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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

ein Zeichen, daß das Mozarteum bei Weitem nicht so bekannt und besucht ist, wie es von Rechtswegen verdient.

Als ich, im Begriff zu gehen, den Blick noch einmal das Zimmer durchlaufen ließ, fiel mir noch ein Heft von der Größe einer ansehnlichen Tischplatte auf; es lag auf dem Flügel und wir hatten es vorher ganz übersehen. Es war eine vierundfünfzigstimmige Messe von einem Salzburger Capellmeister vor Mozart’s Zeit, eine in ihrer Art wohl einzige Curiosität. Wir mußten uns jetzt verabschieden und thaten es mit aufrichtig gemeinter Danksagung und dem Versprechen, in unsern Kreisen dahin zu wirken, daß dem Mozarteum weitere Bekanntschaft zu Theil werde. Der freundliche Conservator begleitete uns bis an die Treppe und kehrte dann zurück, um nach seinen Cactusblüthen zu sehen.

Es war keine verlorene Stunde gewesen in meinem Leben, und ich wünschte wohl, mancher hochweise Musikmacher, wie die Gegenwart sie ausheckt, ginge hinein in’s Mozarteum, schluckte eine Stunde lang etwas Staub und nähme es sich recht sehr zu Herzen, in welcher Anspruchslosigkeit und unter wie kümmerlichen Verhältnissen Mozart eben der Mozart geworden ist, von dem ein Härchen mehr wiegt, als ein ganzes Dutzend solcher Eintagsfliegen mit Haut und Haaren. Sei es mir gestattet, mit einer Abänderung des letzten Verses vom Alten-Dessauer-Liede zu schließen:

„Die Löwenmähn’ am Schopfe
Macht nicht allein den Mann;
Ich halt’ es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran.“




Blätter und Blüthen.


Abenteuer in Texas. Mehrere Jahre, mit die angenehmsten meines Lebens, habe ich vor dem Ausbruche des amerikanischen Bürgerkrieges in Texas verbracht. Während des Krieges durchzog ich als Neutraler mancher Herren Länder und bin nun vor ein paar Wochen nach einer kleinen Zehntausend-Meilen-Reise hierher zurückgekehrt, um Geschäftsaußenstände von meinen alten Freunden, den rechtschaffenen Pflanzern, einzutreiben. Daß meine alten Freunde, die rechtschaffenen Pflanzer in Texas, mich eher auf irgend einen amerikanischen Blocksberg, als hierher, zurückwünschten, ist unter den Umständen sehr erklärlich, und daß ich in einem Lande, wo es noch vor Kurzem nichts Seltenes war, daß Räuber bei hellem, lichtem Tage in die Wohnungen drangen und den Bewohnern die Füße auf glühende Kohlen legten, um Geldcontributionen zu erpressen; wo die Deutschen wie wilde Thiere zu Tode gehetzt wurden; wo man Unionisten zum Vergnügen aufhängte und alle Landstraßen von Mördern, Spitzbuben und Gesindel aller Art wimmelten – daß ich in einem solchen Lande als plötzlich gleichsam von den Todten erstandener Gläubiger fast des halben County’s nicht eben auf Rosen ruhe, ist ebenfalls sehr erklärlich, da, wie bekannt, bei Geldsachen sogar in friedlichen Ländern die Gemüthlichkeit aufhört.

Indeß haben sich jetzt die Gemüther im Süden Gott Lob so ziemlich beruhigt und ich muß es dankbar anerkennen, daß man mich hier nicht nur nicht mehr als passende Eichenast-Fahne betrachtet, sondern im Gegentheil, sogar in Geldangelegenheiten, äußerst zuvorkommend und freundschaftlich behandelt. Jede Regel hat aber ihre Ausnahmen. Vor einigen Tagen – es war am 22. Februar, dem Geburtstage Washington’s – befand ich mich in meinem hiesigen Hauptquartier, einem Advocaten-Bureau, in dem mich meine alten Freunde, die Pflanzer, gelegentlich mit Zwanzigdollar-Goldstücken und Rollen von „Greenbacks“ – amerikanisches Papiergeld, so benannt nach seiner grünen Farbe – erheitern, und stand, meinen Meerschaum rauchend, gemüthlich am lustig brennenden Kaminfeuer, indeß ich mit zwei anwesenden Rechtsgelehrten einen Baumwollen-Casus kritisch beleuchtete, wobei es sich darum handelte, ob meine Wenigkeit oder die unter Oncle Sam’s Namen den Süden ausplündernden Baumwollen-Diebe das nächste Anrecht auf ein Dutzend Ballen Baumwolle hätten, als ein halbangetrunkener Texaner in die Stube hereinwankte und in einem Lehnstuhl mir dicht gegenüber Platz nahm.

