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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Theilen derselben Stadt mit tiefstehendem Grundwasser keine einzige Erkrankung an Wechselfieber vorkam. Gewiß höchst bedeutungsvoll ist der Umstand daß an Orten, wie z. B. München, die sonst von Wechselfieber frei bleiben oder nur wenig befallen sind, kurz vor dem Ausbruch von Choleraepidemien Wechselfieber in großer Ausbreitung herrschte.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Typhus. Es ist gefunden worden, daß, wenn das Grundwasser, namentlich nach vorherigem Hochstand, weit zurücktritt und so das durchfeuchtete Erdreich bloßlegt, sehr häufig die Zahl und die Schwere der Erkrankungen an Typhus zunimmt, dagegen abnimmt, wenn das steigende Grundwasser die feuchten Bodenschichten wieder überdeckt. Forschungen dieser Art sind, weil sie neu sind, ungemein schwer, für Krankheiten aber, deren Keim, wie beim Wechselfieber und dem Typhus, in unseren Gegenden niemals ausstirbt, noch mit ganz besonderen Schwierigkeiten verknüpft; man kann bis jetzt nicht wissen, ob bei günstigen örtlichen Verhältnissen, wie dies bei der Cholera der Fall ist, auch der Keim des Typhus und des Wechselfiebers vorhanden und zur gedeihlichen Entwicklung kräftig genug ist. Es giebt aber doch, außer den oben erwähnten Beobachtungen, Thatsachen, welche auch diese Verhältnisse in besonders helles Licht setzen. So herrschte in der Umgegend von Upsala der Typhus so lange unausgesetzt, bis die Sümpfe trocken gelegt und die stehenden Wasser abgeflossen waren. In dem königlich baierischen Gestüt Neuhof brach der Typhus unter den Pferden aus, ohne sich auf das nur zwei Stunden entfernte Gestüt Bergstetten, trotz des anfangs ungehinderten Verkehrs zwischen beiden Anstalten, auszubreiten; Lage, Bodenbeschaffenheit, Behandlung und Ernährung der Thiere waren in beiden Gestüten dieselben, nur stand das Grundwasser in Bergstetten fünf bis sechs Fuß unter dem Boden, während es in Neuhof nur zwei und einen halben Fuß von der Oberfläche entfernt war; durch Drainirung wurde nun das Grundwasser in Neuhof eben so tief gelegt wie in Bergstetten, und seitdem ist der Typhus daselbst erloschen. Zu Neuhof nahm der Typhus zu, wenn das Grundwasser gesunken war; seit die Schwankungen des Grundwassers in größerer Tiefe vor sich gehen, haben sie auch keinen Einfluß mehr auf die in der Nähe der Bodenoberfläche vor sich gehende Entwicklung des Krankheitskeims.

Aus diesen Erfahrungen lassen sich leicht Nutzanwendungen von hoher praktischer Bedeutung ziehen. Eine Krankheit läßt sich leichter vermeiden als mit ihren oft so schweren Folgen heilen; der Verständige wird sich also bei Zeiten vorsehen. Es ist jetzt klar, daß die Wahl des Wohnorts keine gleichgültige Sache mehr ist, seit man weiß, welche große Rolle das Grundwasser bei der Erzeugung gefährlicher Krankheiten spielt. Es ist daher nur zweckmäßig, wenn man bei der Anlage neuer Wohnungen Rücksicht nimmt auf die Grundwasserverhältnisse. Ergiebt sich dabei, daß das Grundwasser an dem gewählten Bauplatz einen hohen Stand einnimmt, so bringe man sich durch Drainirungen oder Aufschüttungen möglichst aus dem Bereich der verderblichen Grundwasserschwankungen und schütze sich nicht etwa blos durch wasserdichten Unterbau vor den Durchnässungen der Grundmauern. Steht in hügeligem Terrain die Wahl des Ortes frei, so baut man besser auf Anhöhen oder an Thallehnen, als in Thalmulden, vortheilhafter am obern Ende des Thals, als am untern. Niemals sollte man, wenn es irgend thunlich ist, Anhäufungen von Koth oder Düngstoffen in der Nähe von Wohnungen zu Stande kommen lassen, am allerwenigsten aber gar Versieggruben anlegen; selbst eine Schleußenanlage zur Entfernung des Unraths ist unzweckmäßig, wenn sie nicht starken Fall hat und nicht fortwährend ausgespült wird. Lassen sich Düngerstätten nicht vermeiden, so dürfen diese auf keinen Fall mit der Sohle des Hauses in gleicher Ebene, noch viel weniger höher liegen als diese; man würde dadurch den Boden in der verderblichsten Weise für die Entwicklung von Krankheitskeimen vorbereiten. Die Brunnen müssen nothwendig in weiter Entfernung von den Düngerstätten angelegt werden. Trägt man dazu noch Sorge für frische Luft, vermindert man die individuelle Empfänglichkeit für Krankheiten durch eine nüchterne, auf gute Ernährung zielende Lebensweise, so kann man um ein gut Theil Sorge leichter dem Herannahen von Epidemien entgegensehen und hat wenigstens, so weit es möglich, seine Schuldigkeit gethan.

