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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Blätter und Blüthen.


Der Präsident Johnson als Privatmann. Die nachstehenden Einzelheiten über das Privatleben des gegenwärtigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika (der sich bekanntlich vom bescheidenen Schneidergesellen zum Oberhaupte eines der bedeutendsten Reiche der Erde emporgeschwungen hat), die wir amerikanischen Mittheilungen entnehmen, dürften dem Leser nicht uninteressant erscheinen.

Der Präsident Johnson steht vom 1. October bis zum 1. April regelmäßig um sieben Uhr, und vom 1. April bis zum 1. October regelmäßig um sechs Uhr auf, gleichviel, um welche Stunde er sich zur Ruhe begeben hat. Sein Zimmer ist von der höchsten Einfachheit; eine dicke silberne Uhr, – vulgo ‚Zwiebel‘ – die er bereits als Schneidergeselle besessen, dient ihm noch heute zum Zeitweiser; er hängt dieselbe, ehe er sich niederlegt, stets mit eigenen Händen sehr sorgfältig zu Häupten seines Lagers auf. Herr Johnson begiebt sich zunächst in ein kleines Badecabinet, das sich neben seinem Zimmer befindet, denn er ist ein großer Verehrer von kalten Waschungen, die er denn auch im weitesten Umfange vornimmt; nächstdem verwendet er viel Sorgfalt auf seine Zähne, welche noch sehr schön sind, und auf seine Nägel. Seine Toilette ist stets in einer halben Stunde vollendet. Hierauf verfügt er sich in sein Arbeitscabinet, wo er von acht bis zehn Uhr eingeschlossen bleibt, die Zeitungen liest und jene bemerkenswerthen Botschaften verfaßt, die oft so viel Aufsehen machen und die er zuweilen, vor ihrer Veröffentlichung, seinen Freunden – den „Radicalen“ – mittheilt. Bevor der Präsident sein Arbeitszimmer betritt, setzt ein Diener eine großmächtige Kaffeekanne auf den Schreibtisch; Herr Johnson hat eine ganz ausgesprochene Vorliebe für den schwarzen Kaffee und vertilgt davon mit vielem Behagen während des Arbeitens eine ganz gewaltige Menge, aber immer ohne Zucker. Kein lebendes Wesen darf dies Arbeitscabinet betreten, so lange Herr Johnson sich darin aufhält; die einzige Ausnahme von dieser sehr streng gehandhabten Regel macht ein großer, schwarzer Kater, der erklärte Günstling des Präsidenten, welcher schnurrend und spinnend auf dem Schreibtische, links neben dem Schreibzeuge, seinen gewohnten Platz gravitätisch einnimmt.

Von zehn bis elf Uhr des Morgens hält sich der Präsident in seinem Salon auf und empfängt daselbst Besucher, Bittsteller, Deputationen etc. Um elf Uhr nimmt er mit seiner Familie ein sehr anspruchsloses Frühstück ein, das gewöhnlich aus den allereinfachsten Speisen besteht. Bei Tische ist er sehr heiter und führt in der Regel ganz allein das Wort. Um zwölf Uhr präsidirt er dem Ministerrathe oder empfängt fremde Gesandte und bedeutende Persönlichkeiten, die um Audienz nachgesucht haben. Um drei Uhr macht er einen Spaziergang, entweder in den schönen, umfangreichen Gärten, die das „weiße Haus“ (die Residenz der Präsidenten) umgeben, oder in der Stadt Washington; er nimmt in der Regel einen sehr lebhaften Geschwindschritt an, den man beinahe einen kurzen Trab nennen könnte, und man versichert, daß er es im Wettlauf mit jeder neuen Atalante aufnehmen würde. Leider aber hat er an der linken Fußzehe ein Hühnerauge, das ihm große Schmerzen verursacht; aus diesem Grunde wird sein linker Stiefel stets breiter und größer gemacht, als der rechte; dies sieht sehr sonderbar aus. Auf seinem Spaziergange raucht Herr Johnson fortwährend; seitdem er aber Präsident ist, kaut er keinen Tabak mehr, eine Gewohnheit, der er in frühern Zeiten sehr hold war. Seine Cigarren, vortrefflichster Qualität natürlich, werden ihm durch das bekannte Haus Susini stets direct aus der Havanna geliefert.

