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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 42. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Gnade für ein Kind!

Als die Kunde von der sittlichen und geistigen Verirrung des jungen Kober, sowie von dessen Verhaftung vor die Oeffentlichkeit gelangte,[1] wo hätte es einen Vater, wo eine Mutter gegeben, die nicht erschüttert ausgerufen: Gott möge jedwedes Elternherz vor solchem Leid in Gnaden bewahren! Mit wie gerechtem Abscheu aber das religiöse und sittliche Gefühl sich von dem beabsichtigten Verbrechen abwandte – bei näherer Betrachtung der dabei obwaltenden thörichten und kindischen Umstände trat immer wieder der Gedanke in den Vordergrund: Es bleibt schließlich doch nur ein unsinniger Kinderstreich!

Ein Kind an Jahren noch und in der Schwäche seiner physischen Ausbildung liegt indeß der jugendliche sogenannte Hochverräther schon zur Untersuchungshaft mit verwetterten gemeinen Verbrechern zusammen in einem Kerker, zusammen mit Menschen, welche die kaum zur Blüthe gekommene Knospe mit ihrem verderblichen Hauch vergiften und morden.

Das Urtheil erster Instanz wird endlich gesprochen und lautet auf fünfjährigen schweren Kerker in Ketten und in der Züchtlingskleidung. Es kommt uns nicht zu, den Herren Richtern einen Vorwurf zu machen. Sie haben als Männer des Gesetzes nach Pflicht und Gewissen das Urtheil gesprochen; gleichwohl mag aber nicht verschwiegen bleiben, daß namentlich den Nichtösterreichern dieses Urtheil als sehr hart erscheint; zumal man sich im Auslande neuerdings gewöhnt hatte, in dem staatlich neuaufblühenden Oesterreich eine mildere Praxis über starre, veraltete Form sich Bahn brechen zu sehen. Fünf Jahre schwerer Kerker in Ketten, und ein vierzehnjähriges Kind –! Man vergegenwärtige sich in Oesterreich wie außerhalb desselben jedes fühlende Vater- und Mutterherz, wenn es in seiner innersten Kammer die entsetzliche Frage thut: Wie würde Dir sein, wüßtest Du Dein Kind – und im vorliegenden Falle das einzige Kind – dem Du die sorgfältigste Erziehung hast geben lassen, das noch im zarten Lebensalter, Deine Freude, Deine Hoffnung, im Kerker mit Ketten beladen und vielleicht einer Genossenschaft eingereiht, wo sein religiöses Gefühl, seine sittliche Kraft keinen sorgenden Pfleger, keinen liebenden Mahner findet – im Gegentheil –!

Vater und Mutter suchen zu retten! Ihr kennt ja Alle, die Ihr ein Kind habt, Ihr Alle kennt das Mutterherz und die Hochfluth seiner Empfindungen, wenn es sich um Glück und Zukunft eines Kindes handelt. Ihr müßt es fühlen und wissen, wie eine Mutter bittet; wie sie von der Majestät auf dem Throne die Gnade mit Thränen in dem tiefgründigen Auge erfleht; wie sie Alles bietet, Alles, um ihr Kind dem entsetzlichen Kerker, der Moderluft von Verbrechen: zu entreißen und es einer sittlichen Welt, einer sonnigen Zukunft zurück zu erobern. Wer wird nicht mit ihnen flehen? Wer wird diese unglücklichen Eltern allein bitten lassen für ihr unglückliches, für das ganze Leben verlorenes Kind?

Wir kennen die Entscheidung nicht, aber das wissen wir: tausend und abertausend gute Menschen richten mit der Mutter ihre Blicke vertrauend und hoffend nach jenem Kaiserthrone, auf welchen die gütige Vorsehung neben dem sühnenden Schwerte der Gerechtigkeit auch den Oelzweig der Barmherzigkeit niedergelegt hat. Und wenn im vorliegenden Falle Tausende einen Wunsch hegen, so ist es nicht allein der Wunsch von Unterthanen an ihren erhabenen Monarchen, sondern der Wunsch von Elternherzen in und außer den Kaiserstaaten an das liebende und geliebte Elternpaar, das auf Oesterreichs Throne sitzt.

Wie wohlthuend es für das Gemüth schon sein muß, einem abgehärteten Verbrecher, so er reuemüthig wiederkehrt, Gnade angedeihen zu lassen: um wie wohlthuender muß dies bei einem Kinde sein, dessen ganzes Leben noch vor ihm liegt und das durch ein väterliches Gnadenwort vielleicht gerettet, der bürgerlichen Gesellschaft wieder gegeben und ihr als gutes Mitglied erhalten wird!

Gnade denn für das Kind! An den Thron der Habsburger legen wir, die wir weder den unglücklichen Vater noch das bethörte Kind kennen, die flehende Bitte nieder: Gnade für ein Kind – Gnade für ein nur verirrtes Kind, daß es nicht zum Verbrecher werde! Wir, die Leute der Presse, haben das Recht und die Verpflichtung, die geheimsten Gedanken unserer tausend und abertausend Leser laut auszusprechen. Ein Mutterherz, wollte es seinem Gefühle vollkommen Ausdruck leihen, ihm würde das Zittern jedes Nervs das rechte Wort versagen. Ihm werden nichts bleiben als – Thränen; aber Thränen, die vor dem Angesichte Gottes schöner leuchten, als aller Redeglanz der höchsten Leidenschaft es vermöchte.

Gnade also – Gnade für ein Kind!


  1. Wir setzen den traurigen Vorgang und seine unerquicklichen Details als hinreichend bekannt voraus.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_657.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)