Seite:Die Gartenlaube (1866) 157.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

unbeweglich vor ihr stehenden Menschen bemerkt sie nicht, nur der Wechsel in ihrer Umgebung fällt ihr auf.

Wie schützt sich der Mensch vor ihrem Biß? Sehr einfach dadurch, daß er sie nicht reizt. Die gebildeten und wohlhabenden Leser der „Gartenlaube“ dürfen ohne Sorge sein, auch wenn sie bei etwaigen Streifereien der Schlange unwissentlich zu nahe kommen und diese durch Tritte reizen, sie sind geschützt, denn der

Das Gebiß der Kreuzotter.

feine und spröde Giftzahn bricht eher ab, als daß er durch den Stiefel dringt, und höher als dieser vermag die Otter sich nicht zu erheben. Und wer sich, um auszuruhen, niedersetzt oder legt, pflegt ohnehin schon den Platz zu durchmustern. Aber die Kinder der Armen, die barfüßigen Holzleser und Beerensucher, sie müssen alljährlich ihren Tribut dem Unthier zollen. Und das ist um so mehr zu bedauern, als diese in den seltensten Fällen der Wirkung des Bisses zuvorzukommen verstehen. Es ist oft genug geschehen, daß dieselben den Biß gar nicht weiter beachten und erst auf dem Krankenbette von ihrer Verletzung sprechen. Glücklicherweise führt der Biß nicht immer zum Tode. Von fünfundfünfzig Fällen, die Lenz berichtet, endeten elf tödtlich, bei vierzigen erfolgte eine mehr oder weniger schnell vorübergehende, aber schmerzliche Krankheit, bei den letzten vier dauerte die Krankheit über ein Jahr oder brachte unheilbare Lähmung, Epilepsie etc. Diesem Unheil gegenüber ist es Pflicht eines Jeden, zur Ausrottung des Gezüchts nach Kräften beizutragen; sobald man eine Otter erblickt, ohne langes Besinnen auf dieselbe loszuspringen, sie unter die Füße zu bringen und der uralten Mahnung zu gehorchen, nämlich ihr den Kopf zu zertreten, das Stechen in die Ferse wird sie schon bleiben lassen.

Auf welche Weise das Gift wirkt, ist genauer nicht anzugeben, man kann nur sagen, daß es das Blut zersetzt und daß die Wirkung desselben um so schneller und gefährlicher erfolgt, je blutreicher der gebissene Theil ist. In den Magen gebracht, verliert es durch die Verdauungssäfte seine zerstörenden Eigenschaften, es schadet somit das Aussaugen der Wunde nicht; doch hat man sich vor diesem Mittel zu hüten, falls im Munde selbst zufällig kleine Verletzungen vorhanden sind. Das Beste bleibt immer ein rascher Kreuzschnitt und reichliches Blutenlassen, aber ohne viel Besinnen. Als ein ausgezeichnetes Mittel hat sich bei Lenz’ Versuchen das Auswaschen der Wunde mit Chlorwasser, sowie das Einnehmen des letztern erprobt.

Räthselhaft und auffällig wie so Vieles im Wesen der Schlange ist auch die so verschiedene Art der Giftwirkung bei verschiedenen Menschen und Thieren. Manche sind nach vierundzwanzig Stunden wieder völlig hergestellt, manche siechen ihr ganzes Leben lang an den Folgen eines Bisses; einige Thiere, wie der Igel und der Iltis, ertragen wiederholte Bisse ohne jegliche Beschwerde, andere, wie Hunde, Störche, Pferde etc., werden gefährlich krank; kleine Vögel, Mäuse, selbst die kaltblütigen Eidechsen und Molche sterben nach längerer oder kürzerer Frist an den Folgen der Verletzung.




„Es giebt noch Richter in Berlin.“


Als der bekannte Berliner Professor Eduard Gans dem berühmten englischen Rechtsphilosophen Bentham einen Besuch abstattete, brachte dieser das Gespräch auf Preußen und die daselbst früher herrschende Toleranz und Aufklärung.

„Was wollen,“ sagte der englische Gelehrte, „alle unsere Kirchenverbesserer, unsere Zehntenaufheber gegen die Energie eueres Mannes mit dem Zopfe bedeuten!“

„Unseres Mannes mit dem Zopfe?“ erwiderte Gans verwundert. „Verstehen Sie etwa Friedrich den Großen darunter?“

„Nein, ich verstehe darunter jenen hartnäckigen, beständigen und tapferen Prediger des göttlichen Wortes, der seine Tracht des gewöhnlichen Lebens auch auf der Kanzel nicht verlassen wollte und vor Gott erschien, wie er vor Menschen zu erscheinen pflegte. Mit solcher Größe können weder Brougham, ich muß sagen, wie er heute ist, noch Stanley, noch Grey, noch Althorp in die Schranken treten.“

Dieser Mann, den der berühmte Bentham bewunderte, war der einfache Prediger Schulz auf Gielsdorf in der Mark, welcher unter dem Namen „Zopfschulz“ wegen seines Processes eine historische Berühmtheit erlangt hat.