Mit noch viel größerer Bestimmtheit aber wird man sich sagen können, ob bei dem Auftreten von Epidemien an dem einen Orte Gefahr droht im eignen Wohnorte, namentlich für die Cholera, wenn man sich durch fortgesetzte Beobachtung von dem Gang des Grundwassers überzeugt hat. Hat das Grundwasser schon Monate vorher einen niedrigen Stand eingehalten, ist es nicht zurückgegangen oder gar gestiegen, so kann man ruhig der Seuche entgegensehen, auch wenn sie in nächste Nähe herangeruckt ist. Die Messungen selbst lassen sich leicht, ohne große Arbeit und ohne große Kosten ausführen, und es gehört dazu nur einige Ausdauer; man hat Nichts weiter nöthig, als regelmäßig von Zeit zu Zeit zu bestimmen, wie weit der Spiegel eines Brunnens, der entweder wenig benutzt wird oder auch bei der Benutzung seinen Stand nicht ändert, von einem festen Punkte der Bodenoberfläche absteht, und dies erfährt man schon einfach durch Hinabsenken einer Stange oder einer am Ende beschwerten Schnur. Will man noch sorgfältiger verfahren, so braucht man nur an die Stange oder das Band eine Reihe von Näpfchen oder ähnlichen kleinen flachen Gefäßen in Abständen von etwa einem halben Zoll zu befestigen und man wüßte dann aus den Näpfchen, die beim Heraufziehen des Meßapparats Wasser halten, bis zu welcher Höhe das Grundwasser steht. Würden aber solche Bestimmungen an recht zahlreichen Orten ausgeführt, so würde nicht blos der Wissenschaft ein großer Dienst geleistet, sondern man würde auch die Oertlichkeiten auffinden, welche die größte Sicherheit gegen Seuchen wie die Cholera darbieten, Asyle für Choleraflüchtige. An einer recht thätigen Betheiligung an diesen Forschungen fehlt es zwar leider noch immer; aber hat diese Wissenschaft schon jetzt so Bedeutendes geleistet, so läßt sich ihr eine große, dem Heile der Menschheit dienende Zukunft voraussagen.

H.




Der weiße Schrecken.
Von Johannes Scherr.


Wenn es wahr ist – und es ist wahr – daß, wie in der physischen, so auch in der moralischen Welt, die Aufeinanderfolge der Erscheinungen nach ewigen Gesetzen sich vollzieht, so muß es auch mit Ergebung hingenommen werden, daß die Weltgeschichte mit der eisernen Unerbittlichkeit von Naturgesetzen arbeitet. Alles Moralisiren und Declamiren ist da so eitel, wie wenn Einer wähnte, mittels Gebeten und Predigten die Gesetze der Polarität und Elektricität abändern zu können. Mit derselben erhabenen Monotonie, womit in der Natur Fluth und Ebbe, der Kreislauf der Gestirne, der Wechsel der Jahreszeiten sich folgen, lösen in der Geschichte Stoß und Gegenstoß, Action und Reaction, Freiheit und Knechtschaft, Aufklärung und Verdummung sich ab. Von Zeit zu Zeit, wann die Gesellschaft vollständig verschlammt, die moralische Atmosphäre durch und durch verpestet, das öffentliche Gewissen taub, die öffentliche Zunge stumm und die Menschheit niederträchtig geworden ist, sammeln und entladen sich jene geschichtlichen Gewitter, welche man Revolutionen zu nennen pflegt. Die von denselben angerichteten Verheerungen sind furchtbar. Denn in solchen Gewitterzeiten geht in Erfüllung das Seherwort:

„Der alte Urstand der Natur kehrt wieder,
Wo Mensch dem Menschen gegenübersteht“ –

d. h. Bestie der Bestie oder, wenn’s hoch kommt, Pfahlbauer dem Pfahlbauer. Das kann man beklagen, aber nicht ändern; es wäre denn, daß die Herren Utopisten die Güte haben wollten, ihr Arcanum, die Menschen zu verengeln, endlich in Anwendung zu bringen. So lange indessen die Menschen Menschen bleiben, wird sich der weltgeschichtliche Vorschritt immer nur so bewerkstelligen, wie er bislang sich bewerkstelligte, d. h. stoßweise, gewaltsam, mittels erschütternder Krisen und Katastrophen. Denn nun und nimmer werden die gemeinen Instincte und selbstsüchtigen Leidenschaften, niemals wird der Unverstand, das Vorurtheil, der Afterglaube gutwillig das Feld räumen. Ueberall und allezeit wird die Reform zu schwach

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