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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Das Herz der Handelswelt.
Von Friedrich Althaus in London.


Schon einmal, vor sechs Jahren, haben unsere Leser an der kundigen Hand Heinrich Beta’s eine Reise durch das imposante Institut der Bank von England gemacht; eine Anstalt aber, welche, wie die genannte, recht eigentlich als der Mittelpunkt des englischen, ja in gewisser Weise als das Herz des Geschäftslebens der gesammten Welt zu begreifen ist, verdient schon, daß wir ihr auch einen zweiten Besuch schenken, zumal, wenn dieser sich nach Seiten und Räumlichkeiten wendet, welche damals, wo es uns zunächst um das Totalbild des gewaltigen Etablissements zu thun war, unsere Aufmerksamkeit minder in Anspruch nahmen.

Der allgemeine Eindruck des Bankgebändes erinnert an die Beschreibungen orientalischer Reisenden von den Palästen indischer Nabobs. Ein kolossales Quadrat aus gelbbraunem Gestein, von etwa sechzig Fuß Höhe und dreihundertundfünfzig Fuß Länge und Breite; mit Ausnahme mehrerer an den Ecken und in gleichmäßigen Zwischenräumen an den Fronten angebrachter Säulenstellungen, ohne jeden äußern Schmuck und, die Façade des Haupteingangs abgerechnet, wie wir wissen, ganz ohne Fenster; statt des Daches von einer festungsartigen Crenellirung gekrönt und rings von hohen Eisengittern umgeben, wirkt dieser Bankpalast, wie jene indischen Königspaläste, mehr als durch irgend etwas Anderes durch seine monumentale Masse und die Vorstellung von den fabelhaften Schätzen, von der bunten, geheimnißvollen Welt, die er im Innern verschließt. Sicherheit und Dauerhaftigkeit scheinen die Ziele gewesen zu sein, welche den Architekten bei seinem Baue leiteten. Und der blos oberflächliche Anblick befestigt sofort die Ueberzeugung, daß dies Bemühen ihm im vollsten Maße gelungen. Eine Batterie schwerer Geschütze möchte diese Mauern niederschmettern, eine feindliche Sturmcolonne mit gewaffneter Hand in das Innere eindringen können, aber den Unternehmungen der Brüderschaft der professionellen Feinde fremden Eigenthums setzen (das lehrt der erste Blick) diese Gitter, Festungswälle und Eisenthüren geradezu unüberwindliche Bollwerke entgegen. Den äußern Vorsichtsmaßregeln entspricht aber die innere Disciplin, und so überwiegend ist die durch beide gewährleistete Empfindung der Sicherheit, daß auch die große Bank von England von der charakteristischen Verkehrsfreiheit des Londoner Lebens keine Ausnahme bildet. Während der Geschäftsstunden zwischen zehn und vier Uhr stehen sämmtliche Eingänge des gewaltigen Gebäudes ohne Nachfrage irgend welcher Art jedem Besucher offen, und wer sich mit einem einfachen Durchwandern der Säle und Corridore begnügen will, bedarf keinerlei Einführung oder Empfehlung, sondern braucht nur durch eine der Thüren einzutreten, welche unter dem Porticus des Haupteingangs den Weg in das Innere öffnen.

Wie jene andere Londoner Kaufmannsgesellschaft, deren Geschichte ihrer eigenen an grandiosem Erfolge gleichkommt, die Ostindische Compagnie, verdankt die Bank von England ihre Entstehung lediglich dem Unternehmungsgeist von Privaten, und wie zur Zeit ihrer Gründung im Jahre 1694, so befindet sich noch jetzt ihre Administration in den Händen eines Ausschusses der Actionäre, unter dem officiellen Titel: The Governor and Company of the Bank of England. Das Parlament ertheilte der Gesellschaft außer ihren corporativen Rechten das Privileg der Ausgabe von Banknoten und benützte diese Gelegenheit zu einer Reform der öffentlichen Finanzverwaltung, welche für England als epochemachend zu bezeichnen ist. Bis dahin hatte die Regierung, wenn sie außerordentliche Gelder brauchte, von dem guten Willen der Wucherer und Geldmäkler abgehangen. Die Concession der Bank von England dagegen wurde an die Bedingung geknüpft, daß in Zukunft etwaige Staatsanleihen durch die Bankverwaltung besorgt werden sollten, und während die Gründung eines so wichtigen öffentlichen Instituts den Operationen der gesammten handeltreibenden Welt einen frischen Aufschwung gab, gewann die Finanzverwaltung des Staats zugleich an Würde und Sicherheit. Abgesehen davon erstreckte die der Bank ertheilte Concession sich anfangs nur auf einen Zeitraum von elf Jahren. Später wurde sie wiederholt von elf zu elf Jahren erneuert, bei welcher Gelegenheit die Regierung nie versäumte, von dem ausbedungenen Anleiherecht Gebrauch zu machen.

