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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

großen Gesellschaft stand. Noch einmal hatte er jedoch einen schweren Kampf, und zwar in Berlin, zu bestehen, wo er seit dem J. 1847 Jahr aus Jahr ein als gern gesehener Gast mit seiner Gesellschaft erscheint. Die glänzenden Erfolge, welche Renz hier errungen hatte, erweckten ihm einen neuen und höchst gefährlichen Concurrenten in der Person des berühmten Dejean aus Paris. Derselbe erschien im Jahre 1860 in Berlin, mit sechszig Pferden und siebenzig Künstlern, darunter zwanzig namhaften Koryphäen ersten Ranges, und einer Garderobe, deren Eleganz alles bisher Gesehene übertraf. Die Erwartung wurde durch die geschickte Pariser Reclame auf das Höchste gesteigert und alle Welt blickte mit Ungeduld auf den großen Kampf zwischen Renz und Dejean, zwischen Deutschland und Frankreich. Der zweijährige Feldzug endete mit dem vollständigen Siege der vaterländischen Reitkunst, trotzdem Frankreich seine ersten und vorzüglichsten Helden und selbst den berühmten Baucher in’s Gefecht schickte. Diesen Triumph hatte Renz hauptsächlich, wenn auch nicht allein, seinen vierfüßigen Künstlern zu verdanken, in deren Dressur und Vorführung er der unübertroffene Meister ist und bleibt.

Wenn man die von Renz meist selbst zugerittenen Pferde sieht, so erscheint einem die Erzählung in Gulliver’s Reisen von dem edlen „Reich der Pferde“, welche die Menschen selbst an Geist und Tugend übertreffen sollen, keineswegs als eine Fabel. Die wunderbar schönen Thiere zeigen eine Grazie, eine Anmuth, um die sie jede Dame beneiden, ein Feuer mit Gehorsam vereint, das jeder Mann bewundern muß. Man weiß in der That nicht, ob man mehr die Geduld ihres Erziehers oder die Intelligenz und Folgsamkeit seiner Zöglinge anerkennen und rühmen soll. Jedenfalls ist Renz auf diesem Gebiet ein vollendeter Künstler, und mancher Pädagoge unserer Kinder könnte von ihm lernen. Unter seiner Zucht und Leitung nimmt das Pferd eine fast menschliche Bildung an, verwandelt sich die „Arabeska“ in eine graziöse Tänzerin, apportirt „Aly“ Schnupftücher und verborgene Geldstücke, benimmt sich „Nelson“ wie ein vollendeter Gentleman mit Anstand und Würde, spaziert „Al-Manzor“ auf den Hinterbeinen, als wenn er nie eine andere Gangart gehabt hätte. Hier zeigt sich vor Allem das Talent des berühmten Kunstreiters, der besonders in der Vorführung seiner Schulpferde das Höchste leistet und allen Anforderungen genügt. Namentlich wird von allen Kennern die Stellung des Pferdes, welche unsere Abbildung veranschaulicht, als eine der schwierigsten Leistungen auf dem Gebiete der Pferdedressur bezeichnet. – Die anfänglich so kleine Karawane hat sich mit der Zeit in eine großartige Colonie von einhundert fünfzig Menschen und einer entsprechenden Zahl von Pferden verwandelt, die zu ihrer Reise von einem Orte zum andern einen besonderen Extrazug der Eisenbahn erfordert, da jede andere Beförderungsweise bei der großen Menschenmenge fast unmöglich ist und weit theuerer zu stehen kommen würde. Der betreffende Train besteht aus einem Personenwagen zweiter, drei Personenwagen dritter Classe, einem Wagen für das Sattelzeug, zwei für die Möbel und Effecten, Reifen, Tonnen und Barrièren; ferner fünf Wagen für das Passagiergut, Koffer, Kisten und kleines Gepäck der zahlreichen Mitglieder, zwei Waggons für die eigentliche Circusgarderobe, einem Waggon mit einem schwer beladenen Frachtwagen für diejenigen Gegenstände, welche noch bei der letzten Vorstellung gebraucht wurden, und für solche, die bei Eröffnung der neuen Productionen unumgänglich nothwendig gleich zur Hand sein müssen. Sodann folgt der Wagen für die Jagdhunde und Hirsche, welche zu den großen Jagden und Steeple chases benützt werden, der Waggon mit den beiden weltberühmten Elephanten und den sechs von Batty und seinen Nachfolgern dressirten Löwen, und zum Schluß des imposanten Zuges noch die vierzehn Pferdewagen, zu je acht Pferden.

