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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

No. 22.

1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Frankfurter Advent.
Historische Novelle von Bernd von Guseck.
(Fortsetzung.)


Dem Rathsherrn zuckte es über das Gesicht, doch regte sich auch der reichsstädtische Stolz in ihm und er sagte mit unruhiger Stimme zwar, aber mit festem Blick: „Rechenschaft zu geben habe ich, als Bürger einer freien, deutschen Stadt, dem französischen Convent zwar nicht von meinem Thun und Lassen, aber Ihnen, dem Freunde, will ich schon erklären, daß allerdings mein Neffe als Officier in hessischen Diensten steht, in welche er vor Jahren mit meiner Bewilligung eingetreten ist. Seitdem haben sich freilich die Verhältnisse geändert und ich würde ihn lieber nicht in den Reihen der Feinde Frankreichs sehen, da er aber mündig und Herr seiner Handlungen ist, kann ich nichts dagegen thun. Eine Verkleidung bitte ich die bürgerliche Tracht nicht zu nennen, in welcher er nur aus dem Grunde nach Frankfurt gekommen ist, um durch seine hessische Uniform nirgend Aergerniß zu geben.“

„Ich danke Ihnen, daß Sie mich mit dieser völlig beruhigenden Erklärung beehrt haben,“ erwiderte der Elsasser warm. „Wenn es nöthig sein sollte, werde ich zu Ihren Gunsten davon Gebrauch machen, doch können Sie von meiner Discretion überzeugt sein. Verdenken Sie es mir aber nicht, wenn der Umstand mich in Bestürzung setzte, daß ich Ihren Herrn Neveu, Officier im Dienste des Landgrafen von Hessen, unsers unversöhnlichsten Feindes, in bürgerlicher Kleidung auf Ihrer Treppe mit einem notorischen Spion, den ich allein vor einem schimpflichen Tode gerettet habe, in angelegentlichem Gespräch überraschte und daß der Spion bei meiner Annäherung die Flucht ergriff.“

„Doris war dabei?“ rief Hartinger. „Da werde ich doch eine scharfe Nachfrage halten!“

„Thun Sie das nicht!“ bat Stamm. „Es liegt viel daran, daß der Elende nicht ahnt, von mir erkannt zu sein, wir müssen ihn sicher machen. Warnen Sie nur Ihren Neveu, daß er Ihr Haus nicht compromittirt.“

„Mein Neffe hat Frankfurt in diesem Augenblicke schon verlassen,“ entgegnete der Rathsherr. „Er hat Marschordre erhalten, sein Regiment gehörte bis jetzt zur Reserve, welche in der Landgrafschaft zurückgeblieben war, nun aber soll ein Theil derselben nachrücken. Hermann kam deshalb mit kurzem Urlaube hierher, um Abschied von uns zu nehmen, ehe er in’s Feld ging.“

„Mainz zu Hülfe, nicht wahr?“ fragte Stamm. „Ist die Reserve stark?“

„Das weiß ich nicht, mein Neffe hat davon nicht gesprochen. Nach den Generalen zu urtheilen, die er gelegentlich nannte, Loßberg, Donop, Cochenhausen, muß sie stark genug sein.“

„Ach, lieber Herr, mit Generalstiteln sind die kleinen Potentaten Deutschlands freigebig,“ versetzte Stamm lächelnd. „Die Eminenz-Durchlaucht zu Mainz hatte bei dreitausend Mann zwölf, sage zwölf Generale, auf zweihundert und fünfzig Mann einen! Sein Gardecapitän über fünfzig Grenadiere hat sogar den Rang eines Feldmarschall-Lieutenants! Marschirt die hessische Reserve auf Mainz?“

„Soviel ich weiß, ist es nur Ersatz für das Corps im Felde, das, glaube ich, noch im Luxemburgischen sich aufhält.“

„Jede Hülfe würde auch zu spät kommen,“ sagte der Elsasser. „Mainz hat in diesem Augenblicke schon capitulirt.“

„Sie sagen das mit solcher Bestimmtheit!“ rief Hartinger. „Es wäre ja eine Schande, wie die von Straßburg.“

„Ei, mein theurer Herr, Straßburg hat seiner Zeit wohl daran gethan,“ versetzte Stamm; „fragen Sie nach dort, ob nicht jeder Straßburger stolz darauf ist, zu Frankreich zu gehören. Fragen Sie in den kleinsten ehemaligen Reichsstädten im Elsaß nach, ob sich eine einzige danach sehnt, wieder zu Deutschland zu kommen, ob sie nicht glücklich sind, das Phantom ihrer Reichsfreiheit gegen die sehr reellen französischen Municipalitätsrechte vertauscht zu haben. Ich halte mich aber zu lange auf. Leben Sie wohl, und Verschwiegenheit, sowohl was meine Liebe zu Ihrer himmlischen Mademoiselle Tochter betrifft, als auch die Entrevue des preußischen Spions mit dem hessischen Officier, Ihrem Neveu.“

Er küßte bei der Erwähnung seiner Liebe die Fingerspitzen seiner beringten Hand und nahm einen raschen Abschied. Dem zurückbleibenden Rathsherrn blieb es überlassen, die Nutzanwendung jener erwähnten Analogien von Straßburg und den ehemaligen Reichsstädten im Elsaß auf die Gegenwart zu machen. Er ging im Zimmer gedankenvoll auf und ab, wurde aber bald in seinen Meditationen durch den Eintritt seiner Frau gestört. Eine stattliche Erscheinung, die Frau Senatorin, in der Figur und Haltung wohl passend zu dem Gemahl und noch blühend für ihr Alter, ohne Schminke. Sie war zum Ausgehen gerüstet und hatte daher auf ihrem hochtoupirten Haar, das hinten in einen schwer herabhängenden, der heutigen Mode sehr ähnlichen Chignon gebunden war, einen gestärkten Zeugaufsatz, der einer in zwei aufrechtstehende dicke Streifen geknifften Tafelserviette glich und von einem bunten Bande, vorn mit einer kurzen, hinten mit einer langflatternden Schleife, gehalten wurde. Ein weitausgeschnittenes Miederjäckchen mit engen Aermeln, hinten mit Schößchen, vorn von der Taille bis zum Ausschnitt mit einem Besatz in Form

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_337.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)