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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

z B. Man merkt sich das Wort Vergißmeinnicht, d. i. 79,532,281. Es wird Niemandem ganz leicht sein, diese Zahl sich ohne die geheime Hülfe zu merken; mit derselben ist’s natürlich Kleinigkeit. Man kann aber das Erstaunen bis zur Bewunderung steigern, wenn man irgend einen Satz oder gar einige Strophen eines Gedichts in Zahlen verwandelt, z. B: wandelt, z. B.

7 4 1 5 2 4 9 1 1 4 7 2 9 2 1 8 1 4 5 0 5 3
3 4 6 1 4 1 2 3 2 2 1 4 2 9 2 8 3 3 0 8 1 2 8 0 9 1 8 3.

Welche Zahlen! Aber der Eingeweihte sagt sie ohne Anstoß her, weil er nur die vier ersten Verse der ersten Strophe von Schiller’s Lied an die Freude in Ziffern übersetzt hat.

Schwerer wird die Sache, wenn die Zahlen gegeben sind; dann erst geht das, was wir zur Kurzweil unserer Leser als Spielerei hingestellt haben, in die eigentliche mnemonische Kunst über. Es gilt dann, die Merke-Wörter oder Merke-Sätze oder das, was der Mann vom Fach die mnemonischen Substitutionen nennt, selbst zu suchen, für sich zu bestimmen, oder die in den Lehrschriften der Mnemoniker bereits für geschichtliche Daten, geographische und andere Zahlen etc. bestimmten zu merken.

Dabei wird nicht blos dem Gedächtniß, sondern hauptsächlich dem Verstand und der Phantasie – und dazu dem gern mit Kling und Klang spielenden Geist der Kinder das Meiste aufgegeben. Will z. B. Jemand das Jahr merken, in welchem die Censur in Deutschland in’s Leben trat, so wird es ihm nicht schwer fallen den Rückert’schen Reim vom kräutersammelnden Apotheker und der Natur auf die Censur und Literatur anzuwenden:

Da ward Alles leichenfarber
Als Rhabarber

vermag ihn aber die Censur an Rhabarber zu erinnern, so hat er (das Jahr 1000 versteht sich von selbst) in Rhab = 486 die nun sicherlich unvergeßlichen übrigen Ziffern dazu.

Die Wiederherstellung des Jesuitenordens am 7. August 1814 merkt man durch den Zusatz: „Der Gefährliche“, d. h. (nachdem sich 1800 von selbst versteht) der = 14, G = August, f = 7.

Um zu prüfen, wie und wie rasch der von Herrn Mauersberger uns vorgeführte Knabe sich selbst für neue Aufgaben die Gedächtnißhülfe schaffe, legte Herr Keil ihm die Frage vor, welches Wort er sich merke, wenn er die Höhe z. B. des Nicolaithurms in Leipzig, diese zu 260 Fuß angenommen, mnemonisch sich einprägen wollte?

Der Knabe antwortete nach kurzem Besinnen: „Nebel.“

„Warum dies?“

„Weil der Thurm doch oft im Nebel stehe.“

Im Worte Nebel ist aber nach dem eben angedeuteten System der Mnemonik die Zahl 260 ausgedrückt.

Leider sind den Mnemonikern bis jetzt noch nicht alle Substitutionen so treffend und sinnig gerathen, bei vielen erscheint sehr Vieles an den Haaren herbeigezerrt, so daß diejenigen, welche sich mit einem flüchtigen Blick in eines der mnemonischen Lehrbücher der Geschichte, Geographie, Statistik begnügen, mit dem Urtheil über die Untauglichkeit der Sache sehr bald fertig sind. Jedenfalls ist’s rathsam, durch solche Urtheile nicht auch hier das Kind mit dem Bade auszuschütten, das Gelungene nicht wegen des Mißlungenen mit zu verwerfen, sondern das Gute zu benützen, bis es von Besserem abgelöst wird. Dagegen werden die Mnemoniker selbst gut daran thun, ihr Gebiet nicht sofort über alles Wissen ausdehnen zu wollen, sondern auf bestimmten Feldern auch dem Gedächtniß seine Ehre allein zu lassen.

Zu den jüngsten Bearbeitern der Geschichte nach den Regeln der Mnemonik gehört Herr C. T. Mauersberger, der uns die Veranlassung zu dieser Besprechung der Sache gab. Seinem ersten Werkchen: „Die wichtigsten Daten aus der Weltgeschichte, mnemonisch bearbeitet“ (Lpz., Friedr. Fleischer), verspricht er ein Wörterbuch von Substitutionen nachfolgen zu lassen, das allerdings den Anfängern das Fortschreiten in dieser Kunst sehr erleichtern würde.

