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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

auf ewig zürnte, daß er mir niemals vergäbe, daß ich die Hände in einem kleinen Complot wider ihn gehabt … auch finde ich es so verwegen, so ruchlos, mit solch’ übernatürlichen Dingen seinen Spott zu treiben …“

„Beruhigen Sie sich, Demoiselle, die übernatürlichen Dinge thun uns am wenigsten, wenn wir herzhaft ihrer spotten.“

„Aber Erlaucht haben doch der Prinzessin geschrieben, daß wirklich in diesem Schlosse ein Gemach sei, worin den Bewohnern die Gestalt dessen, an dem sie am meisten gesündigt, erscheine, und dadurch ist die Prinzessin ja erst auf den Gedanken gekommen, da müßte ich meinem Bräutigam erscheinen … ach, es war gewiß ein recht frevler, verwegener Gedanke … aber wenn eine Prinzessin ihn einmal gefaßt hat und auf solch’ einer Idee besteht … wozu läßt unsereins, ein armes unglückliches Mädchen, das noch obendrein von ihrem Herzen gedrängt wird und wie ein Vertrinkender nach einem Strohhalm greift, sich nicht überreden!“

Antonie sprach das Alles in einem überaus kläglichen und beinahe weinerlichen Tone.

„Beruhigen sie sich doch, meine gute Demoiselle Flachsland,“ sagte der Graf lachend. „Es handelt sich ja im Grunde nur um eine recht hübsche Mystification, einen Scherz mit einer tant soit peu moralischen Nutzanwendung am Ende … weshalb die Sache so tragisch ernst nehmen? Man wird doch noch heitern Muths in solch einer alten Ritterburg, wie diese, eine kleine Spukscene aufführen dürfen! Wenn es Ihnen gefällig ist, so will ich Sie jetzt in die Localitäten einweihen und Ihnen zeigen, wie Alles auf’s Beste vorbereitet ist. Kommen Sie, wir müssen gehen, weil sonst die Dunkelheit zu groß wird!“

Der Graf ging voraus und Antonie folgte ihm. Er schritt durch das Schlafzimmer, durch dessen halboffene Thür das Mädchen gespannt der Unterredung zugehorcht hatte, und am Ende des Schlafzimmers riegelte er eine Thür auf, welche auf eine kleine schmale Galerie führte, die, an einer Wand entlang laufend, rechts über die niedrige Brüstung fort in ein großes hohes Gemach hinunter blicken ließ. Am andern Ende der Galerie verschwand der Graf mit der ihm folgenden Dame in einer schmalen gewölbten Bogenthür, welche durch eine dicke Mauerwand gebrochen war.

Nach etwa zehn Minuten kamen Beide zurück. Der Graf beurlaubte sich nun von der mit tiefen Knixen ihn entlassenden Dame.

„Nun gute Nacht, meine liebe Demoiselle Flachsland,“ sagte er, „Sie haben gesehen, wie Alles einfach und leicht auszuführen ist, und haben, hoffe ich, Ihre Aengstlichkeit verloren … gute Nacht!“

„Der liebe Gott wird mir Muth geben, gnädiger Herr,“ antwortete Antoine, indem sie ihn bis an die Thür des Wohnzimmers begleitete. „Und das Versprechen, welches Sie mir gaben, Erlaucht?“ fügte sie hinzu.

„Ich denke daran, seien Sie darüber ruhig!“

Er trat mit einem freundlichen Kopfnicken über die Schwelle.


2.

Eine Stunde später saß der regierende Graf Wilhelm zu Schaumburg-Lippe mit einer ziemlich zahlreichen Gesellschaft von Gästen zu Tische, Herren seines kleinen Hofstaates und nächsten Gefolges, und mehreren Eingeladenen, die an den Hofjagden Theil nehmen sollten, welche für die nächsten Tage angeordnet waren – es fand am anderen Tage die Eröffnung der niederen Jagd statt.

