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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Die kleinste deutsche Residenz.
Ein gemüthliches Genrebild aus der deutschen Reichconfusion.


Mein Weg ging rheinauf, von Rorschach am Bodensee nach Ragaz und Chur. Etwa in der Mitte unserer schönen Bahnfahrt fiel mir drüben jenseit des jungen Stroms eine kleine Gruppe weißer Häuschen auf einem Bergvorsprunge auf, die weiter höhwärts das Mauerwerk einer alten Burg überragte. Das Ganze hatte etwas eigenthümlich Malerisches; ich frug darum meinen Nachbar in dem langen amerikanischen Wagensalon nach dem Namen von Ort und Schloß. „Das ist Vaduz, Herr“ entgegnete der Schweizer mit einer unverkennbaren Verachtung in Ton und Manier, „Vaduz, die Hauptstadt des souverainen deutschen – Fürstenthums Liechtenstein.“

Die Miniaturresidenz des Miniaturstaates reizte mich. Auf

Schloß Vaduz.

der Rückfahrt stieg ich darum in Sevelen aus, ließ mich über den hier in mannigfache Arme getheilten Rhein setzen, dessen Hochwasser fast alljährlich die Landschaft verwüsten, und stieg an einer Grenzsäule mit dem Liechtenstein’schen Wappen und der stolzen Inschrift: „Grenze des souverainen Fürstenthums Liechtenstein“ durch eine ziemlich trostlose Sandwüste den Hügel zum Flecken hinan.

Schon in seinen Baulichkeiten trug der Ort, der kaum mehr als einhundert und fünfzig Häuser zählen dürfte, den Stempel tiefer Armuth. Im Gasthof des Ortsbürgermeisters wurde ich freundlich aufgenommen. Derselbe hat auf einer kleinen Anhöhe eine bezaubernde Lage. Zur Linken erhebt sich das alte Schloß auf steilen Felsen, den Abhängen des Schwesterngebirges; die Mitte der Landschaft wird durch die riesenhaften Formen der Mittagsspitze mit ihren Felszacken und Schneefeldern eingenommen, und zur Rechten ragen die grotesken Linien der Schweizer Berge unmittelbar von den Ufern des wilden Rheins auf. Wie contrastirt mit diesem reichen Landschaftsbilde die Bevölkerung. Ueberall die augenfälligen Spuren von Noth und Dürftigkeit. Die Leute klagten mir ihr Elend. Sie hatten vorzüglich mit zwei schweren Feinden zu kämpfen. Die sterilen schroff ansteigenden Bergabhänge senden fortwährend Massen von Steingeröllen in das Thal und auf ihre Besitzungen, die aus einigen Weingärten und Wiesen bestehen, herab und der Rhein reißt ihnen den wenigen fruchtbaren Boden unter den Füßen hinweg und verringert die Möglichkeit des kargen Erwerbes von Jahr zu Jahr.

„Wie glücklich doch unsere Nachbarn, die Schweizer, uns gegenüber daran sind!“ sagte mir ein alter Weinbauer von Vaduz, „sie haben nicht mehr Steuern als wir, sind freie Leute und jetzt, wo unser Fürstenthum aus Mangel an Mitteln sammt dem mächtigen Oesterreich die Regulirung unseres Rheinufers auszuführen nicht im Stande ist, wird die Schweizer Regierung die jenseitigen Flußufer ohne Rücksicht auf uns in Ordnung bringen, und wir haben die Aussicht, doppelt mehr Land zu verlieren als zeither.“

Ich klomm die steilen Abhänge zum Schloß hinan, welches ein Conglomerat der verschiedenartigsten Gebäude ist. Zunächst in die Augen fallend ist ein großer runder, aus starken Felsenblöcken erbauter und nach der Eingangsseite mit dichtem Epheu überzogener Festungsthurm; wenn auch in seinem jetzigen Zustand Ruine, ein prächtiges Stück Mittelalter. Nur ein Theil der den Schloßhof bildenden Gebäude war neu, oder in einem abscheulichen Style restaurirt. Während ich mir das Gemäuer beschaute, hörte ich fernen Hörnerklang. Das fürstlich Liechtenstein’sche Bundescontingent war von seinen Exercirübungen auf dem Nachhausemarsch begriffen und bezog jene häßlichen Neubauten, welche ihm als Caserne dienen. Ich zählte im Ganzen dreißig Mann und zwar einundzwanzig Soldaten und neun Chargen, lauter kräftig sehnige Figuren, echte Gebirgskinder.

Man hatte mir gesagt, daß Seine Durchlaucht der Landesfürst es nicht verschmähe, den selbsterbauten Wein in den Räumen seines Ahnenschlosses seinen Unterthanen und den Besuchern auszuschenken. Mein Stern führte mich denn auch bald in jene heiligen Räume. Die Wirthschaft befand sich in großen weitläufigen Sälen des Hauptschloßgebäudes. Der Pächter derselben, welcher zugleich darin sein Handwerk, die Tischlerei, ausübt, empfing mich überaus zuvorkommend und ich fand in ihm einen weit über seine Verhältnisse hinaus gebildeten Mann. Die Aussicht von den Fenstern seiner Behausung über das vierhundert Fuß senkrecht darunter liegende Vaduz, über das Rheinthal und die gegenüber aufragenden Appenzeller Alpen ist unvergleichlich schön. Bald hatte sich eine heitere Gesellschaft Localkundiger zusammengefunden und die Situation des kleinen Fürstenthums wurde das Tischgespräch. Auch der Höchstcommandirende des fürstlichen Bundesheeres, ein Oberlieutenant, welcher zugleich die Stelle eines Landesvermessers inne hat, war erschienen.

Was konnte wohl näher liegen, als daß man der Drangsale des kleinen Ländchens, der steigenden Armuth gedachte, welche die Kämpfe der Natur, verbunden mit dem volkswirthschaftswidrigen Regime der fürstlichen Regierung, hervorgerufen hatte. Und wieder wurden im Gegensatze die ungeheueren Hülfsquellen des Fürsten hervorgehoben, welcher, trotz der notorisch zweifelhaften Wirthschaft seines Hausgeistlichen, der zugleich sein Bevollmächtigter ist, dennoch jährlich gegen drei Millionen Gulden zu verzehren hat.

Ich selbst kannte die Liechtenstein’sche Wirthschaft von Oesterreich her, speciell von den Stammgütern Lundenburg, Eisgrub und Feldsberg. Dort entblödet man sich zum Beispiel nicht, jahraus jahrein die für die Herbstjagden bestimmten zahllosen Fasanenheerden mit dem ausgesuchtesten Hirsen und dem besten Banater Weizen zu füttern, während die armen kroatischen und slavonischen Unterthanen dieser Dörfer oft weder hinreichend Erdäpfel noch Kukurutz (türkischer Weizen) zur Nahrung haben. So viel wurde mir klar, das Ländchen mit seinen eilf kleinen Gemeinden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_053.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)