicht weniger als neunzehn Namen machen Anspruch auf die Ehre dieser Errungenschaft unserer Zeit, und erst neulich ist in diesen Blättern diese geistige Großthat für einen Deutschen in Anspruch genommen worden. Ebenso ist es mit derjenigen bedeutsamen Erfindung, welcher diese Zeilen gewidmet sind, mit der Nähmaschine. Sie ist ein echtes Kind der Zeit, und unzählbar sind die Namen alle, welche mit ihrer Erfindung, Verbesserung und Vervollkommnung verknüpft sind. Als in der Industrie das Bedürfniß gekommen war, Näharbeit schneller und bequemer als bisher anfertigen zu können, da ließ auch die Nähmaschine nicht lange auf sich warten. Es ist kein Zweifel, daß, wenn schon ein halbes Jahrhundert früher eine Maschine, mit welcher genäht werden könnte, ein Bedürfniß gewesen wäre, schon ein halbes Jahrhundert früher die Menschheit mit dieser neuen schönen Erfindung beglückt worden wäre. Jeder, welcher den einfachen Mechanismus der Nähmaschinen kennt, wird zugestehen müssen, daß die mechanischen Wissenschaften und Fertigkeiten schon vor fünfzig Jahren hingereicht hätten, um Nähmaschinen anzufertigen, wie wir sie jetzt besitzen.

Der Antheil, welchen die Nähmaschine, wenn sie sich erst genügend verbreitet, an der Vergrößerung des nationalen Wohlstandes haben wird, ist nicht gering. Ich spreche nicht von den Vortheilen, welche deutsche Unternehmer durch die neu geschaffene Industrie der Nähmaschinen-Fabrikation gezogen haben; ich spreche auch nicht von dem allgemeinen Nutzen, welchen die Nähmaschine durch Herabsetzung des Preises der auf ihr gefertigten Artikel dem Publicum gebracht hat: ich richte die Aufmerksamkeit einzig und allein auf denjenigen Einfluß, welchen die Nähmaschine auf die Lage der Arbeiterfamilien auszuüben im Stande ist. Durch eine immer größere Ausdehnung der Klein-Industrie, in welcher namentlich die Frauen eine ihnen angemessene Beschäftigung finden, sucht man jenes schwierige sociale Problem seiner Lösung nahe zu bringen. Und hierbei spielt denn die Nähmaschine eine nicht hoch genug anzuschlagende Rolle.

Es wäre überflüssig, den Lesern und Leserinnen der Gartenlaube das Bild einer Nähmaschine zu entwerfen. Wer hätte heutzutage noch keine Nähmaschine, noch nicht auf einer Nähmaschine arbeiten sehen? Wer kennte nicht alle die vorzüglichen Eigenschaften dieses Instruments, und wer wüßte nicht, wie unschätzbar es gerade in den Händen der Frauen ist? Denke man sich eine Nähmaschine in der Stube einer Arbeiterfamilie aufgestellt: in einer Ecke des Zimmers, dem Fenster nahe, nimmt sie nur wenige Quadratfuß Raum ein; die an ihr arbeitende Frau übersieht mit jedem Blick, welchen sie von ihrer Arbeit wegwendet, ihre ganze Wirthschaft; jeden Augenblick kann sie das Nähen unterbrechen, um dies oder jenes Bedürfniß der Ihrigen zu erfüllen. Die Arbeit ist weder körperlich anstrengend, noch den Geist ermüdend; sie bietet im Gegentheil den Gliedern eine heilsame Bewegung, und die Aufmerksamkeit, welche die Arbeiterin einzig und allein auf den schnellen Fortgang der Naht zu richten hat, ist geeignet, den Geist frisch und lebendig zu erhalten. – Die großen Vortheile, welche die Nähmaschine als ein Werkzeug für die Klein-Industrie in den Händen der Arbeiterfrauen bietet, liegen somit zu klar zu Tage, als daß es einer genauern Auseinandersetzung derselben bedürfte. Es sei darum nur noch gestattet, Einiges über die verschiedenen Systeme von Nähmaschinen zu sagen und über den verschiedenen Standpunkt, welchen dieselben in der Nähindustrie einnehmen.

Jedes der bis jetzt erfundenen Systeme von Nähmaschinen hat einen gewissen Kreis der Wirksamkeit, in welchem es sich am besten bewährt. Das eine System ist das praktischste zur Ausführung von Verzierungsarbeiten, ein anderes liefert die besten Befestigungsnähte; die Maschinen des einen Systems finden ihren besten Platz in den Werkstätten, welche die festesten Stoffe, wie Leder etc. verarbeiten, die eines andern Systems sind wieder passend zum Gebrauch in der Familie.

Die drei verschiedenen Hauptsysteme unterscheiden sich dadurch wesentlich von einander, daß sie verschiedene Nähte liefern. Durch eine nähere Betrachtung der Nähte, d. h. durch Würdigung dessen, was die Maschinen hervorbringen, gelangt man also schon zu einer Würdigung der drei verschiedenen Systeme. Die erste, einfachste, aber auch mindest werthvolle Naht ist die unsern Handarbeiterinnen schon längst vor Erfindung der Nähmaschinen bekannte Tambourirnaht, auch Kettennaht genannt, weil der Faden eine Reihe von ineinander geketteten Stichen bildet. Diese Naht ist eben nur zu erwähnen; denn unsere Näherinnen wissen recht gut, daß sie sich allzuleicht löst und nicht als eigentliche Befestigungsnaht angesehen werden kann. Sie ist ihrer Natur nach eine Ziernaht und die Kettenstichmaschinen können deswegen nur in den einzelnen Fällen, wo blos Zierarbeit verrichtet werden soll, in der Klein-Industrie verwendet werden. Der Kreis der Anwendbarkeit dieser Naht ist im Verhältniß zu den andern nur ein kleiner. Als eine Vervollkommnung dieser Naht kann die Doppelkettennaht angesehen werden. Dieselbe erfüllt den Zweck einer Ziernaht in erhöhtem Maße, indem die hier aus zwei Fäden geschlungene Kette wie eine auf schönste Weise verzierende Schnur auf dem Stoffe sich hinzieht, und bietet zugleich den Vortheil einer größern Festigkeit. Der Kreis ihrer Anwendbarkeit ist daher ein bei weitem größerer; wo geschmackvolle und in die Augen fallende Verzierung und zugleich ein etwas höherer Grad von Festigkeit verlangt wird, ist diese Nahtart an ihrem Platze. Werfen wir nur einen flüchtigen Blick auf die Gründe, welche dieser Doppelkettennaht den Grad der Festigkeit versagen, den wir nachher bei der dritten zu besprechenden Naht antreffen.

Die Doppelkettennaht setzt sich aus zwei Fäden zusammen; der eine obere Faden dringt Stich für Stich durch den Nähstoff hindurch und bildet an der untern Seite desselben Schleifen, welche sich gegenseitig mit den Schlingen des untern Fadens binden, der selbst nicht in den Nähstoff dringt. Die Befestigung des Stichs findet also nur an der untern Seite des Nähstoffs statt, wo sich auch die aus Schlingen des untern und obern Fadens entstandene Kette oder Schnur bildet. Diese Schnur, welche desto dicker aufliegt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_654.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)