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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Bismarck an Uhden.
Kleine Skizze aus großer Zeit.
Von E. Dohm.[1]
I.


Bismarck an Uhden? Ein garstig Lied! Pfui, ein politisch Lied!

Nichts weniger, lieber Leser, nichts weniger als das.

Aber „Bismarck an Uhden!“ Ist denn Herr von Bismarck nicht –

Minister Seiner Majestät des Königs von Preußen? Allerdings. Aber nicht der Annexionsgraf, nicht der „deutsche Cavour“ aus dem siebenten Decennium des neunzehnten Jahrhunderts. Auch ist unser Uhden an der Erschaffung brauchbarer Hülfsarbeiter für das königlich preußische Obertribunal noch unschuldiger, als der Herr Chefpräsident aus dem Jahre des Heils 1866. Die gänzliche Schuldlosigkeit Beider an allen Verfassungsconflicten und Obertribunalsbeschlüssen unserer Tage erhellt am besten aus dem, wenn nicht localen, so doch chronologischen Alibi, dessen Beweis dieselben beizubringen im Stande sind; denn der kurze Briefwechsel, an welchen die Ueberschrift der vorliegenden Erzählung sich anknüpft, datirt aus dem November des Jahres 1751.

Auch ist der Gegenstand unserer Mittheilungen ein völlig unpolitischer und höchst harmloser – nicht ganz harmlos freilich für unmittelbar dabei Betheiligte, aber doch harmlos gegenüber vielen Dingen, welche heute die Gemüther der Menschen beschäftigen und das öffentliche Interesse in Anspruch nehmen; harmlos auch, insofern die hier in Rede kommenden Ein- und Uebergriffe eines absoluten königlichen Willens sich nur auf die Reorganisation von persönlichen Verhältnissen, auf die Beilegung eines Conflicts zwischen Gliedern einer dem Throne nahestehenden Familie beziehen und bei aller Rücksichtslosigkeit des Verfahrens dennoch durch eine liebenswürdige Beimischung allerhöchster Theilnahme und Milde gekennzeichnet werden.

Die Heldin unserer Erzählung ist eine Tänzerin, deren interessante Verhältnisse und Beziehungen zu allerhöchsten Kreisen ihrer Zeit ein zwar weit anständigeres, doch kaum minder großes Aufsehen erregten, als in den Tagen unserer Erinnerung das Auftreten einer ihrer Kunstgenossinnen in der Hauptstadt eines Landes, dessen Regierung bis heute noch vergeblich sich um die Hegemonie der dritten Staatengruppe in der projectirten deutschen Trias bewirbt.

Die Schicksale unserer Heldin, der berühmtesten Tänzerin des vorigen Jahrhunderts, sind mehrfach Gegenstand irrthümlicher, ja sogar absichtlich gefälschter Darstellungen gewesen. Die ersten authentischen Angaben verdanken wir dem um die Geschichtsschreibung der deutschen Bühne mannigfach verdienten Herrn Louis Schneider, welcher die auf unsern Stoff bezüglichen, im geheimen Staats- und Cabinets-Archiv aufbewahrten Documente im Original durchgesehen, gesammelt und in wortgetreuem Abdruck als Beilagen zu seiner „Geschichte der Oper und des Königlichen Opernhauses in Berlin“ zum ersten Mal veröffentlicht hat. Diese Documente und noch einige aus anderen Quellen geschöpfte Mittheilungen bilden das Material zu der folgenden Skizze, deren Absicht ist, in kurzen, gedrängten Zügen einen kleinen Beitrag zur Sittengeschichte des vorigen Jahrhunderts zu liefern. –

Das neue Berliner Opernhaus war im Jahre 1743 in der Gestalt vollendet, in welcher die Aelteren der jetzt lebenden Generation dasselbe bis zu dem genau hundert Jahre später, nämlich im Jahre 1843, erfolgten Brande gekannt haben.

