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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Kampf gegen den Anbruch der Nacht. Aus zunehmendem Dunkel suchten sie den Geliebten, den Gatten.

„Armer Heinrich!“ flüsterte sie, „Du wirst allein sein … Ich habe Dich doch mehr geliebt …“

Eine Thräne entquoll ihr, das Sinnbild ihres stillen, leidvollen Lebens. Und als flösse ihre Seele in dieser Thräne dahin, sagte sie plötzlich: „Warum schließt Ihr den Laden? – Ich sehe Dich nicht mehr –“

Dann bewegten sich nur noch leicht die Lippen – ein schweres, gewaltsames Ringen der Brust begann und endigte mit einem schmerzlichen Seufzer – – Heinrich war allein.

Elise fuhr empor, ihr Blick irrte vom knieenden, laut schluchzenden Mann über die ausgestreckte, marmorstille Gestalt auf dem Lager. Todt! todt! Keine Sühnung, keine Genugthuung, keine Versöhnung mehr … Sie sank vernichtet zurück.

Aus ihrem dumpfen, keines Gedankens fähigen Brüten weckten sie Schritte im Zimmer. Aufblickend gewahrte sie den Pastor, der zum Todtenbett trat und die Hand auf Oldenburg’s Schulter legte. Denn dieser kniete noch immer, ganz in Thränen, verloren in seinem Schmerz, vor der Entseelten.

Als sich Elise erhob, warf der Pastor einen strengen Blick auf sie und sagte: „Was wollen Sie hier? Gott ließ es in seiner unerforschlichen Geduld geschehen, daß Sie das Lebensglück dieser armen Frau zerstörten. Genügt Ihnen dies Opfer nicht? Wollen Sie der Todten auch seinen Schmerz und seine Reue nicht gönnen? Gehen Sie! Entweihen Sie nicht die Heiligkeit eines Sterbelagers!“

Elise machte eine flehende Bewegung mit den Händen, dann preßte sie ihre Rechte auf das verwundete, zuckende Herz und sprach mit schmerzlicher Gelassenheit: „Seien Sie nicht härter, als sie, die strenger als Alle mit mir rechten durfte! Sie hat mir vergeben.“

„Fiel die Vergebung eines Engels nicht brennender als ein Fluch auf Ihre Seele?“ eiferte der Andere. „Können Sie selber sich vergeben?“

Jetzt erhob Elise den Blick, den sie gesenkt hatte, und sah dem Priester nicht trotzig, aber fest in’s Auge. „Ich weiß,“ sagte sie, „daß ich, gestern verachtet, von heut’ an geächtet bin. Ich könnte jetzt mein Herzblut aus den Augen weinen, Sie blieben ungerührt. Doch nicht das ist’s, was mich schaudern macht, sondern der Gedanke, daß jene Frau und er und ich an einer Lüge zu Grunde gingen … Schuld aus Liebe erhält von der Liebe Flügel und flüchtet sich über der Welt Erbärmlichkeit zu Gottes Richterthron. Seit heute aber weiß ich, daß wir – jener Mann und ich – uns nicht liebten, und das, das stürzt mich vor Eure Füße; steinigt mich!“

Bevor der erstarrte Priester Worte der Entgegnung fand, hatte Elise mit einem letzten Blick auf Oldenburg, der nichts sah, nichts hörte, das Zimmer verlassen.

Sie ging durch den Wirthsgarten, der an das Grundstück ihres Vaters grenzte. Es war unterdessen spät geworden; der Abendwind spielte mit ihrem verwirrten Haar und kühlte ihre heißen Wangen. Aber der stechende Schmerz in den Schläfen, der Krampf ihrer Brust löste sich nicht. Niemand begegnete ihr, doch wäre auch das ihr gleichgültig gewesen, in diesem Zustand gesehen zu werden. Als sie am Garten vorüberschritt, sah sie durch die tiefgehenden Fenster eine zahlreiche Versammlung von Waldkirchener Bürgern und Arbeitern. Ein fremder, schwarzgekleideter Mann stand auf einer Tribüne, welche sonst als Orchester diente, und redete zu Jenen mit großem Pathos und heftigen Gebehrden. Allein auch dies seltsame Schauspiel verzögerte nicht Elisens Schritt, zerstreute nicht ihre düstern Gedanken. Sie hatte es vergessen, sowie sie am Saal vorbei war. Hinter einer Rebenhecke im Zaun versteckt befand sich eine Thür. Diese erschloß das Mädchen und betrat durch sie den Garten ihres Vaters.

(Fortsetzung folgt.)




Ein gekröntes Opfer.
Historische Skizze. Von H.