Fr. Hofmann.




Auber und ein musikalischer Fund. Kürzlich ging ein französischer Abgeordneter, welcher als außerordentlicher Musikliebhaber bekannt ist, durch die Straßen von Paris. Da hörte er plötzlich einen jungen Menschen, der mit einem Wagen durch die Straßen fuhr und zerbrochenes Glas zusammenkaufte, mit heller, durchdringender Stimme seinen Ruf erheben: „Wer hat zerbrochene Flaschen?“

Der Klang dieser Stimme frappirte das musikalische Ohr des Abgeordneten; er redete den Glassammler an: „Woher sind Sie?“

„Aus Aveyron.“

„Ei, da sind wir ja Landsleute. Sie haben eine schöne Stimme.“

„Ist das Ihr Ernst?“

„Ja. Kommen Sie morgen Abend zu mir; hier ist meine Adresse.“

„Sehr gern. Soll ich meinen Wagen mitbringen?“

„Ich wüßte nicht, wozu.“

Am andern Abend klingelte der junge Mensch zwischen acht und neun Uhr an der Thür des Deputirten. Derselbe hatte einige Freunde, lauter Musikdilettanten, eingeladen.

„Nun, – mein Freund,“ sagte er zu dem Glasscherbensammler, „jetzt singe uns einmal irgend ein kleines Lied.“

„Ich! Sie haben mich zum Narren, ich singe nicht.“

„Lieber Freund, ein Deputirter hat Niemanden zum Narren. Mit einer solchen Stimme müssen Sie doch singen können!“

„Wahrhaftig nicht.“

„Wie, Sie können nicht einmal das berühmte Lied: ‚Nichts ist heilig für einen Sapeur‘? oder das: ‚Beim Mondenschein‘?“ „Nein.“

Alle Anwesenden lächelten. Sie sprachen damit die Ueberzeugung aus, daß ihr Wirth, der Musikenthusiast, sich getäuscht habe und in seiner Einbildung wieder einmal zu weit gegangen sei.

„Nein,“ sagte derselbe, „so leicht lasse ich mich nicht werfen. Jetzt lassen Sie einmal Ihren Ruf hören wie gewöhnlich.“

Die Fensterscheiben zitterten, als der junge Mensch aus voller Kehle rief: „Wer hat zerbrochene Flaschen?“

Die ganze Gesellschaft war überrascht von der Frische und Stärke seiner Stimme, man rief sogar: „da capo!“

Der Abgeordnete sprach, ganz erfreut über diesen Erfolg: „Junger Mann, ich werde Ihnen einen Gesanglehrer geben. Lernen Sie irgend ein Lied, geben Sie sich aber ordentlich Mühe, und nach Verlauf von vier Wochen, wenn Sie das Lied ordentlich auswendig können, gehen Sie mit sammt Ihrem Wagen in die Rue St. George Nr. 24. Dort vor der Hausthür schreien Sie, so laut Sie können: ‚Zerbrochene Flaschen!‘ und hernach fangen Sie Ihr Lied an und singen es recht gut.“

Dies Programm wurde wörtlich befolgt. Der Glassammler stellte sich ganz gut zum Singen an; eines schönen Morgens hielt er mit seinem Wagen vor dem bezeichneten Hause und begann, nachdem er seinen Ruf sehr energisch ausgestoßen, mit heller Tenorstimme das eingelernte Lied.

Nach dem ersten Vers öffnete sich ein Fenster im ersten Stock; nach dem zweiten Vers zeigte sich oben der kleine, feine Kopf eines Greises und eine Hand winkte den Sänger herauf.

Er folgte dem Wink und erzählte dem alten Herrn oben auf sein Befragen Alles, wie es zugegangen.

„Gut gespielt!“ sagte Auber lachend.

Der junge Mensch befindet sich gegenwärtig im Conservatorium, wo er lernt, mit seinem Gesang keine Fensterscheiben mehr zu zerbrechen und sich überhaupt des Verkehrs mit zerbrochenem Glase zu überheben, nebst noch manchem Anderen.

Vielleicht hört man künftigen Winter den an Auber adressirten Zögling in den Pariser Salons in elegantester Toilette seine Lieder vortragen und hierauf in der großen Oper debutiren.




