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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

sie auch vor ihnen den Beutel, um sich der Gnade Sanct Pauli zu versichern.

Noch Vieles ließe sich über den Doctor Eisenbart sagen, der sich bisweilen auch in viel höheren Regionen, als den geschilderten, bewegte und selbst an Höfen und Universitäten, wenn auch hier mit weniger plumpem Schwindel, Glück machte. Es mag indeß genug sein. Erst gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts verschwand er von den deutschen Märkten. Einige wollen ihn in der Türkei noch in den letzten Jahren gesehen haben, Andere meinen, er sei nach Amerika ausgewandert und habe dort nacheinander unter den Namen Morrison, Brandreth und Townshead als Pillenfabrikant und Sarsaparillatränkchenbrauer kolossale Geschäfte gemacht. Wieder Andere glauben zu wissen, daß, wenn nicht der alte Doctor selbst, doch Nachkommen von ihm noch in ziemlicher Anzahl und bei recht stattlichem Verdienst mitten im erleuchteten Deutschland wohnen, einer als Dickbierbrauer mit einem halben Dutzend Preismedaillen, einer als heilsamer Kräuterschnaps-Destillateur, ein dritter als Persönlichkeit, welche sich den Schutz ihrer Mitchristen vor gewissen unnennbaren Leiden angelegen sein läßt, und so noch ein paar Dutzend andere Heilande der kranken Menschheit. Ob das wohl wahr ist?

M. B.




Pariser Bilder.
Der Lebensplan eines Pariser Ladenmädchens.


Neulich wanderte ich nach der Rue St. Jacob, um mir in der deutschen Buchhandlung bei Haar und Steinert die Gartenlaube abzuholen. Sie ist für mich der Besuch lieber Freunde; zudem wußte ich, daß Abends ein Pariser Bekannter zu mir kommen und mich nach den Illustrationen dieser Zeitschrift fragen würde, welche er, der kein Wort Deutsch spricht, beharrlich „Jardinlob“ nennt.

Zuweilen fühle ich große Neigung, mich mitten aus dem Straßengewühl in eine stille Kirche zu flüchten. Dieser Neigung folgend, schlug ich den Weg nach Notre Dame ein, denn um diese Zeit ist es in dem alten Gotteshause gewöhnlich sehr still. Wer noch niemals in Paris war, stellt sich unter dieser Kirche gewöhnlich einen großen Dom vor, aber sie zeichnet sich nur durch ihr Alter und ihre schönen, im gothischen Stil gebauten Thürme aus. Das Innere der Kirche ist würdig, die bunten Glasfenster verbreiten eine angenehme Dämmerung. Ich setzte mich auf einen Stuhl und ließ im Geiste so manche der interessanten Personen an mir vorüberziehen, deren Andenken mit der Kirche verknüpft ist, von der schönen Anna von Bretagne und Carl dem Achten bis zu Napoleon dem Dritten und der schönen Spanierin, die jetzt Kaiserin der Franzosen ist.

Das Rauschen eines seidenen Gewandes rief mich aus meinen Träumereien in die Wirklichkeit zurück. Eine schlanke, graciöse Gestalt schwebte an mir vorüber und ließ sich auf die Kniee nieder. Unwillkürlich sah ich mich nach der Beterin um, deren kleines Hütchen mich nicht verhinderte, zu bemerken, daß sie sehr jung und außerordentlich liebreizend war. Das Mädchen, denn ein Mädchen war die Unbekannte offenbar, betete aus Herzensgrunde; endlich brach es in Thränen aus. Ich kann kein Weib weinen sehen, dazu regten sich außer den Empfindungen aufrichtigen Mitleids die Gedanken des Novellisten in mir: ich las in den Thränen des jungen Mädchens einen ganzen Roman. Als ich meinen Platz verließ, stand auch die junge Dame auf; an der Kirchenthür begegnete ich ihr. Sie warf einen halb scheuen, halb zutraulichen Blick auf mich. Schelte mich, wer da will, ich that, was ich nicht lassen konnte, und fragte: „Kann ich Ihnen auf irgend eine Weise dienen, Mademoiselle?“

Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort, endlich sagte sie: „Sie sind ein Ausländer, mein Herr?“

„Ein Deutscher, Mademoiselle.“

„Ach, ich kenne und liebe die Deutschen. Ich war zwei Jahr bei einer deutschen Dame und diese war sehr gütig gegen mich. Leider ist sie seit drei Monaten todt; wenn sie noch lebte, würde ich jetzt noch bei ihr sein. Ich habe Niemanden, den ich um Rath fragen kann.“

„Vielleicht kann ich Ihnen rathen; wollen Sie mir Ihr Zutrauen schenken, so werde ich es zu rechtfertigen wissen.“

Das holde Geschöpf trocknete schnell seine Thränen und sah mich lächelnd an.

