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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Ueberfall bei Zwickau.
Nach den Mittheilungen eines alten Freiwilligen.
Von G. Ladendorff.
(Schluß.)

Ein tiefes Roth bedeckte die Stirn des Rittmeisters und seine Augen funkelten, als er sagte: „Mit diesem bramarbasirenden Falstaff der großen Nation werde ich morgen Abrechnung halten. So Gott will, soll er die preußischen Schulbuben fürchten und achten lernen und sich als Gefangener vor ihnen beugen.“

Dem jungen Mann die Hand reichend, setzte er hinzu: „Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen und werde dafür Sorge tragen, daß Ihnen aus dieser patriotischen Handlung keine Unannehmlichkeiten erwachsen.“

„Unannehmlichkeiten, die mir von den sächsischen und französischen Behörden bereitet werden könnten,“ entgegnete Bömann, „glaube ich nicht mehr fürchten zu dürfen, weil ich mich der Hoffnung hingebe, daß Sie mir erlauben werden, fortan unter Ihrer Führung für Deutschlands Befreiung fechten zu dürfen.“

„Ich werde Sie gern in die von mir befehligte Schwadron aufnehmen,“ erwiderte der Rittmeister mit freudiger Ueberraschung. „Möchte Ihr Beispiel dazu dienen, die deutsche Jugend zu einer gleichen thatkräftigen Handlungsweise anzuregen, damit wir die Schmach auslöschen können, womit Niedertracht, Feigheit und gemeine Selbstsucht den vaterländischen Boden befleckt haben.“

Sich an einen Officier wendend, der mit ihm aus der Hütte getreten war, sagte er: „Herr Lieutenant Eckart, ich ersuche Sie, den Freiwilligen Bömann für den preußischen Waffendienst in Eid und Pflicht zu nehmen. Lassen Sie ihm sein Pferd zurückgeben und ergänzen Sie nach Möglichkeit seine Ausrüstung. Zugleich bitte ich Sie, dafür Sorge tragen zu wollen, daß das Detachement in einer Stunde marschfertig ist.“

Nach der bestimmten Zeit trat der Rittmeister vor die Front seiner kleinen Schaar.

„Cameraden,“ rief er mit seiner klaren durchdringenden Stimme, „ich führe Sie heute einem eben so ernsten wie wichtigen Unternehmen entgegen. Wir werden einen feindlichen Artillerie-Train angreifen, der von einer uns weit überlegenen Bedeckung escortirt wird. Ich weiß, daß Sie den Feind nicht zählen, und daß ich Ihrer persönlichen Tapferkeit das Unmögliche anmuthen darf. Dies reicht aber nicht aus, um unserem heutigen Unternehmen den Erfolg zu sichern, der uns allein gegen den Vorwurf unüberlegter Tollkühnheit schützen kann. Ruhe und unbedingte Befolgung jedes Befehls, Umsicht und Geistesgegenwart sind unerläßlich, wenn wir den Sieg erringen wollen. Lassen Sie uns heute zeigen, daß wir nicht blos tapfere, sondern auch gut geschulte Soldaten sind, die sich in allen militärischen Tugenden den alten Schnurrbärten, welche so oft die Nase über uns gerümpft haben, ebenbürtig an die Seite stellen können. Verunglückt unser heutiges Unternehmen, so verwelkt aller Ruhm, den wir uns bereits erfochten haben, unter dem Tadel der öffentlichen Stimme, die ihre Weisheit und ihre Vorsicht durch den Ausgang zu rechtfertigen sucht. Ich habe genug gesagt! Aufgesessen! Marsch!“

Es war eine finstere Nacht, als die kühnen Parteigänger in tiefem Schweigen und fast lautlos aus dem Reichenbacher Walde rückten. Schwarze Wolken bedeckten den Himmel, ein dunstiger Nebel lag wie ein weißer Schleier auf Berg und Thal.

Colomb, bei seinem Muthe jederzeit auf die Winke der Vorsicht hörend, ließ seine kleine Schaar sich nur langsam vorwärts bewegen. Er selbst befand sich bei der Spitze der Avantgarde, die ihre Marschrichtung nach den Angaben des Freiwilligen Bömann einrichtete, welcher das Corps auf Nebenwegen, durch dichtes Gebüsch, über zahlreiche Bäche, Hügel und Gräben und die Ortschaften Oberheinsdorf und Planitz seinem Ziele entgegenführte.

Bei Anbruch des Tages umging das Detachement die Stadt Zwickau und gelangte bald darauf auf die Straße, welche von diesem Ort nach Chemnitz führt.

