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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 3.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


Die Eintretenden sahen sich in dem wüsten Hofraume des alten Schlosses um.

„Hier ist nichts zu machen,“ sagte Ferber, „gehen wir weiter.“

Durch einen tiefen, finsteren Thorweg traten sie in einen zweiten Hof, der, obgleich bei weitem größer als der erste, doch einen noch viel unheimlicheren Eindruck machte und zwar durch seine Unregelmäßigkeit. Hier trat ein zusammensinkender, düsterer Bau weit in den Hof herein und bildete eine dunkle Ecke, in die kein Sonnenstrahl fiel; dort stieg ein stumpfer Thurm in die Höhe und warf einen tiefen Schatten auf den hinter ihm liegenden Flügel. Ein alter Hollunderbusch, der in einer Ecke kümmerlich sein Leben fristete und dessen Blätter mit herabgefallenem Mörtel bedeckt waren, sowie einzelne graue Gräser zwischen dem Pflaster, ließen die Oede noch trauriger erscheinen. Kein Laut unterbrach die Todtenstille, die hier waltete; selbst eine Dohlenschaar, die droben das heitere Blau des Himmels durchschnitt, flog lautlos vorüber, und deshalb klang den Eintretenden das Geräusch ihrer eigenen Schritte auf dem hallenden Steinpflaster fast gespenstisch.

„Da haben nun,“ sagte Ferber, ergriffen von dem Anblick des Verfalles ringsum, „die alten, gewaltigen Herren Steinmassen aufgehäuft und gemeint, die Wiege ihres Geschlechts werde, fest und unzerstörbar, durch alle Zeiten den Ruhm ihres Namens verkünden. Ein Jeder hat sich, wie der verschiedene Baustyl zeigt, das Erbe nach Geschmack und Bedürfniß eingerichtet, als ob da nie ein Ende kommen könne…“

„Und doch wohnte er nur ein kleines Weilchen zur Miethe,“ unterbrach ihn der Oberförster, „und mußte es sich zuletzt sogar gefallen lassen, daß der große Hausherr, die Erde, ihn selbst mit Haut und Haar als Miethzins einforderte … Doch gehen wir weiter … Brr, mich friert … hier ist Tod, nichts als Tod!“

„Nennst Du das Tod, Onkel?“ rief plötzlich Elisabeth, die bis dahin beklommen geschwiegen hatte, indem sie nach einem Thorbogen zeigte, der halb von einem vorspringenden Pfeiler bedeckt wurde. Dort hinter einer Gitterthür schimmerte sonnenbeschienenes Grün, und junge Heckenrosen schmiegten ihre Köpfchen an die Eisenstäbe.

Elisabeth war mit wenigen Sprüngen an der Thür, die sie mit einem kräftigen Ruck aufstieß. Dieser ziemlich große, freie Platz, vor dem sie stand, mochte wohl ehemals den Garten vorgestellt haben – jetzt konnte man die grüne Wildniß unmöglich noch so nennen, denn nicht ein Fuß breit Weges war zu entdecken, kaum, daß hier und da der verstümmelte Kopf einer Statue unter dem Gewirr von Stauden, Gesträuchen und Schmarotzerpflanzen erschien. Die wilde Weinrebe lief in dicken Strängen bis an das obere Stockwerk der Gebäude, rankte sich an den Fenstersimsen fest und fiel von dort wie ein grüner Regen wieder auf die blühenden wilden Rosen und Fliedersträuche hernieder. Es war ein Schwirren und Summen auf diesem abgeschiedenen, blühenden Fleckchen Erde, als ob der Frühling seine ganzen geflügelten Heerschaaren hier versammelt hielte. Zahllose Schmetterlinge flatterten durch die Luft, und über die riesigen Fächer der Farrenkräuter zu Elisabeth’s Füßen liefen geschäftig goldglänzende Käfer. Ueber all dies Blühen und Treiben erhoben einige Obstbäume und mehrere schöne Linden ihre Kronen, und auf einer kleinen Anhöhe lagen die Ueberreste eines Pavillons.

Der Garten war auf drei Seiten von zweistöckigen Gebäuden umgeben, und das Viereck des Raumes wurde durch eine Art hohen Dammes vervollständigt, über den die Wipfel der Waldbäume hereinsahen. Auch hier trugen die Baulichkeiten das Gepräge des Verfalles; abermals ziemlich gut erhaltene Mauern nach außen, doch vollständige Verwüstung im Innern. Nur ein zwischen zwei hohe Flügel eingeklemmter, einstockiger Bau fiel auf durch sein dunkles Aussehen. Er war nicht durchsichtig, wie die anderen decken- und thürenlosen Gebäude; das flache Dach, das an beiden freien Seiten schwere Steingeländer hatte, mußte Sturm und Wetter Trotz geboten haben, wie die grauen Fensterläden auch, die hie und da unter dem Wust von Schlingpflanzen hervorsahen. Der Oberförster meinte mit prüfendem Blick, dies sei höchst wahrscheinlich Sabinens berühmter Zwischenbau; möglicherweise sei er innen nicht so despectirlich zugerichtet wie die anderen Baulichkeiten; nur begreife er nicht, wie man zu dem angeklebten Schwalbennest gelangen könne. Allerdings war weder von Treppen, noch von Thüren irgend eine Spur zu sehen, was freilich schon durch das undurchdringliche Gebüsch am Erdgeschoß unmöglich wurde. Man beschloß deshalb das Besteigen einer ausgetretenen, aber doch noch ziemlich festen Steintreppe in einem der großen Flügel zu wagen und so auf das Ziel loszusteuern. Es gelang, wenn auch unter beständigem Anklammern an die unebene Mauer. Sie kamen zuerst durch einen großen Saal, der den blauen Himmel als Decke und einige grüne Büsche droben auf den Mauern als einzigen Schmuck aufzuweisen hatte. Zertrümmerte Balken, Dachsparren, einzelne Plafondstücken mit Ueberresten von Malerei bildeten ein grauses Gemisch, über das die Suchenden hinwegklettern mußten. Dann folgte eine Reihe von Zimmern in demselben Zustand der Zerstörung. An einigen Wänden hingen noch Fetzen von Familienbildern, die oft, schauerlich und komisch zugleich, nur

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_033.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)