Neben dem Grafen, zu seiner Rechten, saß ein Herr von Bülow, ein General des großen Friedrich, dann ein junger Herr in schwarzer Tracht, neben diesem der Rittmeister Baron Fauriel in seiner grünen Jagduniform – alle übrigen Herren trugen diese Jagduniform, nur ein Adjutant des Grafen waren voller Militairuniform. Schon dies mußte die Augen auf den allein schwarzgekleideten Gast lenken. Der schwarze Gast war aber schon durch seine persönliche Erscheinung ein Mann, der die Aufmerksamkeit fesselte. Er war etwa siebenundzwanzig Jahre alt, eine wohlgebaute Gestalt von mittlerer Größe, eher mager als stark, frei und ungezwungen in seinen Bewegungen; es lag etwas Selbstbewußtes in seinem ganzen Wesen, das sich offenbar nicht im Mindesten von der fremden Atmosphäre, in welcher er sich befand, beengt fühlte. Und weshalb auch sollte er es? der Mann mit dem ansprechenden Gesicht hat eine Stirn, auf der Intelligenz und geistige Energie ausgeprägt lagen, ein schönes kühn blickendes dunkles Auge und einen auffallend hübschen weichen, von feiner Empfindung und tiefem Gemüth sprechenden Mund – er war offenbar eine Persönlichkeit, welche sich in keinem Kreise gedrückt zu fühlen brauchte. Vielleicht auch hatten ihn seine Umgebungen bisher gerade an das Gegentheil gewöhnt und ihn – verwöhnt. Es lag etwas in seinem Wesen, was auf das Bewußtsein, Gegenstand der Aufmerksamkeit zu sein, deutete.

Es war nur etwas, das seinen ansprechenden Kopf entstellte: seine Augen waren ein wenig entzündlich geröthet und am obern Nasenbein trug er die Narbe irgend einer Operation oder Verwundung.

Der Graf erzählte seinen Gästen von England, wo er, ein Enkel König Georg’s des Ersten, seine Jugend verlebt hatte. Er sprach von den wunderbaren Gegensätzen im Character des englischen Volkes, von der Genialität, womit es in seiner Politik sich von allen Rechtsbegriffen emancipirt, während es sein inneres Leben nach einem Rechtswesen geregelt habe, wie es nicht gebundener, drückender, in unbeugsamem und grausamem Formalismus erstickender gedacht werden könne.

„Und ein anderer Gegensatz, fast noch greller,“ sagte, als der Graf eine Pause machte, der schwarze Gast, „liegt in dem Nationalcharakter der Engländer. Der hervorstechendste Zug darin, die Welt ist darüber einig, besteht aus dem nüchtern praktischen Sinn, der Richtung auf das Reale und Zweckmäßige, dem klugen Scharfsinn, der Alles um sich her so zu gestalten strebt, daß es, was es leisten soll, auf die beste und einfachste, sicherste und dauerhafteste Weise leistet. Dieser practische Verstand des Engländers jagt weder in seinen politischen Bestrebungen noch in seinem Industrialismus irgend Chimären nach. Und daneben steht die Thatsache, daß es kein Volk giebt, auf welches das Chimärische, Abenteuerliche, Phantastische mehr Reiz übt als gerade die Engländer. Die Engländer haben einen Sinn für das Wunderbare, eine Leidenschaft für alles Excentrische, einen Hang zum Phantastischen, eine Schwäche für alles Abenteuerliche, die uns ‚unpraktischen‘ Deutschen unbegreiflich sind.“

„Sie haben Recht, mein lieber Hofprediger,“ fiel hier der Graf ein, „wenn wir einen dieser schroffen, kühlen, zugeknöpften und blasirten Briten sehen, sollten wir nicht glauben, daß der Aberglaube eine so große Herrschaft auf ihn übe – der hängt ja auch mit dem abenteuerlichen und phantastischen Naturell zusammen – daß das Gemüth dieser Menschen so weit offen stehe allen Eindrücken von Grauen und Schauern vor den Schatten des Jenseits. Ich habe ein ganz ernhaftes, durch geriebene Betriebsamkeit reich gewordenes Parlamentsmitglied aus Sheffield in einer Gesellschaft vom schottischen ‚Zweiten Gesicht‘ lange Geschichten erzählen hören, ohne daß auch nur ein einziges Wort des Zweifels laut geworden wäre!“

(Fortsetzung folgt.)




Ein gelehrter Schauspieler.


An einem schönen Sonntag spazierte ein Knabe an der Hand seiner Mutter, nicht wenig stolz auf seinen neuen Anzug, zu den Thoren von Leipzig hinaus in’s Freie. Am „Täubchen“ zu Reudnitz wurde Halt gemacht und ein Käsekuchen gemüthlich verzehrt. Plötzlich entstand ein Auflauf, die Menge drängte sich um einen Mann, den Director einer Hunde- und Affenkomödie, mit seinen vierfüßigen Schauspielern.

Unter den Zuschauern befand sich der Knabe, welcher Carl Grunert hieß; derselbe verfolgte mit weit aufgerissenen Augen die interessante Vorstellung. Herzlich lachte er über die grotesken Sprünge und die tolle Ausgelassenheit der Affen, während die Treue und Enthaltsamkeit der Hunde, die trotz ihres Appetites nichts von den vorgesetzten Speisen berührten, einen tiefen Eindruck auf sein kindliches Herz machten. Er wurde nicht müde, die thierischen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_068.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)