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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 11.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


In diesem Augenblick, als Herr von Walde durch das Fenster herein Elisabeth scharf fixirte, trat Miß Mertens in das Zimmer, um das junge Mädchen abzuholen; sie war mit Allem fertig und vollständig gerüstet, das Haus zu verlassen. Elisabeth eilte aufathmend ihr entgegen, während Herr von Walde das Fenster verließ und draußen einigemal auf- und abschritt. Als er wieder näher trat, verbeugte sich Miß Mertens tief und ging freudig auf ihn zu. Sie sagte ihm, daß sie heute schon mehrere Mal bei ihm vergeblich Zutritt gesucht habe, und sich nun sehr freue, ihm doch noch ihren Dank aussprechen zu dürfen für alle seine Güte und Fürsorge.

Er winkte abwehrend mit der Hand und wünschte ihr dann Glück zu ihrer Verlobung. Er sprach sehr ruhig. Wie durch einen Zauberschlag hatte sich plötzlich seine ganze Erscheinung wieder mit dem Nimbus der Hoheit und Unnahbarkeit umgeben, so daß Elisabeth nicht mehr begriff, wo sie den Muth hergenommen hatte, diesen Mann auf die Gesetze der allgemeinen Höflichkeit zurückzuführen … Die vorhin so leidenschaftlich flammenden Augen ruhten jetzt ernst auf Miß Mertens’ Gesicht. Der weiche, tiefe Klang seines Organs ließ nicht mehr ahnen, daß er sich noch vor wenig Augenblicken in beißender Ironie verschärft hatte, daß jedes seiner Worte ein Ausdruck der tiefsten Gereiztheit gewesen war und geklungen hatte, als solle es rächen und verwunden.

Herr von Walde war mit Bitterkeit gegen seinen Vetter erfüllt, das hatte Elisabeth ja heute schon einmal bemerkt. Warum aber mußte sie es büßen, wenn ihm der Verhaßte vor die Augen kam? … War sie nicht schon beleidigt genug gewesen durch Hollfeld’s abermalige Zudringlichkeit? … Und nun wurde sie auch noch das Opfer einer Entrüstung, an der doch nur Helene die Hauptschuld trug … Ein stechender Schmerz durchzuckte sie, als sie sich erinnerte, wie zärtlich und verzeihend Herr von Walde die Schwester in seine Arme genommen hatte, wie auch nicht ein Blick des Vorwurfs auf sie selbst gefallen war bei Erwähnung der Hollfeld’schen Besuche … sie, die arme Clavierspielerin, die nothgedrungen Hollfeld’s Anwesenheit mit dulden mußte, wurde nun zum Blitzableiter des brüderlichen Zornes … Oder hatte er mit angesehen, wie Hollfeld ihr die Rose auf das Buch warf, und war in seinem aristokratischen Stolz tief beleidigt, daß sein Vetter einem bürgerlichen Mädchen in der Weise huldige? … Dieser Gedanke kam Elisabeth wie ein erleuchtender Blitz … Ja, ganz gewiß, so nur konnte sie sich sein Benehmen erklären … Sie sollte die arme Blume zertreten und mit ihr den Beweis vernichten, daß Herr von Hollfeld einen Augenblick seine hohe Abkunft vergessen hatte. Darum wurde so plötzlich in rauhem, befehlendem Ton zu ihr gesprochen, in einem Ton, welchen sicher nur diejenigen an ihm kannten, die ein Vergehen zu büßen hatten; und darum auch sollte sie durchaus sagen, welchen Eindruck ihr Hollfeld’s plötzliches Erscheinen gemacht habe … In diesem Augenblick hätte sie nun hintreten und ihm unumwunden erklären mögen, wie verhaßt ihr sein hochgeborener Vetter sei, daß sie sich durchaus nicht geehrt fühle durch dessen Aufmerksamkeiten, sondern dieselben stets als eine ihr widerfahrene Schmach ansehe. Allein es war zu spät. Herr von Walde sprach mit Miß Mertens über Reinhard’s Reise nach England so ruhig und eingehend, daß es geradezu lächerlich gewesen sein würde, mitten hinein den Faden des vorigen stürmischen Gesprächs wieder aufzunehmen. Auch fiel nicht ein Blick seines Auges mehr auf sie, obgleich sie ziemlich nahe bei Miß Mertens stand.

„Ich bin eigentlich halb und halb entschlossen, die Reise selbst mitzumachen,“ sagte er schließlich zu der Gouvernante. „Reinhard soll mit Ihrer Frau Mutter zurückkehren, denn ich will Lindhof von nun an ganz unter seine Aufsicht stellen; ich aber bleibe den Winter über in London, gehe im Frühjahr nach Schottland.…“

„Und kehren dann Jahre lang nicht wieder heim,“ unterbrach ihn Miß Mertens erschrocken und betrübt zugleich. „Hat denn Thüringen ganz und gar keine Anziehungskraft für Sie?“

„O ja, aber ich leide hier, und Sie werden wissen, daß oft ein herzhafter Schnitt eine Wunde rasch und glücklich heilt, während sie unter einer allzu nachsichtigen, feigen Behandlung gefährlich werden kann … Ich hoffe viel von der schottischen Luft für mich.“

Die letzten Worte hatte er in einem Ton gesprochen, der scherzhaft sein sollte, allein der gewisse Zug zwischen den Augenbrauen trat schärfer hervor, denn je, und ließ Elisabeth seine heitere Stimmung sehr bezweifeln.

Er reichte darauf Miß Mertens die Hand und schritt langsam den Kiesweg hinab, wo er bald hinter einem Bosket verschwand.

„Da haben wir’s nun,“ sagte die Gouvernante traurig. „Statt daß er uns, wie ich im Stillen hoffte, eine schöne, junge Frau nach Lindhof bringt, zieht er wieder hinaus in die weite Welt und läßt in Jahr und Tag nichts wieder von sich hören noch sehen … Es ist etwas Ruheloses in ihm; kein Wunder, wenn man die unerquicklichen hiesigen Verhältnisse bedenkt … Die Baronin Lessen ist ihm ein Gräuel, und doch ist er gezwungen, an seinem eigenen Heerde stündlich mit ihr zu verkehren, denn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_161.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)