Noch einmal das Singemäuschen. Seitdem die Gartenlaube die erste Kunde von der Existenz singender Mäuschen gebracht, ist dieses Thierchen, dessen Stammbaum vielleicht schon Jahrtausende zurückreicht, auch den Naturforschern erst bekannt geworden. Wir erhielten damals aus unserem Leserkreise viele Zuschriften über den Gegenstand, der von Manchen angezweifelt, von Anderen wieder durch neue ähnliche Funde belegt wurde. Das Neueste darüber berichten österreichische Blätter aus Prag. Dort, schreibt man, scheinen die Singmäuse in den Häusern auf derjenigen Seite der neuen Schloßstiege, welche sich an den Schloßberg anlehnt, förmlich heimisch zu sein. Seit November 1862 erfreute sich dort eine Familie jeder Nacht und oft selbst bei Tage des schmetternden wohltönenden Gesangs des wunderbaren Mäuschens, das endlich vor den Familiengliedern alle Scheu verlor, am Tage sich aus den Schlupfwinkeln des Bodens hervor in die Zimmer wagte und der Liebling der ganzen Familie wurde. Als diese eine andere Wohnung bezog, beschloß man, das Mäuschen zu fangen und mitzunehmen. Ein prächtiger Käfig nahm das niedliche Thierchen auf und so wanderte es mit in eine andere Gasse der Kleinseite Prags; – aber mit der Freiheit war auch der Gesang des Mäuschens dahin, erst nach vielen Tagen erhob es eine leise, fast klagende Weise; es war sein Schwanengesang, noch am selben Abend war es todt. Kurze Zeit nachher zog dieselbe Familie wieder auf die neue Schloßstiege, in ein Haus neben der alten Heimath des todten Singmäuschens, und siehe, abermals dringt melodischer Gesang unterm Fußboden hervor, als ob ein Kanarienvogel sich dort häuslich niedergelassen, und wieder ist’s ein solch’ unermüdliches Singmäuschen, welches ganze Nächte durch seine einfachen und doch so eindringlichen Weisen schmettert.




Dichter und Componist – jedem das Seine. Eine Notiz in der Gartenlaube und den Deutschen Blättern wünscht den Melodieen der Leierkasten bessere Texte, als die „fünf schönen neuen Lieder, gedruckt in diesem Jahre,“ gewöhnlich zu bieten pflegen; und so ist es gewiß nicht zu viel verlangt, wenn die armen, deutschen Liederdichter, die ja überdies schon zumeist aus allen Journalen hinausgetrieben wurden, mit der Bitte an Componisten und Concertgeber kommen, doch bei den Texten die sie zu ihren Compositionen und zu ihren Vorträgen in Concerten wählen, auch des Namens der Dichter Erwähnung zu thun. Es ist dies gewiß eine einfache, aber durch und durch gerechtfertigte Bitte. Das Lied ist Eigenthum des Dichters, das Niemand ihm antasten oder schmälern darf. Und wenn auch jeder Dichter sich freuen wird, wenn zu seinen Textesworten eine schöne Melodie durch die Welt geht, und er gewiß nicht den Componisten derselben, ob Benutzung seiner Worte, wegen Nachdrucks verklagen wird, wie er es doch könnte, so wird er aber verlangen und erwarten können, daß man seinen Namen nicht gänzlich und stets verschweige. Wir sehen dabei ganz ab, daß viele, namentlich jüngere Componisten, die gemeinhin jedes Lied, das sie componirt, stolz als so und so vielstes Opus in die Welt senden, auch zugleich eine Kritik und Censur sich anmaßen, die ihnen nicht zusteht; während sie wohl den Namen einzelner Dichter nennen, welche ihnen bedeutender erscheinen, oder an deren allbekannten Namen sie ihre unbedeutende Composition gleichsam emporranken und sich stützen lassen, lassen sie andere Namen gänzlich fort. Ebenso ist es bei den Concerten.

Jedem das Seine – und Gott für uns Alle. Wir glauben, es bedarf nur dieser Hinweisung, um ein Unrecht abzustellen!




Kleiner Briefkasten.


E. D .… in Stadtsch–g. Daß der dortige Pfarrer in seiner Polemik wider den Zeitgeist ganz besonders auch über unsere Gartenlaube die Fülle seines heiligen Zornes ausgegossen hat, befremdet uns gar nicht. Wir sind an dergleichen Freundlichkeiten von Seiten der sogenannten Frommen schon zu sehr gewöhnt, als daß wir ihnen die mindeste Bedeutung beilegen sollten. Uebrigens hat der Ihrige uns noch glimpflich genug behandelt; Hengstenberg in seiner Kirchenzeitung und Consorten verstehen das Geschäft besser.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_176.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)