Um vier Uhr setzt sich der Präsident zu Tische, nachdem er zuvor durch ein tüchtiges Glas Whisky seinen Appetit angeregt hat; während des Mahles theilen ihm seine nächsten und vertrautesten Freunde die bedeutendsten und amüsantesten Tagesneuigkeiten mit; er lacht gern und ist ein großer Freund witziger Anekdoten. Seine Mäßigkeit ist fast sprüchwörtlich geworden; er ißt sehr wenig Fleisch, ganz besonders aber niemals Schweinefleisch, seitdem von Trichinen die Rede ist. Seekrabben und gebackene Austern hält er in hoher Achtung, für Reiskuchen aber hat er eine leidenschaftliche Vorliebe. Um fünf Uhr ist das Mahl in der Regel beendet; es werden nun verschiedene feine Weine aufgetragen, von denen der Präsident jedoch wenig trinkt, dagegen beschließt er sein Diner regelmäßig mit einer abermaligen ziemlich starken Ration schwarzen Kaffees. Unmittelbar nach aufgehobener Tafel zieht sich Herr Johnson wieder in sein Arbeitszimmer zurück, liest die Abendjournale, die Berichte vom Congreß und überläßt sich sodann der Lectüre seiner Lieblingsschriftsteller, unter denen Plutarch – selbstverständlich in Uebersetzung – obenan steht. Um acht Uhr geht Herr Johnson wieder in den Salon, trinkt mit seiner Familie den Thee und begiebt sich um neun Uhr abermals in sein Arbeitscabinet, wo ihn wie am Morgen von Neuem die traditionelle Kaffeekanne und der bevorzugte Hauskater erwarten. Da er von dieser Stunde an keinen Menschen mehr vor sich läßt, so giebt er sich ganz seiner Bequemlichkeit hin und arbeitet entweder in Hemdärmeln oder in einem großblumigen Schlafrocke. Um Mitternacht überläßt er sich der Ruhe, nachdem er zuvor in seinem Badezimmer. die üblichen Waschungen vorgenommen hat. Sein Schlaf ist ruhig, wie sein Gewissen, man hat ihn nie schnarchen hören und er selbst versichert, daß er niemals träume. Nach sechs Stunden Schlafs fühlt er sich vollkommen kräftig und gestärkt, um sein thätiges Dasein von Neuem zu beginnen. Er ist fast niemals krank; fühlt er sich einmal unpäßlich, so curirt er sich auf eigene Faust und nach seiner Manier, duldet aber nie einen Arzt in seiner Nähe. Gegen die Damen ist der Präsident sehr liebenswürdig und zuvorkommend, in seiner Jugend soll er sogar große Erfolge gehabt haben; heute aber, sei es seiner vielen Geschäfte wegen oder aus Respect vor seiner hohen Stellung, begnügt er sich damit, dem schönen Geschlecht seine Huldigungen aus der Ferne zu Füßen zu legen. – Herr Johnson ist ein zärtlicher und vortrefflicher Gatte und Vater; von immer gleicher und heiterer Laune, ist er freundlich und gut gegen seine Umgebungen und hat ein stets offenes, theilnehmendes Herz für alle seine Freunde.




„Denkt an den armen Müller!“ – Unsere Leser werden bei diesem Mahnruf unwillkürlich an den armen Deutschen, Namens Müller, denken, der im vorigen Jahre in England hingerichtet wurde wegen eines Mordes, von dessen Thäterschaft derselbe bis zum letzten Augenblick sich standhaft frei sprach und für welche später sogar der wahre Verbrecher an den Tag gekommen sein soll, aber nur um sofort wieder unter den sich überstürzenden Zeitereignissen zu verschwinden. Noch heute schwebt über jener Hinrichtung ein schwarzer Schatten, den am wenigsten die Aussage des Geistlichen, daß der Unglückliche ihm noch im Moment vor dem Tode seine Schuld gestanden, zu zerstreuen vermochte. Schaden wenigstens dürfte der englischen Justiz, wie überhaupt jeder, welche noch über die Todesstrafe verfügt, es nicht, wenn vor jedem Todesurtheil jene an die Spitze unserer Mittheilung gesetzte Mahnung auch an sie gerichtet würde. – Ehre den Richtern, welche diesen Spruch sich vor jeder solcher ernsten Handlung zurufen ließen, nicht nur als eine Mahnung an dasselbe Gericht, das einst einen Justizmord begangen hatte, sondern auch zur Sühne für den Armen, welchem diese das Leben geraubt und dessen Andenken in so erschütternder Weise erhalten wurde. Dies geschah im alten Venedig.

