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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Blick auf die weiße Villa abschließt, da hatt’ ich eine Scene vor mir, so rührend in ihrer Natürlichkeit und so malerisch in ihrer Wirkung, daß ich sie wirklich niemals vergessen werde.

Den Laubgang herunter, uns entgegen, kam ein kleiner Handwagen, eine Art von Rollstuhl, so wie man ihn für Kinder oder Patienten gebrauchen mag, und darin saß die kräftige und schöne Gestalt eines verwundeten Kriegers, in dem Mantel, den er am Tage der Schlacht getragen; und hinter dem Wagen, halb über ihn gebeugt, war die volle, üppige Figur einer Tochter des Südens, mit dunklen Augen, dunkel wie eine südliche Nacht, die ganz voll Sterne ist, mit schwarzen, dicken Flechten, mit so viel Anmuth, so viel Grazie, so viel Melodie in der üppigen Formenfülle und mit einer Hülle, die sie nach Art der italienischen oder spanischen Frauen um den Kopf geschlungen hatte. Sie war es, die den Wagen fuhr, in welchem der Blessirte im Mantel saß. Daneben ging eine andere Dame, schlank, majestätisch in ihrer aufrechten Haltung, mit einem Gesicht, das voll innigster Sorgfalt und Theilnahme dem Kranken und der Krankenpflegerin zugewendet war. Gab es einen größern Contrast, als den zwischen den beiden Schwestern? Die Eine mit dem nixenhaften Lächeln, mit dem abendländischen Haar und dem morgenländischen Profil, die Andere mit der satten, tiefen Gluth des Südens in der Farbe ihres Gesichts und mit jener bezaubernden Harmonie in den Formen ihres Körpers, in jeder Bewegung, jeder Biegung, als ob Alles Musik und Wohllaut wäre – Musik für das Auge! Aber doch waren es Schwestern, die Schwestern, von denen die eine die Frau meines Freundes, des General-Consuls J., und die andere die Braut des Hauptmanns Paul von K. war.

Welch ein liebliches Bild das war, wie sich die Gruppe daherbewegte, mit so viel Liebe in den drei Gesichtern und mit so viel Herbstduft und Abendsonne rings um sie her!

Ein Soldat – der Diener des Hauptmanns, der ebenfalls verwundet war – folgte in gemessener Entfernung, damit dem Idyll auch der kriegerische Hintergrund, aus dem es hervorgegangen, nicht fehlen möge.

Einige glückliche Stunden verlebte ich mit diesen liebenswürdigen Menschen. Es that meinem Herzen und meinem Auge wohl, die stille Seligkeit der Liebenden theilnehmend mitzuempfinden, und ich sagte, daß es für uns Poeten doch ein wahres Glück sei, hier und da im nüchternen Leben einmal solch ein romantisches Intermezzo zu haben, etwas von wirklichen Abenteuern, Gefahren, Verwickelungen und erfreulichen Lösungen, dieser Poesie der Wirklichkeit, die schöner, rührender und ergreifender ist, als Alles, was wir zu erfinden im Stande wären.

Dies sagte ich bei Tische, indem ich um die Erlaubniß bat, ein Glas funkelnden Vöslauer Weines (dieses Heimathweines der guten Oesterreichn) dem Wohle der Beiden zu trinken, welche der Schleswig-Holstein-Krieg auf eine so unerwartete und ehrenvolle Weise vereint hatte.

„Selbst ist der Mann!“ erwiderte darauf mein Freund. „Das ist immer meine Maxime gewesen. Das Schicksal der Menschen wie der Völker liegt in ihren eigenen Händen. Denn der Erfolg fällt Niemandem fertig in den Schooß. Er will errungen und verdient sein. Ehrliche Arbeit und ehrlicher Lohn heißt es bei uns Kaufleuten; darum auch nach dem ehrlichen Kriege ein ehrlicher Frieden, ein ehrliches Glück allen Denen, die kämpfend oder duldend daran Theil genommen, und langen Ruhm dem Vaterlande, welches jetzt wieder in neuer Herrlichkeit vor allen Nationen steht!“

Ein Abglanz dieser Glorie schien auf die Beiden zu fallen, indem sie, von der Abendsonne umglüht, mit den Gläsern anstießen und sich treuinnig in die Augen blickten.

Mit einer angenehmen Empfindung denk’ ich an diesen Nachmittag und diesen Abend zurück; denn wenn ich von den wilden und blutigen Scenen des Krieges nur gelesen und gehört habe, so habe ich doch von dem Frieden ein wirkliches Bild – und welch ein freundliches! – gesehen und in meiner Erinnerung mit mir nach Hause, in dies große, volkreiche Berlin genommen.

Und heute, während ich diese Zeilen flüchtig zu Papier gebracht, wie sie das Herz mir dictirte, prangt ganz Berlin im Fahnen- und Flaggenschmuck zum festlichen Willkommen für die heimkehrenden Sieger, und auf dem Hamburger Bahnhof ist immerfort Musik und Hurrahgeschrei für die Oesterreicher, welche auf ihrem Weg in die Heimath unsere Stadt passiren.

