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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Falle sechszehn Fuß breit), auf ihr oder von ihr aus bewegt sich das Treiben des ganzen Hauses. Die sämmtlichen Ställe sind gegen die Dehle hin offen, so daß das Vieh seine Köpfe auf sie herausstreckt und von hier aus gefüttert wird; auf der Dehle wird der Flachs zubereitet, auf ihr treiben sich Hühner und Tauben, Gänse und Enten umher, um ihr Futter zu suchen und zu finden, auf ihr bewegt sich auch vorzugsweise die Kinderwelt des Hauses. Die Dehle ist sodann in entsprechender Höhe durch starke Eichenbohlen vom Dachraum abgeschieden, und auf diesem Raum, dem sogenannten Balken, wird das noch nicht gedroschene Getreide aufbewahrt. Die Räume über den Ställen und Kammern dagegen, rechts und links von der Dehle, sind ebenfalls durch Eichenbohlen vom Dachraum abgeschieden. Es sind dies die Böhnen, auf denen, je über den entsprechenden Ställen, das Viehfutter und außerdem das Obst, das Mehl, die Victualien und das gedroschene Getreide untergebracht wird. Zu diesen Böhnen sowohl, als zu dem Raum über der Dehle führen aber keine Treppen, sondern einfache Leitern. Nur der über dem Heerd befindliche Raum ist ganz offen. Es ist zwar daselbst aus Bretern ein Rauchfang angebracht, ein Schornstein aber fehlt. Der Rauch durchzieht das ganze Haus und sucht sich seinen Ausweg, wo er ihn eben findet.

Das soeben beschriebene Haus bildet, geräumig wie es ist und sein muß, den Hauptbestandtheil des altsächsischen Bauernhofs. Ein rechter sächsischer Bauernhof aber umfaßt mit dem Haus immerhin eine Fläche von mindestens zwei Morgen und bildet gewöhnlich ein längliches, von einem Zaune umfriedigtes und durch ein breites Thor (das Heck) verschlossenes Viereck, das sehr häufig von einem Kranze alter Eichen und anderer Waldbäume umschlossen wird.

So unvortheilhaft das finstere Aeußere des sächsischen Bauernhauses gegen das fränkische Haus absticht, ein so sinniges, patriarchalisches Familienleben gestattet doch dasselbe. Je abgeschlossener nach außen das Hauswesen des sächsischen Bauern auftritt, um so inniger verbunden zeigt sich dasselbe in seiner inneren Einrichtung. Vieh und Menschen, Herr und Knecht, Frau und Magd, Kind und Kegel – das Alles ist nur ein Ganzes und bewegt sich unter einem und demselben Dach, fast auf einem und demselben Raum. Wie der Hausherr zu jeder Zeit das Treiben der Knechte, so kann die Hausfrau auch in jedem Augenblick das Treiben der Mägde, die Pflege des Viehes übersehen. Der Theil des Hauses aber, an dem die Hausfrau die meiste Zeit des Tages, jahraus jahrein sich aufhält, ist der Heerd. Am westphälischen Haus versteht man erst den Sinn des Wortes: „sich einen eigenen Heerd gründen“. Hier brennt fast den ganzen Tag ein lustiges Feuer, hier wird das Mittag- und Abendbrod verzehrt, hier sitzt die Hausfrau hinter dem Spinnrad und betrachtet und übersieht Alles, was im Hause vorgeht. Namentlich aber ist dies in den Häusern der Fall, wo die Wohnstube nicht längs der Dehle liegt, sondern die der Utlucht entgegengesetzte Seite des Hauses abschließt, der Heerd also, der unmittelbar vor der Wohnstube gelegen ist, fast den Mittelpunkt des ganzen Hauses bildet.

Fragen wir nun nach dem Gebiet, in dem dieses sächsische, jedoch in manchen Gegenden bereits stark modificirte Bauernhaus sich vorfindet, so dürfen wir wohl annehmen, daß es ursprünglich in dem ganzen alten Sachsenlande verbreitet gewesen ist, also in dem Gebiet der alten Westphalen, Engern und Ostphalen, nämlich in den Ländern südlich von der Lippe bis zur Weser und von der Weser bis zum Harz. Die heutige Ausdehnung dieser Bauweise entspricht dagegen nicht mehr diesen Grenzen des alten Sachsenlandes. Gänzlich verwischt ist dieselbe namentlich im Osten, wo vom sächsischen Thüringen her der thüringische Hausbau seit ein paar Jahrhunderten – wir wissen nicht aus welchen Gründen – übergegriffen hat und zwar von den Ufern der untern Werra her bis zur Ostseite des Solling, ja bis zum Harz, so daß erst bei Elze und Hildesheim sich der sächsische Bau wiederfindet. Dagegen scheint der sächsische Bau in das Land nördlich der Lippe, wo der Einzelhof herrscht, bis an die Grenze Ostfrieslands sich ausgedehnt zu haben. Die Grenzen im Westen nach dem Rhein hin sind noch nicht festgestellt, wohl aber ist dies geschehen in der Richtung nach Süden, also nach dem Gebiet des fränkischen Stammes, und zwar geht hier die Scheide haarscharf auf der Grenze der beiden großen Volksstämme her, so daß wir z. B. im nördlichen Theil von Kurhessen und in Waldeck schon die dicht bei einander liegenden Dörfer mit fränkischem und sächsischem Bau genau erkennen.