Ein Deutscher, welcher in den Jahren von 1790–1795, also in der letzten Zeit der Republik Venedig, hier lebte, hinterließ uns eine treffliche Schilderung von der milden und gewissenhaften Handhabung der Criminaljustiz in allen Fällen, die nicht Staatsverbrechen angingen und wo der Rechtsspruch auf Tod lauten mußte. Kein Verbrecher, sagt er, kann mit dem Tode bestraft werden, wenn er nicht seiner That vollkommen überwiesen ist. Sollte aber im äußersten Fall für den Schuldigen keine Rettung mehr übrig sein, so wird doch noch den Richtern, ehe sie das Todes-Urtheil aussprechen, zugerufen: „Denkt an den armen Müller!“ – Dieser Müller, ein Deutscher und seines Handwerks ein Bäcker, war einer Mordthat wegen angeklagt, und da ausnehmend viele Scheingründe, welche in Ansehung der Zeit, des Ortes, des Mordinstruments etc. das Gepräge der vollen Wahrheit an der Stirn zu tragen schienen, gegen ihn sprachen, wurde er zum Tode verurtheilt, der Galgen für ihn zwischen den beiden Säulen auf der Piazzetta erhöht und er mit dem Strang hingerichtet. Bald darnach aber kam seine Unschuld an den Tag, und seit dieser alten traurigen Begebenheit fällte das Criminalgericht kein Todesurtheil mehr, ohne daß es jene laute Mahnung gehört hätte: „Denkt an den armen Müller!“




Rossini als Spaßvogel. Der geistreiche alte Maestro ist ein sehr heiterer Gesellschafter und sein Salon hallt oft vom allgemeinen Gelächter wieder, denn er liebt einen guten Witz außerordentlich und sinnt manchmal selbst die amüsantesten Possenstreiche aus. Eines Tages kam ein Landsmann, ein armer Teufel von Italiener, ein Posaunist, zu Rossini und bat diesen, ihm einen Platz im Opernorchester zu verschaffen.

Rossini versprach’s, vergaß aber dennoch seinen Schützling. Der Posaunenbläser dachte, man zweifele vielleicht an seinem Talent, und bat daher den Componisten, ihm etwas vorblasen zu dürfen. Eines Abends, als eine intime Gesellschaft bei dem Maestro versammelt war, stellte dieser sich es als höchst ergötzlich vor, seinen Freunden den seltenen Genuß eines Posaunensolo’s zu verschaffen, und ließ den Musiker kommen.

Der eilte höchst vergnügt herbei und bereitete sich zu seinem Solo vor. Er bläst die Backen mächtig auf, strengt alle Kraft seiner Lunge an, aber kein Ton kommt aus dem Instrument. Jetzt plagt er sich, daß er kirschbraun im Gesicht wird und wie ein Bild des wüthenden Aeolus aussieht – Alles vergebens. Er strengt sich schweißtriefend noch einmal so an, daß ihm die Augen ganz zum Kopf heraustreten, da kommt endlich ein Ton aus dem Instrument wie der heisere Schrei einer Ente und – eine förmliche Garbe von weißem Teig vorn zu der weiten Mündung des Instruments heraus gleich einer Rakete.

Die Posaune gab anstatt der Töne – Macaroni von sich. Alles lachte bis zu Thränen, Rossini hielt sich die Seiten; der arme Künstler, der nicht wußte, wie ihm geschah, stammelte in höchster Verwirrung seine Entschuldigungen.

„Mein Freund,“ sagte Rossini zu ihm, „beruhigen Sie sich; ich wollte nur sehen, ob Sie ein echt italienisches Talent besäßen.“

Er selbst hatte den Macaroniteig in die Posaune gestopft; zur Entschädigung dafür verschaffte er dem armen Musiker den ersehnten Platz.




Grausige Gesellschaft. Am 30. Mai dieses Jahres lagen in einem Saale des Leipziger Sectionssaales die Leichen von nicht weniger als sechsundzwanzig Selbstmördern. An einem Tage sechsundzwanzig Selbstmörder! Dabei ist wohl zu berücksichtigen, daß diese grausige Gesellschaft sich nur aus einem kleinen Bezirke recrutirt hatte und vielleicht eine eben so große Anzahl nicht an die Anatomie abgeliefert, sondern still begraben worden ist. Sachsen und Dänemark – das ist jetzt statistisch nachgewiesen – liefern die meisten Selbstmörder.




Erklärung. Herr Buchhändler Gerhard in New-York, Verleger der „Amerikanischen Gartenlaube“, hat mehrere meiner Novellen, u. A. auch die in Wien 1864 erschienene Novelle „Ein kleines Kind“ (Verlag von C. Schönewerk), nachgedruckt, ohne von mir die Erlaubniß dazu erlangt zu haben. Gleichwohl hat derselbe gegen mir befreundete, in den Vereinigten Staaten lebende Personen erklärt, er habe mir den Abdruck honorirt. Es ist dies eine Unwahrheit. Herr Gerhard hat bei mir weder jemals wegen Gestattung des Abdrucks angefragt, noch mir ein Honorar gezahlt. Gesetze gegen den Nachdruck existiren in Nordamerika nicht. Es bleibt demnach nur übrig, gegen solches buchhändlerisches Freibeuterthum, welches das Eigenthum des Schriftstellers nimmt, wo es dasselbe findet, die Instanz der öffentlichen Meinung in der Union anzurufen, was hierdurch geschehen sein soll.

Gera, im Juni 1866.

Karl Wartenburg.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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