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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

eines alten Mannes! Ich war einst jung und kräftig wie Ihr, jetzt bin ich ein kranker Greis und wenn ich sterbe, geschieht es nach dem wohlthätigen Gesetze der Natur. Doch nicht immer wartet das Schicksal so lange, oft greift es mitten in’s volle Leben; seht hier das Bild Lenau’s und höret das letzte Gedicht, das er dichtete, ehe ihn Wahnsinn umfing:

’s ist eitel Nichts, wohin mein Aug’ ich hefte,
Das Leben ist ein unruhvolles Wandern,
Ein wüstes Jagen ist’s von dem zum andern,
Und unterwegs verlieren wir die Kräfte.
Ja könnte man zum letzten Erdenziele
Noch als derselbe frische Bursche kommen,
Wie man den ersten Anlauf hat genommen,
Da möchte man noch lachen zu dem Spiele.
So aber trägt uns eine dunkle Macht
Wie ’s Krüglein, das am Bronnenstein zersprang
Und seinen Inhalt sickert auf den Grund,
So weit es geht, den ganzen Weg entlang,
Jetzt ist es leck, wer mag daraus noch trinken?
Und zu den andern Scherben muß es sinken.

Darum übt Euren Körper, doch vergeßt dabei nicht die ernste Pflege Eures Geistes, damit man einst an Euren Scherben noch sehen möge, daß Ihr edle Gefäße waret. Dies ist der Segensspruch, den ich Euch auf den Weg gebe; lebt wohl und grüßt mir Eure Eltern!“

Einst kehrte ein müder Wanderer im grauen Kleid, ein Ränzchen auf dem Rücken, bei Justinus ein. Im gothischen Zimmer des alten Thurmes, wo 1525 im Bauernkrieg Graf Helfenstein die Nacht vor seiner Hinrichtung gefangen lag, saßen sie lange allein beisammen, Kerner begleitete ihn auf die Weibertreu und dann das Thal entlang, der kleine Theobald durfte das Ränzchen tragen. Traurig, mit der Welt zerfallen, war der Fremde gekommen, sichtbar getröstet, aufrecht ging er von dannen. Auf dem Berg oben, wo der Weg sich Heilbronn zu hinabsenkt, nahmen sie Abschied von einander. „Die Menschen haben Ihnen eine irdische Krone vom Haupte genommen und Gott hat Ihnen dafür eine himmlische in’s Herz gelegt, seien Sie froh!“ sprach noch Justinus. Stumm drückte ihm der Fremde die Hand und ging schnell weiter. Doch als Kerner schon eine gute Strecke von ihm und kaum noch unter den Bäumen sichtbar war, drehte sich der Fremde noch einmal um und rief: „Dank! Dank!“

Es war Oberst Gustavsohn, der entthronte König von Schweden.




Kleine Ursachen, große Wirkungen.

Ach! Das wird mir nicht gleich schaden,“ so hört man nicht blos Gesunde, sondern sehr oft auch Kranke, zumal Brust- und Magenkranke, sprechen, wenn sie sich ihrer Gesundheit wegen Etwas versagen sollen. Und „hätte ich nur Das nicht gethan!“ wehklagen dann solche Leichtsinnige, wenn jenes Etwas doch geschadet hat. Nun, wo es gewöhnlich zu spät ist, wollen sie aus Furcht vor dem Tode den Vorschriften des Arztes (dem manche für ihre Rettung ihr halbes Vermögen versprechen, natürlich um es demselben, sollten sie wieder gesund werden, nicht zu geben) ganz streng folgen. Jetzt, wo sich ein unheilbares Leiden ausgebildet hat, der allopathische Arzneimittelschatz erschöpft ist und eine Menge Bäder auf den Rath von Medicinal- und Sanitätsräthen heimgesucht worden sind, jetzt werfen sie sich in die Arme der verschiedensten Charlatane; jetzt geht’s aus der Homöopathie in die Hydropathie, von Lutze zu Lampe, aus der Schroth’schen altbackenen Semmel- in die schwedisch-gymnastische Cur. Während Magenkranke in sehr vielen Fällen früher ohne alle Arznei, nur durch ein richtiges diätetisches Verhalten sehr bald gesundet wären, müssen sie sich später bei der gymnastischen Heilmethode abquälen mit: sturzstehender concentrischer Quermagenwalkung, spalthochsitzender Hüftrollung und Magenlinddrückung, streckspaltsitzender Brustspannung, halbstreckgangstehender Vorwärtsdrehung, spaltstehender Doppeltkniebeugung, lastneigender Rückenerhehung, hochstehender Beinvorwärtsdrückung, klafterstehender Planarmbeugung von hinten nach vorn, gehsitzender Wechselkniestreckung, halbliegender Plandrehung u. s. f. im Unsinn.

Krankheiten zu verhüten und den Naturheilungsproceß bei Krankheiten nicht zu stören, das wird in spätern Zeiten, wo der Mensch in der Schule von seinem Körper sicherlich mehr lernen wird als jetzt, nicht blos Aufgabe des Arztes sein, sondern auch vom Laien ermöglicht werden. Dazu braucht er aber vor allen Dingen die Kenntniß auch von den scheinbar sehr geringfügigen, den menschlichen Körper krankmachenden Schädlichkeiten, von denen sogar manche gar nicht wie Schädlichkeiten aussehen.