An einem Sonntag des Jahres 1782 stand der „Zopfschulz“ auf der Kanzel und lehrte seiner Gemeinde das Wort Gottes, wie er es auffaßte, rein, lauter im Geiste des wahren Christenthums, frei von allen dogmatischen Spitzfindigkeiten und von allen Entstellungen, die im Laufe der Jahrhunderte die erhabene Lehre verunstaltet haben. Andächtig lauschten seine Zuhörer, meist schlichte Landleute, seiner Rede, mit der sie vollkommen einverstanden waren. Als er geendet und die Kanzel verließ, drängten sie sich um den geliebten Seelsorger, der ihr volles Vertrauen besaß. Er war zugleich ihr bester Freund und Berather in allen geistlichen und auch weltlichen Angelegenheiten, vor dem sie das bekümmerte Herz ausschütteten. Heute klagten sie ihm ihre Noth und wie sie von dem Pächter des Gutsherrn die gewaltsamsten Mißhandlungen leiden müßten; deshalb baten sie ihn um Gotteswillen, sich ihrer anzunehmen. Der Zopfschulz suchte sie zu beruhigen und versprach ihnen, mit dem Dorftyrannen Rücksprache zu nehmen.

Noch an demselben Sonntag begab er sich zu diesem Zwecke in die Wohnung des Pächters, um ihn zur Rede zu stellen. Als dieser aber seinen gütlichen Ermahnungen kein Gehör schenkte, setzte der Prediger für die bedrückte Gemeinde eine Klageschrift auf und bewirkte auch damit die Verurtheilung des tyrannischen Pächters.

Dieser beschwerte sich jedoch bei seinem Gutsherrn, der merkwürdiger Weise Herr von Bismarck hieß und ebenfalls damals preußischer Staatsminister war.

Herr von Bismarck denuncirte bei dem Consistorium wörtlich: „daß der Prediger Schulz seine Lehren auf den ‚Fatalismum‘ gründe und selbige im Zopfe und nicht in einer Perüque oder gekräuselten Haaren der Gemeinde vortrüge“.

Der Zopfschulze verantwortete sich folgendermaßen: „Ich halte mich als Lehrer verpflichtet, nicht umsonst mein Brod zu essen, sondern mit allem Ernste und Fleiße dafür zu sorgen, daß meine Gemeinde wirklich unterrichtet, zu immer besseren Menschen und für den Staat zu so guten und nützlichen Bürgern gebildet werde, als durch mich nur geschehen kann. Und dazu treibt mich auch selbst mein deterministisches System an, nach welchem ich behaupte, daß alle sogenannten freien Handlungen der Menschen nothwendige Folgen ihrer deutlichen Vorstellungen und Erkenntnisse sind. (Luc. 23, 34. Joh. 16, 2. 3.)“

Den Haarzopf suchte er aus Gesundheitsrücksichten zu rechtfertigen, indem er sich zugleich auf das Zeugniß seiner Gemeinde und des andern Kirchenpatrons berief, der, ebenfalls merkwürdiger Weise, ein freisinniger Ritterschafts-Director von Pfuel war. Da derselbe erklärte, daß er an dieser Tracht keinen Anstoß nehme, beschloß das Consistorium, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Indeß hatte diese Anklage auf den Zopfschulz aufmerksam gemacht. Schon im nächsten Jahre wurde er von Neuem und zwar diesmal von einem Mitgliede des Consistoriums wegen einer von ihm veröffentlichten „Anleitung zur Sittenlehre für alle Menschen“ angezeigt, weil er in der Vorrede des dritten Theiles die Behauptung aufgestellt, daß die Vernunft von Gott nichts wissen könne.

Diesmal war die Sache ernsthaft und Schulz wurde zur Verantwortung gezogen. Er suchte sich damit zu rechtfertigen, „daß er seine Lehren mit mehreren Schriftstellern gemein habe, von denen auch einige sich schon besonders dahin geäußert hätten: wenn die Theologen vorgeben, Gott verlange von den Menschen, daß sie ihn erkennen sollten, so ist dies Vorgeben noch nicht einmal so vernünftig, als wenn ein Eigenthümer von der Ameise seines Gartens

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)