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verschiedene: Die Gartenlaube (1865)

No. 35.   1865.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Henry Gibson, der Sträfling.[1]
Eine Episode aus den letzten amerikanischen Wirren.

In der Tragödie von Lincoln’s Ermordung taucht, wenn auch so sorgsam verdeckt, so genügend geschützt, daß nur die Stimme des Volks ihn erreichen kann, unter andern ein Name auf, an den sich schon aus früheren Jahren eine schwere Anklage knüpft. John B. Floyd war unter Buchanan Kriegssecretair, während unter demselben Präsidenten Thomson den Posten des Staatssecretariats bekleidete; – beide diese hochgestellten Männer sind von der öffentlichen Meinung bezichtigt, im December 1860, nachdem der Abfall des Südens sich zu einer Thatsache gestaltet hatte, den unter Thomson’s Verwaltung stehenden „Indianer-Hülfsfond“ im Betrage von achthundert und dreißigtausend Dollars entwendet und zur Beförderung der unionsfeindlichen Schritte des Sonderbunds gebraucht zu haben.

Um den gravirenden Verdacht des gemeinen Diebstahls von sich abzulenken, mußte ein Thäter gefunden werden; als solcher mußte denn ein junger Mann herhalten, auf dessen Leben nie der geringste Vorwurf gefallen ist und der, im Herzen der Union anhängend, in Rücksicht auf die begonnene Laufbahn die Fahne seiner Freunde und Gönner zu tragen hatte. Henry Gibson war der Neffe des Staatssecretairs, der Schwiegersohn des Kriegsministers Floyd und der Cassirer des erwähnten Departements. Er mußte im Auftrage seines Chefs und Onkels eine Reise nach Pittsburg in Pennsylvanien machen, und inzwischen wurde unter seinem Namen der Streich ausgeführt. In Pittsburg fand er einen von ihm unbekannter Hand geschriebenen Brief vor, in welchem er benachrichtigt wurde, daß die ihm anvertraute Casse im Interesse des Südens geleert, daß man ihn als Thäter ausersehen und daß bei einem genannten Hause in New-York der Betrag von hunderttausend Dollars für ihn deponirt sei, mit welchem er sich nach Frankreich zurückziehen solle.

Anfangs fühlte sich Henry durch diese ihn zum Verbrecher stempelnde Nachricht so verwirrt, daß es ihm unmöglich war, die Größe seines Unglücks zu erfassen. Aber das Gefühl der Unschuld, das Bewußtsein, nie unrecht gehandelt zu haben, stärkten ihn wunderbar; er beschloß, den Stoß abzuwenden und, koste es auch sein Leben, vor seinen Richter mit offenem Visir hinzutreten, für seine Unschuld bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen und dann, wenn es nicht anders sein könne, das Unvermeidliche über sich ergehen ;u lassen. Um wo möglich noch die Plünderung seiner Casse zu vermeiden, telegraphirte er seinem Chef:

„Ich werde nicht thun, was Ihr verlangt, sondern komme morgen zurück.“

Keine Antwort erfolgte, wohl aber für den braven Mann eine Nacht voll Angst und Unruhe. Beinahe hätte er sich selbst des Verbrechens angeklagt, so verwirrten sich seine Gedanken; er, als unschuldiges Werkzeug einer ehrlosen Handlung ausersehen, sollte das Land verlassen, weil man seinem Rechtsgefühl nicht traute und bei dem vielleicht unglücklichen Ausgang des Aufstands eine Bloßstellung durch ihn fürchtete. Vor ihm lag seither ein mühsamer, aber sicherer Weg zu Glück und Ehre, – jetzt Schande und Verachtung, und diese konnte er nicht durch das Sündengeld wegwaschen, welches ihn vor Mangel und Sorgen sicherstellen sollte, er sah schon den Finger, welcher hinter ihm her deutete, und hörte die Stimme, welche rief: der hat’s gethan! Das brachte ihn zur Verzweiflung.

So saß er noch am andern Morgen, den er zur Rückreise bestimmt hatte, auf dem Sopha seines Hotelzimmers, als sich die Thür öffnete und eine Dame zu ihm eintrat. Betroffen aufspringend, erkannte er sein junges Weib und im Glück des Augenblicks schlang er es in seine Arme. „Du gutes Weib kommst zu einer Zeit, wo ich Deines Trostes am meisten bedarf.“

„Du bist aufgeregt, Henry, scheinst krank; was quält Dich so, daß Du Trost von mir verlangst?“

„Weißt Du denn nicht, wozu Dein Vater und mein Onkel mich ausersehen haben, daß Du die Wuth nicht erklärlich findest, mit der ich sie Alle zu Boden schlagen könnte? Ich soll ein Dieb sein und Du das Weib eines Spitzbuben!“

„Beruhige Dich, mein theurer Henry, und sieh die Sache anders an; mein Vater will Dir die Mittel an die Hand geben, Dir auswärts eine bessere Lebensstellung zu sichern, als sie Dir bei uns Angesichts der nahen Zukunft eröffnet sein würde.“

„Lebensstellung – Frau? Los will man mich sein, mich zum Träger einer Schuld machen, die sie selber nicht offen bekennen wollen.“

„Darin irrst Du ganz,“ sagte die Frau, „mein Vater weiß, daß Du ein Anhänger der Union bist, und täuscht sich nicht in Dir, wenn er vermuthet, daß Du, durch Bande des Blutes an den Süden gebunden, lieber einem Kampf gegen denselben ausweichst.“

„Da irrt er tausendmal, wenn er dies glaubt! lieber will ich die Waffe gegen ihn heben, als mich selbst schänden und mein Kind!“

  1. Wir verdanken die nachstehenden durchaus auf Wahrheit beruhenden Mittheilungen, welche von Neuem den Charakter der südstaatlichen Bewegung kennzeichnen, einem Manne, der zu dem Bruder des unglücklichen Gibson (dessen wirklicher Name allerdings anders lautet) jahrelang in den engsten geschäftlichen und persönlichen Beziehungen stand. Die Redaction.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1865). Ernst Keil, Leipzig 1865, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1865)_545.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2022)