(Schluß folgt.)




Der Ueberfall bei Zwickau.
Nach den Mittheilungen eines alten Freiwilligen.
Von G. Ladendorff.

Am 28. Mai des Völkerfrühlingsjahres 1813, wo aus den tief auf Deutschland herabhängenden Wetterwolken plötzlich die Gedankenblitze Freiheit und Vaterland den Sturmgeist entzündeten, der die Erhebung und bürgerliche Selbstthätigkeit des preußischen Volkes hervorrief, lagerte in einem prächtigen Laubwalde zwischen Reichenbach und Schneeberg in Sachsen eine achtzig Mann starke Abtheilung freiwilliger Jäger und zwölf Husaren, die der preußische Rittmeister von Colomb vom brandenburgischen Husarenregiment befehligte.

Dieser unternehmende, gewandte und glückliche Parteigänger, der den gehobenen Pulsschlag der Zeit erkannte und der deutsch-patriotischen Gesinnung des sächsischen Bruderstammes vertraute, hatte die kleine ausgewählte Schaar aus dem Lager von Meißen über die Elbe, längs der böhmischen Grenze nach dem Voigtlande geführt, um hier, im Rücken der französischen Armee, seinen Thatendurst und Napoleonhaß im Blute des Feindes zu kühlen.

Es war damals eine Zeit der Angst und Besorgniß. Die bei Lützen und Bautzen geschlagene Armee der Preußen und Russen war auf das rechte Ufer der Elbe zurückgegangen und sollte über die Oder geführt werden, nach deren Ufer an mehreren Punkten bereits die Pontonbrücken vorausgeschickt waren. Die Russen ließen deutlich die Absicht durchblicken, Schlesien aufzugeben und sich nach Polen zrückzuziehen, wohin die preußische Armee ihnen folgen sollte. Wenn diese Absicht zur Ausführung kam, war Preußen verloren. Die verbündete Armee hätte die aufgegebenen Gebiete, welche sie ja nicht einmal zu vertheidigen wagte, niemals wieder zurückerobert, die Erhebung des preußischen Volkes verblutete unter der Adlerkralle des fränkischen Kaisers und Deutschland war eine sichere Beute des glücklichen Corsen.

Dazu hatte man Verhandlungen wegen eines Waffenstillstandes eingeleitet, die das ganze Land in die größte Aufregung versetzten, weil man glaubte, daß daraus ein fauler, für Preußen schimpflicher Frieden hervorgehen würde. Blücher, den die Umgebung seines Kriegsherrn einen „betrunkenen Tollkopf“ und „blinden Dreinstürmer“ schelten durfte, und die thatkräftigen Männer seines Generalstabes paralysirten zum Glück die Anstrengungen, womit die Schwachköpfe im Hauptquartier die Friedenspolitik des flachen, pfiffigen, undeutschen Metternich unterstützten, und das Feldgeschrei der Nation: „Sieg oder Tod! Freiheit oder Untergang!“ besiegte die Bedenklichkeiten, welche man der Fortführung des Krieges entgegensetzte.

Auch der Rittmeister von Colomb gehörte zu jenen Männern der That, des Wagnisses auf Leben und Tod, die in den Zelten der Armee den mächtigen Ideenstrom wach erhielten, der so thatkräftig durch das Land rauschte. Er hatte erkannt, daß die Ketten der Fremdherrschaft nur durch die selbstthätige Kraft der Nation gesprengt werden konnten, und darum unterstützte und beförderte er die Erhebung der todesmuthigen Jugend und war eifrig bemüht, daß die Hitze des Freiheitsenthusiasmus, welche den in prudelwitzischen Subordinationsideen befangenen Officieren der alten Schule oft unbequem wurde, bei den ihm untergebenen Freiwilligen nicht unter dem Kühlapparat einer capriciösen Dressur verdampfte. Er behandelte die Schwadron freiwilliger Jäger, welche er führte, mit einer cameradschaftlichen Vertraulichkeit, die ihm alle Herzen gewann und seinen Befehlen die rücksichtsloseste und freudigste Ausführung sicherte.

Es war ein angenehmer Maitag, als Colomb nach einem anstrengenden Marsche seinem kleinen Detachement eine kurze Rast in dem Gehölz von Reichenbach gönnte. Langsam graute der Abend

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_765.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)