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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Mußte ich das nicht?“ sagte Eugenie, zu Horst aufblickend und dann das Auge wieder senkend … „Sie haben eine so fürchterliche Energie, sich Gehör zu verschaffen … “

„Nun, ich höre schon,“ fiel hier Schollbeck lächelnd und gerührt ein – „am Ende ist’s doch so wie ich eben sagte – und ich will meine Genehmigung geben, wenn Sie mir versprechen, mein Kind nie wieder in eine Thurmkappe einsperren zu wollen, Sie böser Nachbar … aber nun kommen Sie herab, zum Frühstück in den Garten, wir müssen sehen, was Vetter Florens zu dem Allen sagt.“

Horst reichte Eugenie den Arm, um Schollbeck, der vorauf ging, zu folgen. So gelangten sie zu dem Frühstücksplatze im Garten, wo Florens von Ambotten ihnen mit einer etwas unsicheren Haltung entgegen kam. Horst bot ihm die Hand dar, indem er mit der wärmsten Offenheit sagte:

„Sie sehen mich ein wenig beschämt vor sich stehen, Herr von Ambotten – werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß ich mein Unrecht einsehe?“

„O, ich glaube nicht, daß Sie so sehr Unrecht hatten,“ stammelte Florens verlegen.

„Wir hatten Alle ein wenig Unrecht,“ fiel Herr von Schollbeck ein. „Da aber die Hauptschuldigen ihre Verbrechen durch eine strenge Haft im Thurm von Falkenrieth bereits gehörig gebüßt haben, so wollen wir die Vergangenheit ruhen lassen und unsere Gläser füllen auf das Wohl der Zukunft!“

„Und ich,“ sagte Horst, „werde das meine leeren auf das Wohl – der Herrin von Falkenrieth!“




Hyde-Park und Rotten-Row.[1]
Englisches Lebensbild.
Von H. Beta.

Andere Stadtleute begeben sich aus der Straßen quetschender Enge und durch die Thore hinaus, hinaus, um in’s Freie zu kommen und Luft zu schöpfen; in London machen sie’s für den gewöhnlichen Bedarf umgekehrt und gehen, fahren und reiten stadteinwärts in freie, frische Luft, auf lachende Rasenteppiche, unter tausendjährige, jugendfrische Baumgruppen an großen, lachenden, fließenden Zierteichen und deren Inseln und Wasserpflanzenranken entlang. London – längst keine Stadt mehr, sondern die höhere Einheit und Verschmelzung der Vorzüge von Stadt und Land, nachdem es auf den zwanzig deutschen Geviertmeilen, die es einnimmt, eine große Zahl von Dörfern und Städtchen verschlungen und schöner wiedergeboren hat – schwelgt jetzt alle Tage innerhalb seiner 3500 Straßen „im Freien“, auf dem Lande, und zwar viel schöner und gesunder, als unsere Dorfbewohner. Man hat den Schmutz und die Bäuerischkeit der londonisirten Dörfer weggeräumt und nur deren ländliche Schönheit geläutert in die Urbanität oder Stadtcultur aufgenommen.

Dies ist einer von den vielen Vorzügen, durch welche sich London und andere englische Hauptstädte vor deutschen auszeichnen. Die mannigfachen Parkoasen, deren sich London erfreut, halten wir unbedingt für das Schönste, was die britische Metropole aufzuweisen hat und vor Allem eines Besuches unserer Leser und Leserinnen werth, damit sie sehen, wie weit und breit und sonnig und luftig sich hier die Bewohner aller Stände und Classen täglich hunderttausendweise mitten in London gesunder Lebenslust, grüner Bäume und Plätze und wonnigen Lichtes gelaben.

Wir gehen in den Hyde-Park, von dem fast jeder gehört, den Tausende von uns gesehen haben, ohne daran zu denken, daß dies der Haupttriumph des Gesundheits- und Schönheitssinnes von London ist, der größte Juwel des ländlichen Schmuckes, der alle Stadttheile des Ungeheuers verschönt. Hyde-Park lag einst auch weit außerhalb Londons. Aber das freie Volk erlaubte der rascher und rascher zunehmenden Menge von Bewohnern nicht, sich Häuser darauf zu bauen. Und dies nicht allein. Von der eigentlichen Mitte der Weltstadt, von Charing-Croß und Trafalgar-Square aus, streckt sich St. James-Park nach dem großen Parke der Königin am Buckingham-Palaste auf dem freien, weiten Constitutionshügel, der sich unmittelbar an den baum- und rasenreichen Green-Park anschließt. Dieser führt nun unmittelbar in den Hyde-Park, jenseits welches die Kensington-Gärten die Schönheiten aller drei Parke vereinigen und weiter hinaus nach Westen dehnen. Diese Oase von immergrünem Rasen, wundervollen Bäumen, fließenden Teichen und duftigen Inseln – allein groß genug für das ganze Berlin – lacht und sonnt sich und die Menschen mitten in der Westendstadt. Keinem Angebote, keinem Speculanten, keiner Intrigue gelang es, diese immer kostbarer gewordenen Plätze zu kaufen und als Baustellen auszuschlachten. So mußte sich das Westend jenseits derselben westlich, südlich und nördlich darum herumlegen und hat dafür nun täglich das Vergnügen, aus seinen kostbaren Palästen und umgarteten Villas stadteinwärts zu reiten und zu fahren und sich – während der Parlamentszeit – in der sonnigsten, gesundesten Frühzeit seiner Fahr- und Reitcorsos zu erfreuen.

