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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

daß ich sie in der Hand trage. ‚Geh wieder,‘ hat sie in einem Athem gesagt, ‚ich unterschreibe nichts, sag’s zu Hause, ich unterschreibe nichts!‘ Dann ist sie vom Fenster gleich fortgelaufen.“

Leonhard’s Augen zuckten, seine Züge veränderten sich, wie wenn er von einem Schreckensgedanken gefaßt worden wäre, und er stierte stumm vor sich hin.

„Gelt,“ rief Hansel mit einer gewissen Selbstzufriedenheit, „jetzt kannst Du nichts mehr sagen! Ich habe meine Sache doch ganz gut gemacht.“

Er begab sich wieder in den Stall zurück.

„Hätte sich Balbina anders besonnen?“ murmelte Leonhard, „so wollt’ ich nun an dieser Buche gleich die Stirn einrennen! Nein, nein, sie ist vor Gericht darauf bestanden, ich habe sie erst gestern gesprochen, nein, nein – dahinter wird nichts stecken, als eine kleine, lumpige Ursache!“

Er lehnte sich an einen Baumstamm, und wiewohl er noch in Gedanken versenkt blieb, klärten sich seine Züge wieder auf und nahmen ihren gewöhnlichen Ausdruck heiterer Sorglosigkeit und liebenswürdigen Leichtsinns an.

Er war ein ungewöhnlich schöner Mann von sehr hoher, aber gefälliger Gestalt, ein Bild der Kraft. Ein paar lebenslustige, feurige, dunkle Augen blitzten aus dem jugendfrischen, ebenmäßigen Gesichte einnehmend hervor. Der Teint war männlich gebräunt, die Nase fein und edel gebogen, die Stirn, wie nach dem Vorbild der Antike geformt, mit glänzend schwarzen, gelockten Haaren geschmückt; der Mund schön geschnitten, voll der herrlichsten Zähne, von einem sich kräuselnden Schnurrbärtchen überschattet. Wie er dastand in der Joppe, dem leicht gebundenen Halstuch, den nägelbesetzten Bergschuhen, den Wollstrümpfen und Kniehosen, unter welchen die Kniee frei vorschauten, war er das wahrhafte Künstlermodell eines schönen Gebirgsmannes.

Der stehende Ausdruck seines Gesichtes, sorglose Jugendlust, wurde aber von Zeit zu Zeit von seinem wahren Gegensatze durchbrochen, nicht allein, wenn Leonhard in einen Affect gerieth. Die freundlichen Augen wurden stier, die bacchusgleiche Stirn runzelte sich, die Nasenflügel öffneten sich, wie bei einem scheuen Pferde, der Mund zog sich wie zum Schnappen und Beißen in die Breite. Es war das Portrait eines schönen Banditen, der einen Anschlag brütete oder gar ausführen wollte. Es verrieth sich eine wilde Thatkraft, welche zwar noch niemals zum Ausbruch gekommen war, obschon es in Leonhard’s Leben nicht an Proben der Leidenschaft fehlte. Dennoch ließ sich dem Manne nichts nachsagen, als daß er aus übergroßer Lebenslust zu leichtsinnig, sehr verschwenderisch und, von Getränk erhitzt, händelsüchtig war.

Ein paar Wucherer hätten ihm freilich ärgere Dinge nachzusagen gewußt, welche ihn in der öffentlichen Meinung todtgemacht hätten. Er galt für einen der Wohlhabendsten in der Burgsau; man wunderte sich über seine großen Ausgaben, weil man dieselben für luxuriös hielt, aber man glaubte nicht, daß sie den Grundstock seines Besitzes untergrüben. Das war indeß längst der Fall. Leonhard’s Hof war hoch überschuldet und sein gänzlicher Bankerott konnte nicht länger als noch vier bis sechs Wochen auf sich warten lassen, wenn er nicht bis dahin bedeutende Mittel zur Deckung gefunden hatte.

Dieser schlechte Vermögenszustand erklärt auch seine Liebe zu dem reichsten Mädchen des Ortes, der Stegbauerstochter Brigitta, welche auch trotz des langen Widerstrebens der Eltern zur Heirath geführt haben würde, wenn der Stegwirth nicht vor Kurzem mit dem Plane der Kreuzheirath aufgetreten wäre.

Den Stegwirth, der ein sehr industriöser, aber bis zum Geize knauseriger Mann war, leiteten dabei zwei sehr nüchterne und einträgliche Motive. Brigitta war etwas reicher, als Balbina, und ihr Hof hing mit seiner Wirthschaft gerade so zusammen, wie der Ober- und Unteranger. Ihm war es daher mit der Arrondirung vollkommenster Ernst.