Die kaiserliche Burg zu Wien bot im Innern und Aeußern den Anblick eines ungeheuren steinernen Bienenstocks, als der 16. April des Jahres 1770 herangekommen war. Die große Treppe, welche zu den kaiscrlich königlichen Gemächern führte, war besetzt mit Hatschieren und den Soldaten der ungarischen und deutschen Leibgarde, die sich in zwei Gliedern bis an die Vorzimmer der Empfangssäle aufgestellt hatten. Draußen auf der Gasse und dem Platze wogte eine erregte Menschenmenge hin und her und eilte neugierig herbei, wenn wieder eine Galakutsche vorfuhr und ihres Inhaltes, reich gekleideter Herren oder Damen jedes Alters, sich vor dem Hauptportale entledigte, unter dessen Bogen sechs ungeheuer große Hatschiere gleich Automaten, nur durch ihre Honneurbewegungen ein Lebenszeichen verrathend, postirt waren. – Ebenso lebendig, wie vor der Kaiserburg, ging es innerhalb derselben her. Schon wallte eine glänzend gekleidete, von Juwelen blitzende, mit den wunderlichsten Coiffuren versehene Gesellschaft durch die kaiserlichen Gemächer, welche in einem durch Tausende von Kerzen erzeugten Meere von Lichtschein zu schwimmen schienen. Alle Stände waren vertreten; die Uniform, die Robe des Advocaten, die Soutane des Abbé’s, das kostbare Gewand des Cardinals, des Bischofs – Alles mischte sich mit der eleganten Tracht stutzerhafter Cavaliere und den prächtigen Toiletten schöner, graziöser Damen.

Als die Uhren die sechste Stunde schlugen, fuhr donnernd, mit schnaubenden Rossen, eine kostbare Equipage vor das Portal. Die Läufer öffneten den Schlag. In prachtvoll gesticktem, rothsammtnem Hofkleide, die Kniegürtel, die Agraffen seiner Spitzenmanschetten, die Schuhschnallen, Schleifenhalter, die Knöpfe des Rockes und sein Degengefäß in Brillanten funkelnd – so stieg ein Cavalier aus dem Wagen. Alsbald präsentirten sämmtliche Soldaten und Hatschiere, und die höchsten Officiere gingen dem reichgekleideten Manne entgegen und geleiteten ihn in den Empfangssaal, wo sich die Menge aller der Hohen vor ihm neigte, was er mit tiefer, sehr ceremonieller Verbeugung erwiderte.

„Seine Excellenz der Herr Marquis de Durfort, Envoyé Sr. allerheiligsten Majestät Ludwig’s des Fünfzehnten von Frankreich,“ tönte es durch den Saal; fast zu gleicher Zeit sprangen die Flügelthüren, welche in das Innere des Kaiserschlosses führten, auf, und eine zweite Stimme rief: „Die Kaiserin-Königin! der Kaiser!“

Maria Theresia trat in den Saal, geführt von ihrem Sohne Joseph dem Zweiten. Hinter ihnen folgten die Prinzen und Prinzessinnen des kaiserlichen Hauses. Darauf ward es still im weiten Saale, dann hörte man eine Rede in französischer Sprache, dann wieder eine Antwort darauf, und endlich nahm die Kaiserin die Hand eines jungen Mädchens und führte es dem Marquis Durfort zu.

Das junge, schöne Wesen zitterte und war bleich. Es empfing aus den Händen des Gesandten ein Bildniß, umgeben von Diamanten, welche funkelten und zackige Blitze schossen. Als die junge Dame das Bild ergriff, stammelte sie eine kurze Rede. Dann nahm die Gräfin Trautmannsdorf das Portrait und heftete es mit einer kostbaren Nadel an die Brust der jungen Dame. Nun konnte man sehen, daß es das Conterfei eines stattlichen, dabei gutmüthig und freundlich blickenden Jünglings von sechszehn bis siebzehn Jahren war. Zugleich übergab Durfort ein Schreiben, und damit hatte die Ceremonie ein Ende. Die schöne, junge Prinzessin war Maria Antoinette, Erzherzogin von Oesterreich, welche in diesem Augenblicke verlobt und hingegeben ward an Louis, Herzog von Berri und zukünftigen König Ludwig den Sechszehnten von Frankreich, der in jenem Schreiben seine Freude aussprach.

Als das Portrait des Dauphins an dem Busen der edlen, schönen, kaum fünfzehn Lebensjahre zählenden Prinzessin schaukelte, glänzten die Augen der Kaiserin Mutter vor Entzücken. Sie hatte es vollbracht, das große, politische Werk der Verbindung dieser zwei gewaltigen Häuser. Ihre Tochter theilte den ersten Thron Europas mit dem Nachkommen des heiligen Ludwig. Gleich einem elektrischen Strome durchlief dies Gefühl des Glückes, der Bewunderung, von Maria Theresia ausgehend, die versammelte Menge. „Welches Glück! welch eine Größe, welche Zukunft!“ so tönte das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_772.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)