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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Dorfanlage und Hausbau in Deutschland.
Von Wilhelm Jungermann.
Die Dorfanlage als geschichtliche Urkunde. – Dr. Landau in Kassel. – Der fränkische, der sächsische und der thüringisch-slavische Bauernhof. – Die Hufeisenform der thüringischen und lausitzer Dörfer. – Die Inschriften, Sinnsprüche und Rebus am fränkischen Hause. – Die Utlucht und die Dehle des altsächsischen Hauses. – Gemüthliche Behaglichkeit desselben.

Wie wir heutzutage andere Augen bekommen haben für uns selbst und unsere Rechte und Aufgaben im Leben, so haben wir auch das Leben der früheren Zeiten mit anderen Augen ansehen lernen. Mit dieser veränderten Anschauung aber über die Aufgaben der Geschichtschreibung ist nun auch die Art und Weise der Forschung eine ganz andere und gar Manches als werthvolle Quelle erkannt worden, woran wir früher gleichgültig vorüber gegangen sind. So wäre es wohl noch vor zwanzig Jahren Niemand eingefallen, die Anlage unserer Dörfer und den Bau unserer Häuser als Mittel zur Erkenntniß für Dinge und Zustände anzusehen, die auf weit über tausend Jahre in unsere frühere Geschichte hinabreichen, ja die einzigen sicheren Urkunden für die wichtige und interessante Frage sind, wie es in der vorgeschichtlichen Zeit im deutschen Lande ausgesehen und was wir eigentlich als ursprünglich deutsches Land zu betrachten haben.

Der Mann, der zuerst auf diesen Gedanken gekommen, ist in der gelehrten Welt bereits wohlbekannt; er verdient es aber auch um seines treuen Fleißes und seiner naturwüchsigen und echt volksthümlichen Forschungsweise willen, daß auch die weiteren Volkskreise von ihm und seinen Arbeiten Kenntniß erhalten. Es ist der Archivrath Dr. Georg Landau zu Kassel. Landau, der sich vielfach mit unserer ältesten Geschichte und deren dürftigen und unzureichenden Quellen beschäftigt hat, über dem Schweinsleder und Pergament aber das helle Auge für die Dinge des wirklichen Lebens nicht verlor, gewann nach und nach die Ueberzeugung, daß Häuser und Dörfer es wohl in Deutschland so lange gegeben haben müsse, als unser Volk überhaupt Ackerbau betrieben und feste Wohnsitze gehabt, daß ferner auch die Art und Weise, wie unsere Dörfer angelegt, unsere Feldfluren aufgetheilt und unsere Bauernhäuser gebaut und eingerichtet worden, jedenfalls Einrichtungen von einer solchen Zähigkeit und unverwüstlichen Dauer seien, daß von ihnen aus vielleicht ein sicherer Rückschluß auf die ältesten Zustände unseres Volkes möglich erscheine. Weitere Nachforschungen ergaben denn auch wirklich für den Theil von Deutschland, wo sie zunächst angestellt wurden, eine so überraschende Stetigkeit und Gleichmäßigkeit in allen diesen Dingen, daß der Versuch, auf diesem Wege weiter vorzudringen, in jedem Fall als lohnend erscheinen mußte. Mit diesen Ergebnissen trat Landau – ich glaube es war im Jahre 1855 oder 1856 – vor die Hauptversammlung des Vereins der deutschen Geschichts- und Altertumsforscher und sprach denselben um seine Unterstützung für die Ausführung derartiger Forschungen durch ganz Deutschland an. Der Verein ging auch bereitwillig auf diesen Vorschlag ein; es nahm sich jedoch auch König Johann von Sachsen der Sache an, und später bewilligte auch die preußische Regierung eine entsprechende Geldsumme zur Förderung dieses Zweckes. So wurde Landau in den Stand gesetzt, zunächst die Dörfer und Häuser in beiden Hessen, Nassau und baierisch Franken zu untersuchen, denn diese Art von Studien muß nicht blos mit den Augen, sondern auch mit den Beinen abgemacht werden. Eine zweite Reise führte ihn nach Westphalen und in das alte Sachsenland, eine dritte nach Thüringen, in die Lausitz, nach Schlesien und bis nach Polen. Seitdem haben die Untersuchungen geruht, weil der Alterthumsverein keine Mittel mehr hatte und auch sonst Niemand sich bereit fand, die nöthigen Mittel herzugeben. Noch aber stehen die Forschungen in einem großen Theile von Deutschland zurück: die Rheinlande fehlen noch, Baiern, Baden, Württemberg und die norddeutschen Länder sind noch nicht besucht, und ein Abschluß der ganzen wichtigen und mühevollen Arbeit ist daher vor Beendigung dieser Forschungen nicht möglich.