Eine solche Abreise, die meist nach beendeter Vorstellung, also zwischen elf und zwölf Uhr des Nachts erfolgt, gewährt ein eben so interessantes wie großartiges Schauspiel. Das Einladen der Pferde geschieht unter der Leitung und Aufsicht des Oberstallmeisters und nimmt trotz der großen Schwierigkeiten nicht mehr als zwei Stunden in Anspruch. Unterdeß wird auch das Gepäck herbeigeführt und geordnet; dazwischen ertönt das Brüllen der Löwen, das Geschrei der Elephanten. Man glaubt sich in der Arche Noah zu befinden, und die babylonische Sprachverwirrung erreicht ihren höchsten Grad, wenn auf das Zeichen der Glocke die menschlichen Künstler von allen Seiten herbeieilen. Hier hört man Französisch und Englisch, Deutsch und Spanisch, Polnisch und selbst Arabisch von den verschiedensten Zungen und in den verschiedensten Dialecten sprechen, rufen und schreien. Zahlreiche Bekannte und Freunde haben sich auf dem Bahnhof eingefunden, um den Scheidenden noch ein Lebewohl zu sagen. Blumen und Kränze, zärtliche Händedrücke und noch zärtlichere Blicke und Worte werden im Fluge ausgetauscht; Alles ist jetzt zur Abfahrt bereit. In einem Coupé der zweiten Classe hat der Director mit seiner Familie Platz genommen; die folgenden vier Coupés sind für die Damen bestimmt; verheirathete und unverheirathete Künstlerinnen mit Müttern, Schwiegermüttern und weiblicher Schutzgarde sitzen dichtgedrängt, Freundinnen und Rivalinnen in bunter Reihe, wie es gerade der Zufall fügt. Man unterhält sich von der letzten Vorstellung, von den zugeworfenen Lorbeerkränzen, von Triumphen und auch wörtlich aufzufassenden Niederlagen, wobei es nicht an spitzen Redensarten, Nasenrümpfen und Achselzucken fehlt, bis sich der Schlummer auf die schönen Augen niedersenkt und die nur zu beredten Lippen verstummen macht. In den drei andern Coupés hat das Orchester mit seinem Capellmeister Platz genommen, der bald das Zeichen zu einem großartigen Schnarch-Concert geben wird. Es folgt das Bureau-Personal, Künstler und Künstlerinnen, Stallmeister, Garderobièren, Manégediener, während die eigentlichen Stallknechte bei den Pferden zur Beaufsichtigung bleiben. Endlich ist Alles in Ordnung, wozu eine bedeutende Zeit und keine geringe Arbeit gehören; der Napoleon der Kunstreiter läßt noch einmal seinen Feldherrnblick über das zahlreiche Heer schweifen, bevor er aufbricht und zu neuen Siegen eilt. Die Glocke läutet zum dritten Mal, und Renz mit seiner Heldenschaar verschwindet in der dunklen Nacht, um am nächsten Tage frische Lorbeeren zu pflücken und Triumphe zu feiern.




Der Würgengel unter der Erde.
Das Grundwasser – die Grundursache schwerer Krankheiten.


Ein auf- und abfluthender See von ungeheurem Umfange existirt nur wenige Fuß unter unsern Wohnstätten im Erdboden. Das Wasser dieses unterirdischen Sees erhielt den Namen „Grundwasser“. Gräbt man in erdigem oder sandigem Boden ein Loch, so stößt man, je nach der Ortlichkeit in verschiedener Tiefe, endlich auf dieses Wasser, das sich nicht verläuft und sich beim Ausschöpfen stets sofort wieder ansammelt. Bis vor kurzer Zeit hat das Grundwasser fast nur insofern Bedeutung für uns gehabt, als es die Schöpfbrunnen speist. Neuerlich ist aber durch Professor Pettenkofer in München nachgewiesen worden, daß dieses Wasser einen mächtigen Einfluß auf das Entstehen gewisser epidemischer Krankheiten und so auf den Gesundheitszustand ganzer Bevölkerungsmassen hat. Diesen Einfluß übt es aber insofern aus, als bei seinem Sinken in der verlassenen und durchfeuchteten Bodenschicht, zumal wenn sich in diese faulende Düngstoffe einziehen, Krankheitskeime sich entwickeln.

Das Grundwasser findet sich natürlich nur in lockerem, erdigem, sandigem und grobsteinigem, niemals in compact felsigem Boden. Es durchtränkt denselben bis hinab, wo der lockere Boden auf der für Wasser nur schwer durchdringbaren Sohle von Fels oder Thon aufliegt. Gewöhnlich wird es mehrere, bis etwa zwanzig, höchstens fünfzig Fuß, unter der Bodenoberfläche angetroffen, und hier bildet seine Oberfläche nicht etwa eine Ebene, wie der Spiegel der See, sondern es folgt meistens in ziemlich gleichem Abstande den Hebungen und Senkungen des Bodens, so daß es an einer Thallehne in ebenso großer Nähe unter dem Boden angetroffen werden kann, wie an der tiefsten Stelle des Thals. Jedoch ist dies nicht immer der Fall. Bisweilen ist auch der Grundwasserstand an hochgelegenen Orten ein hoher, während derselbe in tiefgelegenen benachbarten Oertlichkeiten ein tieferer ist. Findet dieses Umgekehrte statt, so rührt dies von einem langsamen Abflusse des Grundwassers von den höher gelegenen Stellen nach den tiefer liegenden her. Nur unter ganz ungünstigen örtlichen Verhältnissen fließt das Grundwasser zu Tage und bildet dann einen Sumpf.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_278.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)