Unser Besucher war seit den letzten Jahren der Schrecken der Stadt gewesen. Alle zwei, drei Tage kam er in den Ort und schoß beliebig mit seinen zwei geladenen Revolvern – die er beständig schußfertig im Gürtel trug – in den Straßen herum, wobei verschiedene Male nur wie durch ein Wunder sowohl Herren als Damen seinen planlos umherfliegenden Kugeln entgingen. In mehreren Privatgefechten hatte er seine Widersacher mit Messerstichen gefährlich verwundet und einen derselben erschossen, ging aber dessenungeachtet und obgleich vor dem Gesetze als Mörder denuncirt, frei in der Stadt umher, da sich Niemand getraute, ihn zu arretiren.

Er war auf unser Bureau gekommen um sich bei dem einen der daselbst wohnenden Advocaten, den er aus Versehen Tags zuvor auf der Straße fast erschossen hatte, für seinen Scherz zu entschuldigen. Mit mir hatte er nie Streit gehabt. Seine Frau Mutter, die eine ansehnliche Pflanzung in der Nähe unserer Stadt besitzt, war in früheren Jahren einer meiner besten Kunden gewesen, so daß ich mit der Familie unseres Besuchers auf freundschaftlichem Fuße stand, obgleich ich diesem Sprößlinge derselben von jeher am liebsten möglichst weit aus dem Wege ging, weil ich an seinen Pistolenübungen wenig Gefallen fand.

Ich begrüßte ihn freundschaftlich: „Wie geht’s, Pomp?“ (Pompejus hieß der Ritter). Wie der Blitz riß er einen seiner geladenen Revolver aus dem Gürtel und hielt ihn mir, nur zwei Fuß entfernt, vor’s Gesicht, indem er den Hahn halb spannte und rief: „Rede nicht zu mir, Du verdammter Deutscher; ich schieße Dir den Schädel vom Kopf herunter!“

Ich gestehe es, mich überlief es eiskalt, als ich so hülflos vor diesem Tiger in Menschengestalt stand und ihm in’s unheimlich blitzende Auge schaute. Bei einer wilden Bestie im Käfig wäre mir wohler gewesen. Daß er nicht im Scherz zu mir redete, sondern bittern Ernst meinte, war unverkennbar. Was gilt auch das Leben eines Dutchman, wie man verächtlicher Weise unsere Landsleute an dieser Seite des Oceans öfters titulirt, einem solchen edelgeborenen Amerikaner, der sich himmelhoch über jenen erhaben dünkt! Er würde nicht mehr Gewissensbisse darüber empfinden, eine so tief unter ihm stehende Creatur, einen Deutschen, niederzuschießen, als ob er ein Licht ausgeblasen hätte.

Ich blickte meinem Dämon möglichst kaltblutig in’s Auge, was, wie mir instinctmäßig bewußt war, meine einzige Hoffnung auf Rettung aus meiner peinlichen Lage blieb, da er mir bei der geringsten Bewegung ohne Frage eine Kugel durch den Kopf gejagt hätte.

„Ich will Dich, glaube ich, doch todtschießen,“ fuhr er, abgebrochen, zwischen den Zähnen murmelnd, fort und spannte den Hahn vollends – Klick! Unbeweglich stand ich etwa drittehalb Fuß vor der Mündung der Pistole, während es mir vorkam, als packte mich eine kalte Hand im Genick. Dann sagte ich bittend, doch bestimmt: „Laß das dumme Zeug, Pompejus, schieße nicht auf mich.“

Nachdem er, vorgebeugt im Lehnstuhl vor mir sitzend, den Finger am Drücker und die Mündung der Pistole gegen meinen Kopf haltend, mich fast zwei Minuten lang in dieser Stellung stier angeblickt, besann er sich eines Bessern und steckte den Revolver langsam wieder in den Ledergurt, worauf ich mich entfernte.