Anders verhielt es sich mit Leonhard, als er auf den Vorschlag des Stegwirths so rasch und unbedingt einging. Er verzichtete auf das reichere Mädchen, welches noch einen sehr energischen Vater hatte, und entschied sich für Balbina, die den großen Vorzug besaß, nur noch eine alte, gute und schwache Mutter zu haben, welche ihn nicht gehindert hätte, nach Belieben zu schalten und zu walten und über das angeheirathete Gut zur Deckung seiner Schulden mit rücksichtsloser Freiheit zu verfügen.

Bei dieser Sachlage hatten die Ueberraschung und der Schrecken nicht gering sein können, nachdem der Knecht die auf die neue Heirath bezüglichen Papiere ohne Balbina’s Unterschrift wieder zurückgebracht hatte.

Leonhard hatte lange Zeit an dem Baumstamme gelehnt. Seine Gesichtszüge hatten ihre Aufheiterung nicht lange behalten und waren seitdem wie von bösen Ahnungen und finsteren Zweifeln überflogen. Ein schwerer Kampf ging in ihm vor und die innere Unruhe zeigte sich durch das rastlose Trampeln der Füße.

Urplötzlich griff er nach seinem Hute und den Papieren, die auf dem Tische lagen, machte einen Seitensprung zum Brunnen, wo er an der Wasserröhre einige rasche und starke Züge that, setzte über den Hofraum und sprengte, trotz der wachsenden Tageshitze, den Fußsteig zu Balbina hinan.

Eine Magd war vor dem Hause, als er oben angekommen war.

„Wo ist Balbina?“ fragte er heftig, da sich seine innere Aufregung mit der physischen verstärkt hatte.

„Beim Bleichen,“ war die Antwort, „hinten bei den drei Kreuzen.“

Leonhard bog blitzschnell um die Ecke und sah schon Balbina keinen Büchsenschuß weit auf einem grünen Rundplatze, wo drei ungeheure Kreuze – Christus und die zwei Schächer – standen und mehrere Riesenblöcke lagen, wie sie die weit umher ausgebreitete Leinwand mit der Gießkanne emsig überspritzte.

Das Mädchen wurde seine Ankunft nicht früher gewahr, als bis er dicht hinter ihm stand und es angeredet hatte.

„Warum hast Du nicht unterschrieben?“

Balbina wandte sick überrascht, ja betroffen um und setzte die Gießkanne nieder, faßte sich aber sogleich und sagte, indem sie das lose gewordene Kopftuch dabei band, fest und ruhig: „Das könntest Du Dir schon denken!“

„Denken?“ lispelte ihr Leonhard zusammenzuckend mit ausgehender Stimme nach.

„Da willst Du es nicht verstehen,“ sprach Balbina, indem sie die hohe Gestalt aufrichtete und alle Verlegenheit mit einem Male abschüttelte, „darum sag’ ich Dir, daß ich von dem ganzen Handel nichts mehr wissen will!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein treuer Freund der Freiheit und der Gartenlaube.
Es giebt noch Richter in Berlin.

Wer das alte Dictum kennt, welches wir als Motto an die Spitze dieser Charakterschilderung stellen, wird nicht ohne ein bitteres Lächeln des Windmüllers von Sans-Souci und seines Zwistes mit Friedrich dem Großen gedenken. Vor einem Jahrhundert, wo überall in Europa der Wille des Herrschers höchstes Gesetz war und speciell in Deutschland eintausend zweihundert kleine Tyrannen die Macht über Leben und Eigenthum ihrer Unterthanen ausübten, damals lebte im preußischen Volke noch jenes sprüchwörtlich gewordene kindliche Vertrauen in die Heiligkeit und Unwandelbarkeit des Rechts. Mit vielen andern mehr oder weniger kostbaren Gütern ist ihm wohl heutzutage die Kindlichkeit jenes Vertrauens entwichen und wie so mancher fromme Glaube auch der an die Gerechtigkeit merklich erschüttert worden.

Dürfen wir stolz hierauf sein? Sind wir jetzt etwa Männer deshalb, weil wir gelernt haben, unser Vertrauen vorsichtig abzuwägen?

Seitdem wir täglich erfahren und es im preußischen Abgeordnetenhaus öffentlich constatirt worden ist, daß Richter durch Richter zum Märtyrerthum ihrer politischen Gesinnung verurtheilt werden; seitdem im preußischen Justizministerium der Grundsatz gilt, daß der Jurist ein treuer Anhänger des herrschenden Systems sein müsse, und jeder Andersdenkende als ein Feind betrachtet und als solcher verfolgt wird – seitdem muß wohl der unbefangene Bürger die Befürchtung hegen, daß auch das Recht, das wie das Licht der Sonne jedem Sterblichen in gleichem Maße leuchten soll, zur Dienerin der kleinen, aber starken Partei erniedrigt werde und daß an Stelle der leidenschaftslosen Ruhe, in politischen Processen mindestens, die Leidenschaftlichkeit und der Parteihaß beim Urtheil mitreden.

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