Der Rittmeister recognoscirte die Gegend und gab hierauf die Dispositionen zum Angriff. Den Lieutenant von Katte legte er mit seinem Zuge auf der dicht bewaldeten Mülsener Anhöhe, welche die Straße beherrscht, mit dem Befehl in den Hinterhalt, die feindliche Avantgarde ungestört auf den Berg vorrücken zu lassen und sie hier stürmisch anzufallen. Mit dem übrigen Theil des Detachements ging er etwa sechshundert Schritt gegen Zwickau zurück und stellte seine Reiter hier, bei einer Biegung, welche die Straße macht, wohl verdeckt in einem Gehölz auf. Er selbst nahm mit dem Oberjäger von Heuthausen und den Freiwilligen Föring und Bömann hinter einem Erlengebüsch Stellung, von wo aus sich die ganze Straße übersehen ließ.

In der Erwartung auf den bevorstehenden Kampf gingen die Morgenstunden dieses Tages an den heißblütigen Weglagerern mit fast unerträglicher Langsamkeit vorüber. Während der Schlachtenmuth ihr Blut stürmisch durch die Adern trieb und sie heftig aufregte, mußten sie eine lange Zeit, wie angenagelt, in den ihnen angewiesenen Stellungen stehen und mit brennender Thatenlust auf den Feind lauern, der sich gerade nicht beeilte, die schönen Nachtquartiere zu früh zu verlassen.

Endlich, die Sonne stand schon hoch am Himmel, zeigte sich die Avantgarde der Franzosen, und bald darauf entwickelte sich auch aus dem nach der Muldenbrücke führenden Thor der Stadt die schwerfällige Traincolonne. An der Spitze derselben marschirte eine Compagnie Infanterie, kleine Trupps derselben Waffengattung umgaben den langen Wagenzug von beiden Seiten, während eine starke Cavallerie-Abtheilung den Nachtrab bildete. Die Avantgarde bestand aus etwa sechszig Cavalleristen, welchen man es an ihrer Haltung ansah, daß es ungeübte Leute waren, die ihre rohen, undressirten Pferde kaum zu zügeln vermochten. Ungeordnet zogen sie an der Aufstellung des Rittmeisters vorüber, gefolgt von zweiundsiebzig Fahrzeugen, deren Bedeckung sich der größten Sorglosigkeit überließ. Der Rittmeister ließ sie ruhig ziehen. Als die Avantgarde aber die Höhe der Straße erreicht hatte und die Colonne eben aus dem Hohlwege treten wollte, in dem sich an dieser Stelle die Straße hinzieht, warf sich der Lieutenant v. Katte stürmenden Laufes auf die überraschten feindlichen Reiter, die nach einem kurzen Handgemenge kopfüber kopfunter den Berg herabgestürzt wurden, sich in einem ungeordneten Knäuel auf die an der Spitze marschirende Infanterie warfen und sie niederritten.

Einer Windsbraut ähnlich, stürmte fast in demselben Augenblick der Rittmeister mit seiner Abtheilung auf den Nachtrab ein, der sich eben formiren wollte, um seiner Avantgarde zu Hülfe zu kommen. Die todesmuthigen Jäger hieben nach den Pferden, verwundeten die überraschten Reiter, sprengten sie auseinander und bahnten sich mit unwiderstehlicher Tapferkeit eine Straße bis tief in den Wagenzug hinein. Sobald die Trainsoldaten merkten, daß sie im Rücken und in der Front von einem erbarmungslosen Feinde angefallen waren, schnitten sie die Gespanne ab und stürzten sich mit dem verhängnißvollen Geschrei: „sauve qui peut!“ in wilder Flucht über Alles hinweg, was ihnen in den Weg kam. In gestrecktem Galopp ritten die Freiwilligen die Straße entlang; die Bedeckung wurde überall niedergehauen, die Pferde an den Fahrzeugen erstochen und nach kurzer Zeit waren sie an der Spitze der Colonne, wo der ganze aus Cavalleristen und Trainsoldaten bestehende Haufen den Berg hinaufgetrieben wurde, während der Lieutenant v. Katte die Avantgarde gleich einer wilden Fluth herunterjagte. Hierdurch entstand ein entsetzliches Durcheinander, in dem die Jäger mit ihren scharfen Klingen mächtig aufräumten. Nach und nach entwirrte sich der zusammengerollte Menschenknäuel, die französischen Reiter setzten über den Graben, der die Straße einfaßte, gewannen freies Feld und suchten in eiliger Flucht ihr Leben und ihre Freiheit zu retten.

Den Capitain Bizot, den Führer des Parks, traf hier die wohlverdiente Strafe für die dummstolze Großsprecherei, womit er sich über die preußischen Freiwilligen ausgelassen hatte. Derselbe wurde nämlich auf der Flucht von dem Lieutenant v. Katte und einigen Jägern eingeholt. Er bat um Pardon, als er aber den Degen abgeben sollte, warf er sein Pferd schnell herum und jagte davon. Der Lieutenant von Katte war ihm jedoch bald wieder zur Seite und sein Säbel schwebte bereits drohend über dem Haupte des Franzosen, als dieser sich abermals Pardon erflehte. Nachdem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_776.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)