Meine beiden Freunde, die Advocaten, welche rechts und links etwas entfernt von mir an ihren Schreibtischen saßen und mir nicht helfen konnten, bemerkten späterhin, daß sie mein Leben nicht fünf Cents werth erachtet hätten und ihnen vor Entsetzen bei der jetzt geschilderten Scene der Athem still gestanden. Daß Pompejus für diesen „Spaß“ nicht bestraft wurde, versteht sich von selbst.

Und hier möchte ich denen meiner Landsleute, die nach den Südstaaten auszuwandern gedenken, den Rath geben, die ungeschminkte Darstellung dieser Scene sich tief in’s Gedächtniß zu prägen und wohl zu erwägen, was es bedeute, ein Land, wo so etwas möglich ist, für die friedliche Heimath zu vertauschen. Allerdings stehen dergleichen Fälle hier zu Lande jetzt vereinzelt da; die Mehrzahl der besseren Classe der Bewohner ist zuvorkommend gegen Fremde, deren zahlreiche Einwanderung man sehnlichst wünscht, und der Haß gegen Deutsche verschwindet mehr und mehr, aber – die Pompejusse sind immer noch keine Seltenheit im Süden.

Aus dem Staate Texas, Ende Februar 1866.

Theodor Kirchhoff.




Briefsteller für Liebende. Unter den literarischen Zeitproducten kann es wohl kaum etwas Abgeschmackteres, ja Verderblicheres geben, als jene „Briefsteller für Liebende“, welche als ein trauriger Nothhelfer für Geistes- und Gemüthsarmuth leider einen meist guten Absatz finden und in den geheimen Schubläden heranreifender Jünglinge und Jungfrauen oft genug sich bergen. Die weitaus verderblichste Folge dieser Machwerke ist, daß sie die Wahrheit des Gefühls, wenigstens die Naivetät des Herzens, verderben. Schon längst aber besitzen wir ein Buch der Art, das weithin alle diese Schriften überragt und das nicht nur mit gutem Gewissen, sondern dringend allen Jünglingen und Jungfrauen zur Lectüre empfohlen werden kann, und zwar nicht blos denen, die, wenn’s nun einmal sein muß, eine Mustervorschrift für den Ausdruck ihrer Gedanken haben wollen, sondern überhaupt allen, die ihr Herz veredeln und gegenseitiger Neigung die rechte, wahrhaft befriedigende Richtung geben wollen. Dieser wahre Musterbriefsteller ist das längst erschienene, aber noch lange nicht genug im Volke bekannte und gelesene herrliche Buch: Der Briefwechsel zwischen Schiller und seiner späteren Frau, Charlotte („Schiller und Lotte“), also ein wirklich durchlebter Briefwechsel. Auf der einen Seite dies echt weibliche, feinfühlende Wesen Charlottens, das in demuthvoller Hingabe und mit liebender Geschäftigkeit den hochgebenden Gedankenkreis des Geliebten hinanzusteigen strebt, auf der andern Seite er, hinter dem „im wesenlosen Scheine“ lag, „was uns Alle bändigt, das Gemeine“, der angezogen von diesem für alles Hohe und Schöne empfänglichen Gemüthe liebend wieder zu ihr hinabsteigt und ihr mit der ganzen Fülle seiner Liebenswürdigkeit entgegenkommt. Ich kenne kein sinnigeres Geschenk eines Bräutigams an die Braut, einer Mutter an die Tochter, als diesen Briefwechsel zwischen Schiller und Lotte, und möchte darum Eines recht sehr wünschen: daß die Verlagshandlung eine billige Volksausgabe desselben veranstalte.

Fr. Hg.




Bismarck an Uhden. Schluß in nächster Nummer.

D. R.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_272.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)