„Wollen Sie? Ja, ich glaube Ihnen, denn ich habe eben zur allerseligsten Jungfrau gefleht, mir in meiner Noth beizustehen und mir durch einen Wink zu sagen, welchen Weg ich gehen soll.“

„Gern, Mademoiselle, will ich Ihnen dienen, aber,“ ein wenig Mißtrauen regte sich doch in mir, „haben Sie, so jung und anmuthig, nicht Eltern, Verwandte oder doch Freunde unter Ihren Landsleuten?“

„Nein, mein Herr, meine Eltern habe ich nicht gekannt; ich bin im Findelhause erzogen worden und Niemand hat jemals nach mir gefragt. Als ich erwachsen war, suchten die Vorsteher der Anstalt ein Unterkommen für mich und ich wurde bei der guten deutschen Dame als eine Art von Gesellschafterin untergebracht. Bei ihr habe ich viel Gutes gelernt, sogar stricken; ja, gewiß, mein Herr, ich kann Strümpfe stricken.“ Sie lachte voll Uebermuth, dann fuhr sie ernster fort: „Die gute Dame hat mir oft gesagt, daß in Deutschland gebildete und anständige Mädchen nimmermehr Loretten würden; ist dem so, mein Herr?“

Das Mädchen sah mich mit seinen großen, blauen Augen, welche von den schönsten schwarzen Wimpern beschattet wurden, mit einer Naivetät an, welche mich in Erstaunen setzte.

„Gewiß, Mademoiselle, so ist es. Nicht alle Frauen bei uns sind tugendhaft, aber die, welche es nicht sind, schämen sich doch, dies einzugestehen.“

„Nach dem Tode der deutschen Dame,“ fuhr das Mädchen fort, „kam ich zu einer Blumenhändlerin als Ladenmädchen. Ich mußte den ganzen Tag im Laden stehen und verkaufen, der Duft der Blüthen machte mir oft peinliches Kopfweh. Vor einigen Tagen redete mich ein Herr an, welcher oft Bouquets kauft; er ist schon ältlich, ein politischer Flüchtling, ein Pole.“ Sie schlug die Augen nieder und stockte in ihrer Rede.

„Bitte, Mademoiselle, sprechen Sie weiter.“

Das schöne Mädchen seufzte: „Der Herr sagte: ‚Was für einen Lebensplan haben Sie gemacht? Wollen Sie Jahr aus Jahr ein Blumenverkäuferin bleiben, mit einem Gehalt, der eben nur hinreicht für die allernothwendigsten Bedürfnisse?‘ Ich erwiderte: ‚Freilich bekomme ich wenig, allein, mein Herr, was soll ich thun? Ich bin ohne Vermögen, ohne Empfehlungen.‘

‚Als ob Schönheit nicht der beste Empfehlungsbrief wäre!‘ lachte der Herr. ‚Beantworten Sie mir doch einige Fragen, mein Kind.‘

‚Warum nicht, mein Herr?‘ fragte ich.

‚Lieben Sie schöne Kleider?‘

‚Natürlich.‘

‚Gute Speisen, Mademoiselle?‘

‚Das eben nicht, nur schönes Obst.‘

‚Aha, Champagner, Gefrornes; weiter!‘

‚Ich liebe, in Büchern zu lesen.‘

‚Gut, Theater, Concerte, wir verstehen uns, Mademoiselle, Alles das kann ich Ihnen bieten.‘

‚Sie mein Herr?‘ sagte ich.

‚Ach nein,‘ antwortete er, ‚nur mein Mund hat dies für Sie und mein Verstand, nicht meine Börse, aber ich kenne einen Herrn, einen reichen Grafen; er will Ihnen Alles geben, sobald Sie sich entschließen, seine Gesellschafterin zu werden.‘“

Kein junges deutsches Mädchen, welches so viel Bildung besitzt, wie sie die Französin offenbar hatte, würde einem Fremden mit solcher Unbefangenheit dies entehrende Anerbieten erzählt haben.

„Nun, Mademoiselle, was gaben Sie zur Antwort?“ fragte ich sie.

„Ich sprach gar nichts, der Herr lachte und rief: ‚Ueberlegen Sie sich meinen Vorschlag, es wird Ihnen nicht sobald ein ebenso guter gemacht; morgen komme ich wieder.‘“

„Und der Herr ist wieder bei Ihnen gewesen?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_393.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)