Aehnliche Schonung von Bäumen und offenen Plätzen und deren Verschönerung zu Parks machen sich in allen andern Theilen Londons geltend, in ganz England, wo kein öffentlicher Baum ohne besondere Parlaments-Majorität umgehauen werden darf. Der erste Industrie-Ausstellungs-Palast von 1851 mußte für viele Hunderttausend Thaler mit dem großen Mittel-Transeptgewölbe versehen werden, weil die noch jetzt stehende mächtige Ulme mitten auf der Baustelle vom Parlamente in Schutz genommen ward, so daß der riesige Baum mitten im Glaspalaste stehen bleiben mußte.

Nachdem wir durch St. James- und Green-Park uns schon frisch gewandert, nähern wir uns mit empfänglicheren Sinnen der Hyde-Park-Ecke, dem Hyde-Park Corner. Ich habe berühmte Touristen gesprochen, die alle städtischen Großartigkeiten vom Newsky Prospect in Petersburg bis zur Puerta del Sol in Madrid kennen und natürlich auch die an sich classische Schönheit des Brandenburger Thores in Berlin, aber sie sagen, es gäbe nichts Malerischeres, Kaleidoskopischeres und Moussirenderes von Scenerie und Leben, als Hyde-Park-Corner. Häßlich und lächerlich reitet allerdings Wellington hoch oben quer über den noblen, großartigen Thorbogen mit den Meisterstücken nie gebrauchter gußeiserner Riesenportale, reitet er, in sein eisernes Bettlaken gewickelt, ewig zum Scandale des englischen Geschmacks; allein wir denken nicht daran, uns den Nacken zu verrenken, um dieses Monstrum in Augenschein zu nehmen. Die großartig heitern Eingangscolonnaden locken uns hinüber über die wimmelnd, reitend und fahrend belebte Straße, hinein in die unabsehbare Sonnigkeit auf grünem Riesenteppich mit den malerisch verstreuten und gruppirten Bäumen, der glänzenden Mannigfaltigkeit von Lustequipagen, den Pferden, den Damen und Herren zu Pferde, dem bunten Geschiebe und Getriebe von Menschen, die sich hier wirklich amüsiren, erholen wollen und nicht mit gespannten Gesichtern und fliegenden Rockschößen vom Geschäft getrieben und geschoben werden, wie weit im Osten, in der City. Vor uns die unbegrenzte Herrlichkeit englischer Parknatur mit dem reichsten Lebens- und Lustgewoge, die stolzesten Paläste an der einen Seite, die Achillesstatue und vieles Andere, hinter uns die immer frischen Reize des Green-Parks und doch mitten in London mit seinen glänzendsten, reichsten Theilen; denn jenseits dieses Parkes und weit und breit darum herum liegen, prangend und sich weiter und weiter streckend, die Westendprachtvorstädte – ohne daß wir im ganzen Hyde-Parke nur eine Ahnung von denselben bekommen.

Die meisten Herrschaften um Hyde-Park herum haben, glaub’


  1. Der Verfasser hat hier Rotten-Row und Hyde Park benutzt, um, wie er seit länger als zehn Jahren schon in unserm Blatte gethan, auf den einen großen englischen Vorzog öffentlicher Gesundheitspflege und gesunden Städtelebens hinzudeuten. Ganz in demselben Sinne sollen seine „Deutschen Früchte aus England. Erzählungen und Erlebnisse“ wirken, die soeben bei Grunow in Leipzig erschienen sind. Wir erlauben uns unsere Leser und Leserinnen auf dieses neueste Erzeugniß des fleißigen und geistvollen Verfasseers aufmerksam zu machen, in welchem dieser mit allen Mitteln des Ernstes und des Scherzes, der Erzählung und der Schilderung die wirklich deutschen Früchte englischer Cultur bei uns zu acclimatisiren und einheimisch zu machen sucht.
    Die Redaction. 
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_708.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)