Die für jeden Andern erdrückende Last der Regierungsgeschäfte und die Führung des ersten schlesischen Krieges hatten dem jungen Könige Friedrich dem Zweiten noch hinreichende Muße, Frische und Spannkraft des Geistes genug gelassen, um neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten auch der Leitung und Verwaltung des Theaters, namentlich der Oper und des Ballets, bis in ihre kleinsten Einzelheiten das lebhafteste und eingehendste Interesse zu widmen. Kein Gesuch einer Sängerin, kein Gezänk unter Tänzern war dem großen Monarchen zu klein, um sich nicht persönlich mit der Erledigung desselben in einem oder dem andern Sinne zu befassen. So hatten die französischen Tänzer Marie Cochois und Tessier im August 1743 über Mißhandlungen von Seiten des Balletmeisters Poitier sich bei dem Könige beschwert. Zwar lautete die nächste Antwort des Königs an den Intendanten: „Ich melire mich nicht von allen diesen Sachen. Ich will das Plaisir haben sie tantzen zu sehen, das übrige kann er machen, wie er es gut findet, ohne mich davon zu meliren.“ Dennoch wurde wenige Tage später Poitier nebst seiner Geliebten, der sehr gern gesehenen Tänzerin Roland, auf königlichen Befehl entlassen, und diese Entlassung durch folgenden, vom Könige selbst verfaßten und in der Spener’schen Zeitung vom 22. August veröffentlichten Artikel dem Publicum verkündet: „Dieser Tage sind der Herr Graf von Gotter und der Herr Baron von Schwertz, Directores der Opera, genöthiget gewesen, den Balletmeister Herrn Poitier, welcher sich einer recht übermäßigen Botmäßigkeit über die Täntzer anmaßte und dessen Hochmuth sich so weit verging, daß er gegen besagte Directores tausend Insolentien verübte, fortzujagen. Man will hier keine umständliche Nachricht von allen Arten seiner üblen Aufführung mittheilen, indem deren Erzehlung bloß dazu dienen würde, bei dem Publico Verdruß und Eckel zu erwecken. Indessen bedauert man nichts mehr, als die Demoiselle Roland, eine sehr geschickte Täntzerinn, welche durch ihren stillen und angenehmen Charakter das unbescheidene Betragen ihres Compagnons einigermaßen wieder gut machte. Ohne hier genau zu untersuchen, in was vor Verbindungen die Demoiselle Roland mit dem Herrn Poitier sich etwa befinden möchte, so ist man doch bisher nicht im Stande gewesen, sie von einander zu trennen, und man kann den Besitz einer der größten Täntzerinnen von Europa nicht anders wieder erkaufen, man müste sich denn zu gleicher Zeit mit dem allerärgsten Thoren und dem allergröbsten Gesellen, den Terpsicore jemahls in ihrer Rolle gehabt hat, belästigen. Es ist also kein Gold ohne Zusatz, und keine Rose ohne Dornen.“

Daß der König diesen Artikel selbst verfaßt hat, geht aus einem eigenhändigen französisch geschriebenen Briefe desselben an Jordan hervor, in welchem er u. A. sagt: „Ich habe einen Artikel für die Berliner Zeitung verfaßt, in welchem Poitier in bester Manier ausgetrommelt (tympanisé) wird.“

Die durch Poitier’s Entlassung und namentlich durch den Abgang der Demoiselle Roland entstandene Lücke mußte möglichst bald ausgefüllt werden. Für den Ersteren wurde durch den preußischen Gesandten in Paris der Balletmeister Lany engagirt. Derselbe erbot sich, eine erste Tänzerin von dort mitzubringen; allein der König, durch die soeben gemachte Erfahrung belehrt, fürchtete, es könnte leicht wiederum ein zu vertrautes Verhältniß zwischen Balletmeister und Tänzerin entstehen. Er lehnte deshalb Lany’s Anerbieten ab und befahl, eine Künstlerin ersten Ranges in Italien zu engagiren. –

Die berühmteste Tänzerin Italiens war die damals in Venedig engagirte Barbara Campanini, von ihrem sie fast vergötternden Volke gewöhnlich La Barbarina genannt, ein ebenso schönes wie geistreiches und kühnes Weib, das trotz seiner Jugend den Lorbeer vollendeter Künstlerschaft schon an den Ufern der Themse gepflückt hatte. Der preußische Resident in Venedig, Graf Cataneo, welchem, wie vielen anderen diplomatischen Agenten Preußens, der Befehl des Königs, eine Prima Donna des Ballets zu suchen, zugegangen war, berichtete über seinen Fund nach Berlin und knüpfte bald darauf, von dem Könige dazu ermächtigt, Engagementsverhandlungen mit der Barbarina an. Ein Vertrag, durch welchen der Tänzerin bei einem fünfmonatlichen Urlaub ein Jahresgehalt von siebentausend Thalern gesichert war, wurde von ihr und ihrer Mutter unterschrieben und Behufs allerhöchster Genehmigung und Vollziehung nach Berlin gesandt.

Bei der Dürftigkeit und Schwerfälligkeit der damaligen Verkehrsmittel verging bis zur Ankunft der königlichen Cabinetsordre in Venedig einige Zeit – lang genug für die schöne Signora, um während derselben die Bekanntschaft eines jungen Lords Stuart

  1. Es gewährt uns besondere Freude, im vorstehenden Artikel die, unsers Wissens, bis jetzt einzige nicht dramatische und nicht metrische Arbeit des bekannten Redacteurs des Kladderadatsch veröffentlichen zu können.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_216.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)