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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 2.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


„Je nun,“ erwiderte der Vater mit ernstem Gesicht, „es wird mir einigermaßen schwer, Elisabeth, Dir meinen Entschluß mitzutheilen, denn ich sehe deutlich an Deinem Gesicht, daß Du das schöne, volksbelebte B. nicht um Alles in der Welt mit der Waldeinsamkeit vertauschen möchtest. Indeß, erfahren mußt Du trotzdem, daß dort auf dem Schreibtisch meine Bitte um die Stelle an den Fürsten von L. bereits couvertirt und gesiegelt liegt. … Es ist aber nicht mehr als billig, daß wir auch Deine Wünsche dabei in Erwägung ziehen, und deshalb sind wir durchaus nicht abgeneigt, Dich hier zu lassen, falls –“

„Ach nein, wenn Elsbeth nicht mitgeht, dann will ich lieber auch hier bleiben!“ unterbrach ihn der kleine Ernst, indem er sich angstvoll an die Schwester schmiegte.

„Sei Du nur ruhig, mein Herzchen,“ sagte Elisabeth lachend, „ich finde schon meinen Platz auf dem Wagen, und wenn nicht, nun, so weißt Du, ich bin muthig wie ein Soldat und kann laufen wie ein Hase. Als Compaß habe ich die Sehnsucht nach dem grünen Wald bei mir, die schon, als ich noch ein ganz, ganz kleines Kind war, einen großen Winkel in meiner Seele eingenommen hat. So geht es tapfer und bescheidentlich vorwärts auf meinen zwei eigenen Füßen, und was will dann Papa machen, wenn eines Abends ein armer, müder Wanderer mit zerrissenen Schuhen und leerer Tasche vor dem alten Schloßthor erscheint und Einlaß begehrt?“

„Freilich müßten wir aufmachen,“ rief lächelnd der Vater, „wenn wir nicht die Rache aller guten Geister, die ein muthiges Herz beschützen, auf unser morsches Dach herabbeschwören wollten! … Uebrigens wirst Du wohl an dem alten Schloß vorüberziehen und an irgend eine einsame Bauernhütte im Walde anklopfen müssen, wenn Du uns finden willst; denn in dem Trümmerhaufen wird sich schwerlich ein Asyl für uns einrichten lassen.“

„Das fürchte ich auch,“ meinte die Mutter. „Wir arbeiten uns mühsam durch Hecken und Gestrüpp, wie ehemals Dornröschens unglückliche Befreier, und finden endlich –“

„Die Poesie!“ rief Elisabeth. „Ach, dann wäre ja schon der erste Duft von unserem Waldleben abgestreift, wenn wir nicht im alten Schloß wohnen könnten! Vier feste Mauern und eine gut erhaltene Zimmerdecke werden doch wahrhaftig noch in einem Thurm oder dergleichen zu finden sein, und das Uebrige läßt sich mit Nachdenken und willigen, rüstigen Händen leicht beschaffen … Wir stopfen Moos in etwaige Mauerritzen, nageln Breter über unbequeme Thürbogen, die keinen Flügel mehr haben, und tapezieren unsere vier Wände selbst. Auf den zerbröckelten Estrichfußboden legen wir eigenhändig geflochtene Strohmatten, erklären den kleinen vierfüßigen Leckermäulern im grauen Sammetröckchen, die unseren Speiseschrank attakiren, ernstlich den Krieg und gehen mit dem Kehrbesen tapfer auf die großen Spinnen los, die, über unseren Köpfen hängend, in aller Ruhe überlegen, ob sie sich nicht häuslich darauf niederlassen sollen.“

Mit verklärten Augen, ganz versunken in ihre Träumereien von dem demnächstigen Leben im frischen, grünen Walde, trat sie dann an’s Clavier und schlug den Deckel zurück. Es war ein altes, ausgespieltes Instrument, dessen schwache, heisere Töne vollkommen harmonirten mit dem herabgekommenen Aeußeren; allein das Mendelssohn’sche Lied: „Durch den Wald, den dunkeln, geht etc.“ klang trotzdem hinreißend unter Elisabeth’s Fingern.

Die Eltern saßen lauschend auf dem Sopha. Der kleine Ernst war eingeschlafen. Draußen hatte das Toben des Sturmes aufgehört; aber an den unverhüllten Fenstern vorüber sank in wirbelnden Flocken massenhaft und lautlos der Schnee. Die gegenüberliegenden Schornsteine, die nicht mehr dampften, setzten langsam eine dicke, weiße Nachtmütze auf und blickten steif und kalt, wie das verdrießliche Alter, hinüber in die kleine Mansardenstube, die mitten im Schneegestöber hellen Frühlingsjubel in sich schloß, – denn alle ihre Insassen blickten voller Hoffnung der ihnen winkenden Zukunft entgegen.


3.

Pfingsten! Ein Wort, das seinen Zauber auf das menschliche Gemüth üben wird, so lange noch ein Baum blüht, eine Lerche schmetternd in die Lüfte steigt und ein klarer Frühlingshimmel über uns lacht. Ein Wort, dessen Klang selbst unter der härtesten Eiskruste des Egoismus, unter dem Schnee des Alters und in dem Herzen, das in Leid und Kummer erstarrt ist, noch ein Echo von Lenzeslust erwecken kann.

Pfingsten ist vor der Thür. Ein weiches Lüftchen flattert über die Thüringer Berge und streift von ihrem Scheitel die letzten Schneereste. Sie wirbeln dampfend empor und verlassen als leuchtende Frühlingswölkchen die alte Lagerstätte, die es sich angelegen sein läßt, ihre gefurchte Stirne mit einem Geflecht von jungen Brombeerranken und röthlich blühendem Heidelbeerkraut zu schmücken. Drunten braust jauchzend der kühle Forellenbach aus dem Waldesdunkel quer über die buntgesprenkelten Thalwiesen. Die einsame Schneidemühle klappert wieder lustig, und auf ihr niedriges, graues, geflicktes Schindeldach streuen die Obstbäume ihre Blüthenflocken.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_017.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)