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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 12.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Goldelse.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)


12.

Am andern Morgen um fünf Uhr wurden die Bewohner von Gnadeck durch Böllerschüsse geweckt. „Aha,“ sagte Ferber zu seiner Frau, „die Verherrlichung nimmt ihren Anfang.“ Elisabeth aber fuhr jäh aus einem schrecklichen Traum auf. Das Unglück, welches sie gestern abgewendet, hatte der Traum wahr gemacht; sie sah in dem Augenblick Herrn von Walde sterbend zusammenbrechen, als der Schuß im Thal sie aufschreckte. Es bedurfte langer Zeit, ehe sie sich zu sammeln vermochte. In einen einzigen Moment hatten sich unnennbare Schmerzen zusammengedrängt. Sie hatte gewähnt, Himmel und Erde müßten mit jener hohen Gestalt zusammenstürzen und auch sie unter ihren Trümmern zerschmettern, und noch jetzt, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß das goldene Morgenlicht in ihr Stübchen und nicht auf die blutgetränkte Waldwiese falle, vibrirten die aufgestürmten Gefühle nach … nicht einmal gestern, als sie ihr Leben für das seine wagte, war sie sich so klar bewußt gewesen, daß sie in einem solchen Augenblick mit ihm sterben müsse.

Wieder und wieder donnerte es drunten durch das Thal. Die Fensterscheiben im Zwischenbau klirrten leise, und Hänschen flatterte entsetzt auf und klammerte sich an die Stäbe seines Käfigs. Elisabeth schauderte jedes Mal zusammen, und als die besorgte Mutter, die sich noch immer nicht über den Vorfall des gestrigen Tages beruhigen konnte, obgleich sie ihr Kind wohlbehalten und unverletzt ihr zurückgegeben sah, an der Tochter Bett trat, um zu fragen, wie sie geschlafen habe, da schlang diese heftig die Arme um ihren Hals und brach in einen unaufhaltsamen Thränenstrom aus.

„Um Gotteswillen, Kind!“ rief Frau Ferber erschrocken, „Du bist krank! … Ich wußte wohl, daß die gestrige Nervenaufregung nicht ohne Folgen bleiben würde … und nun schießen sie auch noch so unvernünftig da unten.“

Es kostete Elisabeth viel Mühe, die Mutter zu überreden, daß sie sich ganz gesund fühle und um keinen Preis im Bette bleiben, sondern mit den Andern zusammen Kaffee trinken wolle. Um jede Einwendung sofort abzuschneiden, schlüpfte sie in ihre Kleider, wusch das verweinte Gesicht mit frischem Wasser und stand bald draußen am Heerde, um die letzte Hand an das von der Mutter vorbereitete Frühstück zu legen.

Die Schüsse waren plötzlich verstummt, und es währte nicht lange, da waren auch die Thränenspuren aus Elisabeth’s Augen verwischt. Sie blickte wieder heller in die Welt, denn wenn sie auch ein Leben voll Entsagung vor sich sah, so lebte er ja doch, dieser Gedanke hatte infolge des fürchterlichen Traumgesichts eine beschwichtigende Kraft für ihr unruhiges Herz … und wenn er auch ging – weit fort – und sie mußte Jahre lang leben, ohne ihn zu sehen, einmal kam doch eine Zeit, da er wiederkehrte… Und ihn lieben und an ihn denken durfte sie ja auch, denn er gehörte ja keiner Andern.

Später ging sie mit den Ihrigen und Miß Mertens nach dem Forsthause, wohin die Gesellschaft, wie alle Sonntage, für den Mittag eingeladen war. Auf der Stirn des Oberförsters, der ihnen entgegenkam, lagen schwere Wolken. Wie Elisabeth bald bemerkte machte ihm Bertha schwer zu schaffen.

„Ich kann und werde diese Wirthschaft nicht länger mehr mit ansehen!“ rief er heftig. „Soll ich in meinen alten Tagen noch Zuchtmeister werden und in meinem eigenen Hause Tag und Nacht auf der Lauer stehen, um ein junges, eigensinniges Ding, das mich eigentlich auf der Gotteswelt nichts angeht, von verrückten Streichen abzuhalten?“

„Onkel, bedenke, daß sie unglücklich ist!“ rief Elisabeth erschrocken.

„Unglücklich? … Eine Komödiantin ist sie… Ich bin auch kein Menschenfresser, und als ich sie für wirklich unglücklich hielt, d. h. wie sie beide Eltern auf einmal verlor, da bin ich ihr Stab und Stütze gewesen, so viel nur in meinen Kräften stand… Aber da steckt das Unglück auch gar nicht; denn dazumal, kaum zwei Monate nach dem Trauerfall, trillerte sie den ganzen Tag wie eine Haidelerche, so daß mir das Herz weh gethan hat bei so viel Leichtsinn und Herzlosigkeit… Worüber ist sie unglücklich, he? … Ich will es übrigens auch gar nicht wissen, das Staatsgeheimniß, und wenn sie kein Vertrauen zu mir hat, so mag sie’s bleiben lassen… Meinetwegen könnte sie auch das ganze Jahr ein Thränenweiden-Gesicht machen, wenn sie sich nun einmal darin gefällt; aber sich stumm stellen, des Nachts wie eine Verrückte im Walde herumlaufen und mir eines schönen Tages das Haus über dem Kopf anbrennen, das sind Dinge, in die ich denn endlich doch ein Wörtchen reden werde.“

„Hast Du denn meine Warnung neulich nicht beachtet?“ fragte Ferber.

„Ei freilich… Ich habe ihr sofort eine andere Stube angewiesen, sie schläft jetzt über mir, so daß ich jeden Tritt droben hören kann. Nachts werden beide Hausthüren nicht blos verriegelt, wie früher immer geschehen ist, sondern auch zugeschlossen, und ich nehme die Schlüssel mit in meine Kammer… Aber Weiberlist – nun, das ist eine alte Geschichte… Wir haben durch die Vorsichtsmaßregeln wenigstens eine kurze Zeit Ruhe gehabt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_177.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)