Und nun zur Sache selbst.

Vor Allem sei darauf aufmerksam gemacht, daß wir es hier nicht mit der Anlage der Städte und dem Bau der städtischen Häuser, sondern nur mit den Dorfanlagen und den Bauernhäusern zu thun haben. So wichtig die Entwickelung des städtischen Eigenthums für viele geschichtliche Fragen ist, so entscheiden doch die städtischen Bauten nichts für die hier in Beracht kommenden Verhältnisse, weil die ältesten Deutschen nicht in Städten, sondern nur in Dörfern oder etwa in Einzelhöfen gewohnt haben. Nach dem Charakter der Dorfanlage und dem bäuerlichen Hausbau aber hat Landau bis jetzt drei scharf gesonderte Gruppen unterschieden: den fränkischen Bauernhof in beiden Hessen, Nassau, dem fränkischen Baiern und bis zum Neckar; den sächsischen Bauernhof im alten Sachsenland (Westphalen, Engern und Ostphalen) und den thüringisch-slavischen Bauernhof an der Nordgrenze von Kurhessen, in Thüringen und in der Lausitz bis zum Queis. Daneben steht dann noch mit einem anscheinend dem altsächsischen Bauernhause ganz gleichen Hausbau der räthselhafte westphälische Einzelhof in dem Lande nordwärts von der Lippe. Dieser westphälische Einzelhof, der sich sonst nirgends weder in Franken, noch im alten Sachsenland, noch in Thüringen und in der Lausitz findet, der scharf abhebend von der Lippe nur in dem Lande nördlich von diesem Flusse vorkommt, wird uns weiter unten noch ausführlicher beschäftigen. Hier genüge nur die kurze Bemerkung, daß dieser Einzelhof – wie ja schon der Name erkennen läßt – den geraden Gegensatz zu der Dorfanlage bildet. In der Dorfanlage aber unterscheiden sich die echt deutschen Dörfer in Franken und im alten Sachsenland in keiner Weise von einander, wohl aber bilden sie einen sehr ausfallenden Gegensatz zu der Anlage der – nach dem Urtheil Landau’s wenigstens – ursprünglich nicht deutschen, sondern slavischen Dörfer in Thüringen und in der Lausitz.

Grundriß des thüringischen Dorfes Müncherode bei Jena.

Die echt deutschen Dörfer nämlich haben eine doppelte Art der Anlage. Die älteste Form ist diejenige, bei welcher das Dorf als eine Gruppe von Höfen sich darstellt, in der eine bestimmte Ordnung nach Gassen nicht erkennbar oder, wo diese dennoch sich zeigt, erst durch spätere Anbauten gebildet worden ist. Mit dieser Dorfform ist sodann regelmäßig auch diejenige Flurordnung verbunden, in welcher die Hufe aus einzelnen Ackerstücken besteht, die je nach der Beschaffenheit des Bodens (Gewanne) in der ganzen Feldflur zerstreut liegen. Eine jüngere Dorfform zeigen diejenigen Dörfer, welche entweder in einer oder mehreren Gassen angelegt sind, oder auch als eine lang sich hinziehende Reihe zerstreuter Höfe erscheinen, während in beiden Fällen die Hufen dieser Dörfer in der Regel ein zusammenhängendes Stück bilden. Dörfer mit solchen zerstreut liegenden Höfen finden sich hauptsächlich im Gebirge (Oberbaiern) und in den Marschen Norddeutschlands. Im Gegensatz zu dieser deutschen Dorfanlage haben nun die slavischen Dörfer in Thüringen und in der Lausitz eine bald mehr bald minder scharf ausgeprägte runde, hufeisenähnliche Form. Die einzelnen Hofreithen nämlich schließen sich fest an einander und die Einfahrten der Höfe gehen sämmtlich auf den inneren offenen Raum

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_763.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)