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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben.
Nr. 4. London auf Rädern.


Thatsache ist es, daß der durch Dampfschwingen und erhöhte Cultur beflügelte Verkehr mit seinen stets über Länder und Meere fliegenden Waaren- und Menschenlasten nicht mehr den Bedürfnissen und Ansprüchen, nicht mehr der wissenschaftlichen Einsicht und praktischen Erfahrung entspricht; daß die Vervollkommnungen und Verbesserungen der Bewegungsmaschinen, der Dampf- und Pferdewagen, der kleineren Communicationsmittel, der Straßen in unsern großen Industrie- und Handelsstädten nicht Schritt gehalten haben mit der Einsicht in die Verkehrsgesetze, mit den Ansprüchen auf Leichtigkeit, Schnelligkeit und Billigkeit des Austausches.

Die Dampfmaschinen bringen blos etwa ein Fünftel der mechanischen Kraft, die in dem verbrauchten Brennmaterial steckt, zum

Hohe Politik.

wirklichen Ziehen oder Treiben. Außerdem geht eine Menge Kohle und brennbares Gas unverbrannt und unbenützt durch die Schlote hindurch. Die Wagen und Wege zur Verbindung der Eisenbahnhöfe und Vermittelung des Zwischen- und kleineren Verkehrs sind viel zu schlecht, theuer und zeitraubend. Es kommt vor, daß Menschen und Lasten, um eine halbe Meile weit nach einem Eisenbahnhofe zu kommen, mehr Geld und Zeit brauchen, als zu einer zehnmeiligen Reise mit Dampf. Das Räder- und Wagenwerk für Pferde und im Kleinen für Menschen, Esel oder Hunde bedingt meist ebensoviel Kraft-, Zeit- und Geldvergeudung, wie die Erbärmlichkeit des Feldwegs oder des städtischen Steinpflasters. Bei praktischer Einsicht in die physischen, technischen, wirthschaftlichen und finanziellen Gesetze des Verkehrs und des Transports wären diese Wagen und Wege, welche durch ihre Verwahrlosung unendlich mehr Kraft und Geld und Zeit vergeuden, als die besten und vollkommensten Bewegungsmittel kosten würden, längst nicht mehr möglich, denn man würde schon lange Alles geprüft und das Beste behalten haben und in Deutschland allein jährlich viele Millionen Thaler für productive und Culturzwecke sparen, jährlich um so viele Millionen Thaler reicher werden.

In großen Städten, besonders in Berlin, wo der Verkehr mit Wagen und Pferden während der letzten zehn Jahre wohl um Hunderte von Procenten gestiegen ist, haben sich Einige allerdings viel Mühe gegeben, diesen Verkehr durch „Fahrordungen“ und polizeiliche Vorschriften zu verbessern. Aber es fehlt an Wagen und Wegen. Das Steinpflaster und die Rinnsteine sind nicht nur geblieben, sondern vielfach schlechter geworden. Die Omnibus haben sich in entsetzlicher Form von „Fahrefoltern“ mit wunderbarer Fruchtbarkeit vermehrt. Vielerlei Constructionen, aber die meisten unbeholfen, schwerfällig und hartnäckig ohne „Ventilation“. Tausende von Bauer- und Lastwagen an Markttagen in vorsündfluthlicher Construction mit losen, donnernden, krachenden Bretern, ohne Federn. Letzteren Mangel sucht man durch ein Verbot allmählich zu beseitigen. Die Lastwagen ohne Federn dürfen bei einem Thaler Strafe nicht mehr im Trabe fahren. Aber die Federn allein thun’s nicht; die alten, lockern Rumpelkasten müßten ganz und gar verschwinden und festgefügten, eisenrippigen, technisch-praktisch construirten Wagen auf eben und solid gepflasterten Wegen Platz machen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_108.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)