Das waren die Anfänge der Bank von England, und wie das indische Kaiserreich aus den Factoreien der Ostindischen Compagnie, so wuchs aus dieser Uebereinkunft einer Gesellschaft von Londoner Kaufleuten mit der englischen Regierung die mächtige Anstalt hervor, welche heutiges Tages dem Weltreich der Geld- und Creditverhältnisse Englands als präsidirende Behörde vorsteht.

Der Haupteingang des Bankgebäudes, das, wie es gegenwärtig dasteht, erst 1788 durch den Architekten Sir John Scane vollendet, führt zunächst in einen geräumigen innern Hof, in den links, rechts und geradeaus hohe Thüren münden. Links sieht man einen Garten, ehemals Kirchhof, und etwas rückwärts eine Thür, deren Messingschild die Inschrift trägt: „Banking Department“. Rechts führen mehrere Stufen nach einem Eingang, woran zu lesen, daß die letzten Dividenden fällig sind. Die geradeaus befindliche Thür trägt die Ueberschrift: „Pay-Hall“. Ich will hier sofort bemerken, daß diese drei Eingänge und Inschriften dem Eintretenden mit einem Male die drei Hauptbranchen der Thätigkeit andeuten, welche sich in der Bank von England concentriren. Die Pay-Hall ist das Organ der Vertheilung und Auszahlung der Banknoten; das Dividendenbureau hat die Verwaltung und Liquidirung der Zinsen der Staatsschulden in Händen; in dem Banking Department endlich agirt die Compagnie als Cassirer des Staats, als Banquier anderer Banken, Kaufleute und Privatleute und als Hauptdiscontirer kaufmännischer Wechsel und Werthpapiere. Man denke jedoch nicht, daß ein einziger Saal für jedes dieser Departements ausreicht. Die zu erfolgreicher Geschäftsführung so unerläßliche Theilung der Arbeit ist vielmehr nirgends mit größerer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zur Durchführung gekommen, als in der Bank von England. Ehe die Noten in die Zahlhalle gelangen, haben sie (von einer ausschließlich mit Anfertigung des Banknotenpapiers beschäftigten Papiermühle zu schweigen) zwei verschiedene, im Bankgebäude befindliche Druckereisäle durchwandert; aus dem zweiten dieser Säle sind sie weiter spaziert in ein Specialbureau, dessen Beamte die Güte der Arbeit einer schließlichen Prüfung unterwerfen; aus dem Prüfungsbureau in die Schatzkammer entlassen, werden sie ferner eine Zeit lang in den dort befindlichen Eisenkisten aufbewahrt, bis zuletzt der Befehl des ersten Cassirers ihren Transport in die Zahlhalle und damit die Vertheilung an das Publicum verfügt. Womöglich noch großartiger ist die Organisation des zur Verwaltung der Staatsschuld bestimmten Departements. Es umfaßt dasselbe nicht weniger als zehn selbstständige Bureaus, mit einer Gesammtzahl von eintausend siebenhundert Geschäftsbüchern und vierhundert Beamten und Commis aller Grade. Außerdem enthält dies Departement die sogenannte Stock Office Library, ein Archiv von nahezu hunderttausend Bänden, die in historischer Reihenfolge ausführliche Auskunft geben über sämmtliche seit 1694 stattgehabte Anlehen. Mit gleicher Sorgfalt ist das Banking Department eingerichtet, und, um es kurz zu sagen, die Summe der in der Bank von England enthaltenen Geschäftslocale aller Branchen beläuft sich auf zweiunddreißig, die Gesammtzahl der in denselben beschäftigten Beamten und Commis auf siebenhundert und siebenzig,[1] die diesen Letzteren gezahlten Jahrgehalte auf zweimalhundert und vierzigtausend Pfund Sterling und die an ausgediente Beamte gezahlten Pensionen auf zwanzigtausend Pfund Sterling. Diese Thatsachen mögen genügen, um vorläufig eine annähernde Vorstellung zu geben von den großartigen Verhältnissen des Instituts, in dessen Hauptvorhof wir uns umgeschaut haben.

Treten wir nun in die Zahlhalle ein, deren innere Einrichtung die beigefügte Illustration treffend veranschaulicht. Sie ist dasjenige Local der Bank, welches vielleicht am meisten von der großen Masse des Publicums besucht wird, und hat in ihrer inneren Einrichtung manche Eigenthümlichkeit, welche den Zahlhallen gewöhnlicher Banken fehlt. Schon die Statue in der Nische im Hintergrunde des länglichen Saales deutet darauf hin, daß man es mit keiner privaten, sondern mit einer öffentlichen Anstalt zu

  1. Die elf Zweiggeschäfte der Bank abgerechnet, in denen zusammen noch einhundert und fünfzig andere Angestellte beschäftigt sind.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_247.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)