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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Bismarck an Uhden.
Kleine Skizze aus großer Zeit.
Von E. Dohm.
II.


Ueber den weiteren Verlauf der Sache berichten zwei französisch geschriebene Depeschen, die einander ergänzen. Die eine ist an den schon erwähnten Minister von Podewils, die andere direct an den König gerichtet. Jene soll hauptsächlich dazu dienen, Lord Stuart bei dem Minister Zutritt zu verschaffen, da der erstere von Gefühlen der Hochachtung gegen den letztern und der Verehrung gegen den König erfüllt sei und, wenn er sein Ziel, „seine Flamme zu krönen“, erreicht habe, gewiß mit Freuden einen Ersatz für die Tänzerin schaffen und die Kosten tragen werde. Außerdem wird darin Mayer behufs einer ihm für die vielen Mühen und Schwierigkeiten zu gebenden angemessenen Belohnung angelegentlichst empfohlen.

Diese Depesche wird durch folgenden, vom 29. April datirten Bericht des Grafen Dohna an den König ergänzt: „Obgleich der Mann, welchen ich zum Empfang der Barbarina abgesandt, sich in Goritz mit aller erforderlichen Klugheit und Festigkeit benommen und sowohl bei Gelegenheit den Beistand des Commandanten erbeten und auf Grund der Geleitsschreiben vom hiesigen Hofe erhalten, als auch das beträchtliche Geschenk zurückgewiesen hat, welches der verliebte Englische Lord ihm für die Erlaubniß einer Viertelstunde des Beisammenseins mit seiner Geliebten anbot: so habe ich es doch jedenfalls für gerathener gehalten, sie nicht durch Wien, sondern bei Preßburg über die Donau gehen, und von dort über Ratibor und Neustadt weiter reisen zu lassen; und da Herr von Hammerstein sich gerade nach Berlin begeben wollte, so glaubte ich für die Ausführung aller dieser Maßregeln keinen besseren Weg finden zu können, als ihn zu ersuchen, bis Gratz vorauszugehen und sich von da ab meinem Bevollmächtigten anzuschließen, um sie nach Berlin zu bringen. Der Engländer ist zweimal bei mir gewesen; er scheint mir ein Mensch von höchst eigenthümlichem Charakter zu sein. Er ist sehr sanft und sehr höflich, ein Mann von Welt, er besitzt Kenntnisse, gute Sitten, spricht gut Französisch, hat abgesehen von seiner unsinnigen Leidenschaft ein ganz gutes und gesundes Urtheil, und so weit man überhaupt sagen kann, daß Jemand über etwas Unsinniges vernünftig spricht, muß man ihm das Zeugniß geben, daß er es über seine Liebe thut. Er hat den leidenschaftlichen Wunsch, sich Ew. Majestät zu Füßen zu werfen und von Ew. Majestät Gnade für seine Verlobte zu erflehen, für deren Tugend er einstehe; er sagt, er wolle 100,000 Thaler Bürgschaft stellen, wenn es ihm gestattet wird, sie selbst nach Berlin zu führen und hier von der Gnade Ew. Majestät die Entscheidung über Leben und Tod zu erwarten. Er hat Herrn von Cataneo so für sich einzunehmen und zu rühren gewußt, daß dieser sich sehr angelegentlich für ihn verwandt hat. Er behauptet, sein ältester Bruder sei sehr zufrieden mit der von ihm beabsichtigten Vermählung; er sei unumschränkter Herr seiner Handlungen und seines Vermögens; Heirathen dieser Art seien bei ihm zu Lande etwas ganz Gewöhnliches, und Lord Hyndfort, der ihm entfernt verwandt, habe Ew. Majestät mildes Urtheil durch Nachrichten getäuscht, die so schlecht erfunden seien, daß sie höchstens als Einleitung zu einem Roman zu benutzen wären.“

Gleichzeitig mit diesen Depeschen und Berichten näherten sich auch die beiden Liebenden, freilich auf verschiedenen Wegen, dem Ziel ihrer Reise, der Haupt- und Residenzstadt Berlin, in welcher sie am 8. Mai des Jahres 1744 anlangten.

Der in dem Bericht des Grafen Dohna erwähnte Lord Hyndfort war der Gesandte Englands am preußischen Hofe und, wie bereits bemerkt, dem jungen Lord Stuart de Mackenzie ziemlich nahe verwandt. Sie waren politische Gegner, der Letztere Whig, der Erstere ein Hochtory, auch waren ihre Familienbeziehungen keineswegs die allerfreundlichsten. Dazu vielleicht noch auf Seiten des prüden Aristokraten die Furcht vor dem Scandal, den die Vermischung reinen englischen Vollblutes mit dem einer italienischen Roturière für die Familie herbeizuführen im Stande wäre; genug, der Vertreter Englands am Berliner Hofe setzte Alles daran, die Verbindung seines Vetters mit der Barbarina zu hintertreiben. So geschickt und erfolgreich hatte der Diplomat das Terrain zu bearbeiten gewußt, daß der junge Lord sogleich bei seiner Ankunft sich von der Fruchtlosigkeit jedes weitern Schrittes überzeugte und sich einzig auf einen Appell an die Gnade des Königs angewiesen sah. Am 8. Mai in Berlin angelangt, wandte er sich schon am folgenden Tage in einem (französisch geschriebenen) Briefe an den König, dessen Inhalt von dem Ernst und dem Feuer seiner Empfindungen Zeugniß geben mag. Derselbe lautet:

          „Sire!

