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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

 Volk, werde hart!

Den Nachkommen der Freiburger Edelpflüger gewidmet.


Es klang wie lang verhaltner Jammer,
Schrill wie ein Schrei der höchsten Noth,
Und hielt den Wand’rer in der Kammer
Wach bis zum frühen Morgenroth.

5
Er hörte nicht den Lärm der Schmiede,

Er lauschte, bis in’s Mark erstarrt,
Des Schmiedes schmerzerfülltem Liede:
„O Landgraf, Landgraf, werde hart!“

Und hart ward er bei solchem Wachen,

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Schritt eisern aus dem Wald hervor

Und trat auf’s Haupt dem schnöden Drachen,
Der sich das Volk zum Fraß erkor;
Doch, ob die Mächt’gen auch erbebten,
Verklungen ist das alte Lied,

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Des Volkes Dränger überlebten

Den Landgraf und den Ruhler Schmied.

Wohl ging des Landgrafs Art verloren.
Des Drachen Kamm schwoll schrankenlos,
Doch werden immer neu geboren

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Die Schmiede in des Volkes Schooß,

Und noch ertönt aus jeder Schmiede
Bang durch die schwüle Gegenwart
Der alte Klang im neuen Liede:
Volk, werde hart! Volk, werde hart!

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Du hörst das Lied bei’m fleiß’gen Hämmern,

Doch härtet Dich nicht Lied noch Schlag,
Schon oft sahst Du das Frühroth dämmern,
Und noch verschliefst Du jeden Tag;
Die Noth, die einst den Fürsten weckte,

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Noch immer ist sie Deine Noth,

Der Drache, den sein Fußtritt schreckte,
Hält ärger Dich als je bedroht.

Kein Landgraf wird Dich mehr erretten,
Kein Fremder wagt für Dich den Strauß,

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Nur eig’ne Kraft zerbricht die Ketten,

Tritt eisern aus Dir selbst heraus!
Dem Kind das kindliche Vertrauen,
Doch Du, gehöhnt oft und genarrt,
Laß Dich im Manneszorn erschauen:

40
Volk, werde hart! Volk, werde hart!

Volk, werde hart! Volk, werde hart!Albert Traeger.




Bilder von der deutschen Landstraße.
2. Der Handwerksbursch.
I.
Wanderzwang und Wanderlust. – Die Insignien des Gesellenstandes. – Der Knotenstock und die Tabakspfeife. – Die Raupe, die Wurst und der „Berliner“. – Die Ausrüstung des Wanderburschen und das Reisegeld. – Auf der Straße. – Heimath und Fremde. – Die Erkennungszeichen der Handwerksburschen. – Die Schwäger. – Löwenschütz und Kathof. – Zunft-Charakteristik. – Ceremoniel beim Zureisen. – Das Umschauen. – Obermeister und Zeichenmeister. – Das Geschenk.

Jeder Geselle, welcher sein Handwerk zünftig erlernt hatte und dasselbe einst als Meister zu betreiben gedachte, war bekanntlich früher genöthigt, mindestens drei Jahre „auf die Wanderschaft“ zu gehen. Nur selten und nur in den äußersten Nothfällen wurde dem wandernden Sohne eines Meisters oder einer Meisterswittwe von der betreffenden Innung ein Theil der gesetzlichen Wanderzeit nachgelassen, wobei übrigens je nach den Umständen eine geringere oder höhere Summe Geldes an die Handwerkscasse zu entrichten war. Unsere älteren Leser erinnern sich deshalb noch recht gut der Zeit – als weder an Eisenbahnen noch an Gewerbefreiheit zu denken wir – wo die Landstraßen wie von Fuhrmannswagen so auch von zahlreichen Handwerksburschen belebt waren.

Wanderzwang! – Und doch kein Zwang! – Wem hätte nicht in den Tagen seiner Jugend, wenn der Frühling in das Land gezogen kam, selige Wanderlust die Brust geschwellt! Wer hätte nichts von jenem geheimen Regen in unserem Innern erfahren, wenn es uns in der sonst lieben, trauten Heimath zu enge ward und uns unwiderstehlich hinauszog in die Fremde! Gewiß, den bei weitem meisten Handwerksburschen, welchen die Freude an der Wanderzeit nicht durch beengende Familienverhältnisse in der Heimath getrübt wurde, mußte der Wanderzwang als willkommene Gelegenheit erscheinen, recht viel von fremden Ländern und Menschen sehen zu können. Was der Vater dem Knaben aus seiner Wanderzeit erzählt hatte, was der Lehrling in der Werkstätte nach dem Feierabende den Gesprächen der Gesellen abgelauscht, was Schule und Bücher dem Gedächtniß überliefert und welche anderen Bilder aus der Fremde die Einbildungskraft des angehenden Wanderburschen beleben mochten, – alle diese Dinge sollten in wenigen Jahren in Wirklichkeit an seinem Auge vorüberziehen. Dazu kam, daß die Lehrzeit mit ihren mancherlei Anfechtungen und Leiden und namentlich ihrem Pennalismus, der in der Werkstatt des Handwerkers einst eine eben so große Rolle spielte, wie in den Sälen der Lyceen und Akademieen, überstanden war und der nach Handwerksgebrauch „zum Gesellen Gesprochene“ die ihm gewordene

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_697.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)