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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 44. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Der böse Nachbar
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

Es mochte zehn Uhr sein, als er Allmer zu sich bescheiden ließ, um sich mit ihm zu verständigen. War Allmer entschlossen, ihn zu verlassen, wie es nach der Annahme der Herausforderung von seiner Seite allerdings schien, so wollte Horst sich von ihm einen andern tüchtigen Mann vorschlagen lassen, dem er die Verwaltung seiner Besitzung übertragen konnte. Allmer war nicht daheim. Horst befahl nun, sein Pferd zu satteln. Er war von einer eigenthümlichen Unruhe besessen, die ihn daheim nicht rasten ließ. Er ritt durch’s Dorf … draußen lenkte er sein Thier auf den Weg nach Falkenrieth. Es war eine Beschäftigung, Falkenrieth einmal wiederzusehen. Ein gutes Stück des Tages ließ sich hinbringen mit Untersuchungen, welche Wiederherstellungen die zunächst nöthigen sein würden. In lässigem Schritt trug ihn der schwerknochige Rappe hin.

Als er angekommen war, fand sich das Haus des Wärters vor der Brücke so leer wie damals, als Horst zum ersten Male hier gewesen. Er mußte für seinen Klepper selbst sorgen, und so führte er das Thier der Stallthür zu, hinter welcher er damals Eugeniens flüchtigen Fuchs untergebracht. Als er die Stallthür geöffnet, stieß er einen leisen Schrei der Ueberraschung aus. An der alten Stelle, mit demselben Damensattel auf dem Rücken, stand der Fuchs Eugeniens an der Krippe und kaute widerwillig an einigen daliegenden Strohhalmen.

Horst fühlte alles Blut zu seinem Herzen schießen. „Sie da!“ sagte er sich athemlos … aber zugleich faßte er sich zu einem kühnen Entschlusse.

Er wollte dies Zusammentreffen benutzen; er fühlte, daß es ein unermeßliches Glück für ihn sei, sich gegen sie aussprechen zu können … Aug’ in Auge mit ihr mußte er ja eine Brücke zu einem ruhigen, freundlichen Verständniß wenigstens finden, und das schien ihm schon ein unsägliches Glück zu sein. Schnell führte er seinen Klepper in den Stall und befestigte ihn in einer Weise, die für ein friedliches Verträgniß mit dem muthwilligen Fuchs Gewährschaft leistete, und dann eilte er davon, über die Brücke, dem Portal des kleinen Schlosses zu.

Die Portalthür, welche von der Terrasse unmittelbar in den ovalen Salon führte, stand halbgeöffnet, aber der Salon war leer. Horst sah sich flüchtig darin um; dabei entdeckte er, daß die Thür nach dem weiß und rosaroth decorirten Nebensalon nur angelehnt war. Er eilte hastigen Schrittes – die Schritte klangen in dem leeren Gebäude und auf dem knarrenden Parket laut hallend wieder – auf diese Thür zu. In dem Augenblicke aber, wo er sie öffnete und sah, daß auch dieser Raum leer war, vernahm er das rasche und, wie es schien, heftige Aufreißen einer Thür in einiger Entfernung, einige Zimmer vor ihm, wie am Ende der Reihe von Gemächern, worin er sich befand.

„Bei Gott … sie flieht vor dir… sie hat dich erblickt und will dir ausweichen!“ sagte er sich mit einem Gefühl von innerer Demüthigung und Aerger und Verdruß, daß seine Wangen sich hoch und zornig rötheten … „aber es soll ihr nicht gelingen, ich will sie sehen … ich will zu ihr reden – das Haus hat nur den einen Ausgang – ziehen wir den Schlüssel ab, und sie ist gefangen!“

Er ging zurück, verschloß die Portalthür und steckte den Schlüssel zu sich. Dann kehrte er in den Raum zurück, den er verlassen hatte, schritt in den nächsten, ein ganz kleines Boudoir mit alten verblichenen Seidentapeten, in die allerlei Chinoiserien eingewebt waren; auch hier war seine Flüchtige nicht; er eilte weiter, in ein kleines, verfallenes Badezimmer, und damit war die Zimmerreihe zu Ende. Die Flüchtige war nicht da, wohin war sie verschwunden? Keine Thür führte aus dem Raume, das Fenster ging nach hinten auf den kleinen See hinaus, an dem Falkenrieth lag; da hinaus war keine Rettung gewesen! Hatte am Ende der Eckschrank sie aufgenommen … es wäre gar zu komödienhaft gewesen! … Horst stand einen Augenblick betroffen und zögernd da, ehe er die Hand nach der schmalen dunkelgebohnten Thür des Eckschrankes ausstreckte … dann streckte er sie aus, aber die Hand zitterte, als er es that, sein Gesicht entfärbte sich dabei, und doch, er riß die Thür auf und athmete überrascht tief und wie erleichtert auf. Es war kein Wandschrank. Das Ding war auf eine Täuschung berechnet. Es war eine geheime Treppe, die, schmal, gewunden, in die Höhe führte. Also konnte die Flüchtige nicht entwischt sein, nur weiter in ein oberes Stockwerk entflohen. Horst stürmte die Stufen hinauf; er gelangte an einen Absatz, wo zu seiner Linken eine Thür in die Entresolgemächer führen mußte … jetzt, wohin sollte er sich wenden’? … hatte sie sich in diese Gemächer hineingeflüchtet oder weiter hinauf ganz nach oben, in die Mansardenzimmer, zu denen die Treppe wahrscheinlich weiter führte? Er stand einen Augenblick schwankend … dann war es ihm, als höre er oben, über seinem Kopfe, ein Geräusch, und hastig, athemlos stürmte er weiter, die gewundenen, unter seinem Fuß knirschenden Stufen hinan.

Aber nicht dahin kam er, wohin er zu kommen glaubte, auf einen Vorplatz, der zu einer Reihe Mansardenräumen führte; er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_689.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)