Dort werde ich heut’ Nachmittag auch den Hauptmann von K. begrüßen, der, wie ich zu meiner Freude schon vernommen habe, von seiner Wunde vollständig wieder hergestellt ist, und noch ehe dies Jahr zu Ende gegangen, hoffe ich die Karte zu erhalten, welche mir die Anzeige macht, daß „Paul und Virginia“ ein glückliches Paar geworden sind.


Der Vogeltobies.
Die Wohnstube des Vogelmäcens. – Der Bauer mit dreiundzwanzig verschiedenen Vögeln. – Das Vogelfutter. – Die Vögel als Wetterpropheten. – Die Saison des Vogelgesangs. – Das Singen der Vögel im Traume. – „Gelernte Vögel und ihr Unterricht. – Der Finkenschlag. – Hahn und „Sie“. – Billigkeit des Vögelhaltens. – Das Finkenstechen. – Auf der Tränke. – Die Schneis. – Der Meisensang. – Der Vogelheerd.

„Hier finden wir den Mann, zu welchem ich Sie führen will,“ sagte mein Begleiter, ein bairischer Revierförster, mit dem ich auf einer Tour in den Frankenwald zusammengekommen war, „er ist Factor der kleinen Löffelfabrik, deren rußige Gebäude hier neben dem freundlichen Wohnhäuschen des Mannes liegen.“ Wir wurden auf das Herzlichste willkommen geheißen, nur wurde bedauert, daß wir gerade zu einer Zeit kämen, wo die Vögel nicht mehr sängen. Das mit zwei kleinen Fenstern versehene Wohnstübchen enthielt außer dem Bett, dem Tisch und einigen Stühlen in der That nichts als Vogelbauer, die theils an den Fenstern hingen, theils die diesen gegenüberliegende Wand bedeckten und selbst unter dem Ofen angebracht waren. Und welch ein Leben hier in den vielen kleinen und großen Käfigen! Diese kleine bunte Welt in ihrem schmucken Gefieder bildete einen wunderbaren Gegensatz zu der einförmigen todten Landschaft, die wir eben erst verlassen hatten. Es war ein unaufhörliches Hüpfen und Springen, ein lustiges Zwitschern und Piepen, ein munteres Spielen und Necken, so daß man fast meinen sollte, die kleine Gesellschaft befände sich hier in der Gefangenschaft wohler, als draußen im Freien. In einem einzigen Bauer, der sechs Fuß breit, vier Fuß hoch und zwei Fuß tief in eine Wandnische eingefügt war, wohnten dreiundzwanzig Vögel beisammen. Wir sahen hier eine Amsel, drei Dompfaffen, vier Finkmeisen, drei Blaumeisen, einen Zeisig, einen Hänfling, einen Stieglitz, eine welsche Grasmücke, drei Finken, ein Rotkehlchen, einen Grünling, einen Buchfinken oder Quäker, einen Emmerling und einen Meerzeisig oder Zetscher. Unter dem Ofen hatten außer verschiedenen schwarzköpfigen und welschen Grasmücken, Stieglitzen, Hänflingen und Rothkehlchen auch Feld-, Haide- und Dulllerchen ihr Logis angewiesen bekommen. An Zippen, Weindrosseln, Krammetsvögeln und dergl. fehlte es natürlich auch nicht.

In kleineren Drahtbauern, welche an den Fenstern hingen, waren die Kreuzschnäbel oder die „Kreinitze“ verwahrt. Auch im Frankenwalde ist der Glaube weit verbreitet, daß der Kreuzschnabel gewisse Krankheiten, namentlich die Gicht, der Menschen an sich ziehe und alsdann sterben müsse. Ob der Umstand, daß der Kreuzschnabel – von allen Vögeln der einzige – im Winter brütet, an der Entstehung dieses Volksglaubens Antheil hat, wollen wir dahingestellt sein lassen. Man findet aber, wie auf dem Thüringer Walde, so auch auf den Höhen des Frankenwaldes, fast in jedem Hause einen Kreuzschnabel, welcher, je nach seiner Stimme, mit dem Namen Kipper, Tripper, Witzer oder Sapper belegt wird und nur von den Samen der Tannenzapfen lebt, die er sich aus den ihm zugesteckten „Krusteln“ selbst herauszulösen weiß. Sämmtliche Vögel eines und desselben Vogelbauers, auch diejenigen des erwähnten größten Käfigs, fraßen aus einem und demselben Gefäße, und alle zusammen hatten auch nur ein Saufnäpfchen. Als der Besitzer der kleinen befiederten Wesen eine Hand voll Hanf in das Freßnäpfchen that, war es eine Lust, zu sehen, wie schnell die meisten Vögel von ihren Stangen herabgeflogen kamen, um rasch einige Körner zu erhaschen.

Am Eifrigsten zeigten sich die Dompfaffen oder Gimpel, die sogar Niemanden weiter am kleinen Freßständer dulden wollten und um sich bissen, hierdurch aber sich in einen Krieg verwickelten, der äußerst lebhaft im ganzen Bauer herum geführt wurde und so lange währte, bis die anderen Vögel ungestört die sämmtlichen vorgeworfenen Körner aufgefressen hatten, so daß die Gimpel schließlich gar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 791. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_791.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)