Wer hätte z. B. noch vor wenig Jahren geglaubt, daß so ein winziges Würmchen, wie die Trichine (s. Gartenlaube Jahrgang 1864 Nr. 7), solch gräßliches Unglück anrichten könnte? Nun man’s weiß, wird durch die mikroskopische Untersuchung des Schweinefleisches dem Unglück, elendiglich unter den heftigsten Schmerzen trichinös zu sterben, vorgebeugt. – Ein fast unmerklicher Luftzug, auf welchen die wenigsten Menschen, selbst die nicht, welche am Fenster arbeiten, achten, hat schon sehr oft die qualvollsten Muskel- und Nervenschmerzen erzeugt. – Der längere Aufenthalt in kühlen Localitäten, wo die Thätigkeit der Haut ganz allmählich ohne wahrnehmbare Empfindungen unterdrückt wird, war sehr häufig die Ursache eines äußerst schmerzhaften acuten Rheumatismus (s. Gartenl. 1856 Nr. 47), dem sich tödtliche Herzentzündung zugesellte. Ein Unterziehjäckchen[1] (s. Gartenl. Jahrg. 1861 Nr. 35), auf dem bloßen Leibe getragen, hätte dies verhindert. – Ein verschluckter kleiner Kern (besonders der Kirsche) veranlaßt durch seine Einkeilung in den Wurmfortsatz (am Blinddarme) sehr leicht den Tod durch Bauchfellentzündung. – Die bedauerlichsten Verkrüppelungen, zumal des Brustkastens, werden in der Regel durch eine falsche Haltung des Körpers erzeugt, die aber von den Eltern und Lehrern erst dann berücksichtigt wird, wenn die Verkrüppelung ganz auffällig und meist nicht mehr zu heben ist. – Cigarren, unmittelbar in den Mund gesteckt und hier mit Speichel derb durchfeuchtet, veranlassen manchmal durch ihre Tabakssauce, welche mit dem Speichel vermischt und verschluckt wird, hartnäckiges Magenleiden (chronischen Magenkatarrh, der eine Magenverhärtung nach sich ziehen kann). Das Rauchen aus einer Cigarrenspitze oder Pfeife würde diesen Schaden nicht machen. – Ein Unterrocksband, das nach der Behauptung der Binderin stets ganz locker gebunden sein soll, trotzdem daß es eine tiefe Querfurche in der Haut der Oberbauchgegend erzeugt hat, trägt sehr oft die Schuld an den Schmerzen in dieser Gegend, sowie an einer Verkrüppelung der Leber (s. Gartenl. Jahrg. 1853 Nr. 26), welche zur Entstehung der mannigfaltigen Suchten (besonders der Zanksucht) beim weiblichen Geschlechte mitwirkt. – Von einem hellen Gegenstande (z. B. von einem gegenüberstehenden weißen Gebäude) zurück- und auf die Arbeit oder auf das Auge geworfenes Sonnenlicht giebt häufig die Veranlassung zu schlimmen Augenleiden. Neugeborne Kinder erblindeten schon manchmal für’s ganze Leben, weil die neugierigen Angehörigen, um die Farbe der Augen des Kindes kennen zu lernen, dasselbe an das Sonnen- oder Kerzenlicht trugen. – Tabaksrauch, von kleinen Kindern und Hustekranken eingeathmet, kann der Lunge äußerst nachtheilig werden. – Kaltwerden des Bauches raffte schon Tausende von kleinen Kindern an der Brechruhr hin, und Verfasser ist der festen Ueberzeugung, daß diese Erkältung, zumal des warmen Bauches in der Nacht, bei Personen, welche in von der Cholera[2] (s. Gartenl. 1854. Nr. 35[WS 1] und 1856 Nr. 38) heimgesuchten

  1. Von allen Unterziehjäckchen fand Verfasser am bequemsten und zweckentsprechendsten die von Crêpe aus der Rumpf’schen Fabrik in Basel.
  2. Bei der Behandlung der Cholera ist die Hauptsache, dem durch die flüssigen Entleerungen seines Wassers beraubten Blute so schnell als möglich wieder Wasser zuzuführen. Und hierzu dient am besten das Trinken heißen Wassers (vielleicht mit etwas Wein oder Rum und dergleichen versetzt), nur muß dieses Wasser so oft und so reichlich als möglich gereicht werden. Da der Cholerakranke sehr apathisch ist, so muß er auf jede Art zu diesem Wassertrinken gezwungen werden, selbst durch „Trinken oder Sterben?“ In einem Cholerahospitale sind deshalb vor allen Dingen viele und energische Wärter nothwendig, weil höchstens drei bis vier Kranke von einem Wärter so gepflegt werden können, wie es der Zustand verlangt. Wenn freilich die Aerzte und Wärter vom öftern Darreichen des heißen Wassers deshalb abstehen, weil der Kranke nicht trinken mag, dann steht’s schlecht um die Kranken, zumal wenn die Aerzte der Opiumtinctur ihr ganzes Vertrauen schenken.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1854. Nr. 26
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_008.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2023)