Ich weiß wohl, in einer wie nachtheiligen Stellung ich mich befinde, indem ich mir die Freiheit nehme, mich heut an Ew. Majestät zu wenden. Die Angelegenheit, um welche es sich handelt, gehört zu denen, welche die Welt als Schwäche zu verurtheilen gewöhnt, ja, verpflichtet ist. Vielleicht ist dieselbe auch, wie oft bei entfernten Gegenständen geschieht, Ew. Majestät in einem falschen Lichte dargestellt worden;[WS 1] weiß ich doch, daß einige meiner Verwandten (obgleich sie weder das geringste Recht, noch den geringsten Einfluß auf mich besitzen) alle Minen haben springen lassen, um Ew. Majestät einem Plane ungünstig zu stimmen, von dessen Durchführung die Ruhe meines Lebens abhängt.

Ich gestehe, es wäre das mehr als genügend, mir allen Muth zu rauben, besonders in Erwägung der unendlichen Kluft, welche einen so erhabenen Thron wie den Ew. Majestät von der bescheidenen Stellung eines einfachen Privatmannes trennt, bedächte ich nicht zugleich, daß ich die Ehre habe, zu einem Könige zu reden, dessen ebenso seltene wie bewundernswerthe Wahrheitsliebe selbst dem geringsten seiner Unterthanen den Weg zu seinem Ohre geöffnet hat – zu einem König, der durch die Größe seines Geistes und durch seine über die gemeinen Vorurtheile der übrigen Menschen weit erhabene Weisheit sich zu einer Höhe emporgeschwungen, die wo möglich noch ruhmreicher ist als die ausgezeichnete Stellung, welche seine Geburt ihm angewiesen hat.

Auf ebenso gerechte wie unantastbare Gründe gestützt, erkühne ich mich der Freiheit, Sire, Ihnen zu sagen, daß es mir niemals in den Sinn gekommen ist, mich (wie man, soviel ich seit meiner Ankunft hierselbst gehört, mich beschuldigt hat) dem Willen Ew. Majestät widersetzen zu wollen. Ich sollte meinen, daß mein an Lord Hyndfort gerichtetes Schreiben meine Empfindungen über diesen Punkt klar genug darlegt; denn ich erklärte ihm in diesem Schreiben, daß, falls Ew. Majestät (nachdem Sie von dem zwischen Fräulein Barbarina und mir abgeschlossenen Ehevertrage Kenntniß erhalten) dennoch auf dem Beschluß, sie nach Berlin kommen zu lassen, bestehen sollten, ich selbst bereit wäre, Sie zu Ew. Majestät Füßen zu führen. Rücksichtlich Derer, die sich in so auffallender Weise meiner Verbindung widersetzen, kann ich Ew. Majestät auf mein Ehrenwort versichern, daß die Gesetze meines Vaterlandes ihnen nicht das entfernteste Recht geben, sie mir zu verbieten oder mir irgend welche Hindernisse in den Weg zu legen, da ich bereits seit fünf Jahren vollständig über mich verfüge und meine gänzliche Unabhängigkeit sowohl von meinen Verwandten als auch vom Hof vor aller Welt dargethan, indem ich Beiden im Parlament fortwährend opponire. Hätte ich dies nicht gethan, so würden sie sich vielleicht weniger Mühe geben, in dieser Angelegenheit, in welcher ich, wie sie wissen, am leichtesten und tiefsten zu verletzen bin, mir Kummer zu bereiten. Uebrigens ist in England nichts gewöhnlicher als eine Ehe zwischen einem Manne aus einer der ersten Familien und einer Frau von geringerem Herkommen, da jede Frau vom ersten Augenblick an den Rang ihres Gatten einnimmt und so den Kindern aus dergleichen Ehen kein Abbruch geschieht. Ich darf mit voller Wahrheit sagen: ich habe erst nach sehr langem Nachdenken und reiflichem Ueberlegen meinen Entschluß in dieser Angelegenheit gefaßt, in welcher ich mich so gebunden und verpflichtet fühle, daß ich, selbst wenn ich es wollte, nicht mehr im Stande wäre, mich mit Ehren loszumachen.

Ich bitte Ew. Majestät ganz unterthänigst um Vergebung, wenn, um den ungünstigen Eindruck, welchen meine Absichten und mein Verhalten in dieser Sache auf Ew. Majestät vielleicht gemacht, zu zerstreuen, ich mich verpflichtet glaubte, Sie mit all’ diesen Einzelheiten zu belästigen und die Wahrheit in Ihrem richtigen

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: werden
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_237.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)