Seite:Die Gartenlaube (1866) 432.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Es wird uns nämlich im nüchternsten Ernste angekündigt, daß dem ganzen hiesigen Kirchenwesen ein naher und gewaltiger Umsturz bevorstehe, ja, daß von dieser neuen Welt ein ganz neues Licht über die übrige Welt ausgehen werde, angekündigt bereits durch einzelne Erscheinungen seit Jahrtausenden, aber klarer erkannt und zum segensreichen Eigenthum der um die Wahrheit so lange betrogenen Menschheit erst in dieser Zeit gemacht.

Auch in Deutschland hat man von den hiesigen spiritualistischen Manifestationen nicht nur gehört, sondern man stellt – wie berichtet wird – dort neuerdings die gleichen Versuche und mit dem gleichen Erfolge an, mehr jedoch als hier sich dabei der Oeffentlichkeit entziehend. Hier wird die Sache nicht nur in zahlreichen Schriften, sondern auch in ihr ausdrücklich gewidmeten öffentlichen Blättern verhandelt, und Wißbegierige können in den Cirkeln, deren es unzählige giebt, Zutritt erhalten. Neuerdings tragen Redner und Rednerinnen die neue Lehre in begeisterten Vorträgen von Ort zu Ort. Auch in den Hallen der Gesetzgebung von Missouri hielt eine solche Rednerin im letzten Winter drei Vorträge des interessantesten Inhalts.

Da Schreiber dieses den Vorträgen der Frau Currier (dies ist der Name der Rednerin) beiwohnte, so achtet er es dem Zwecke dieser Mittheilung gemäß, etwas ausführlicher darüber zu reden. Ich muß bekennen, daß, was von allem Amerikanerthum und dessen mannigfaltigsten Erscheinungen bisher mir vor Augen und zu Ohren gekommen ist, diese Vorträge das Vollkommenste waren und unwillkürlich den Gedanken bei mir hervorriefen: eine Nation, welche solche Frauen hervorbringt und ausbildet, was auch immer sonst an ihr zu tadeln sein mag, steht doch hoch, sehr hoch und hat ohne Zweifel eine bedeutende Zukunft. Die Dame scheint vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahr alt zu sein, hat ein gefälliges und würdevolles Aeußere, in welchem edelste weibliche Sitte und Bescheidenheit sich abspiegelt, erhebt sich aber auf der Rednerbühne zu einer Bedeutung, welche im bloßen Umgange Niemand ahnen würde; sie leistet das Höchste, wozu menschliche Beredsamkeit fähig zu sein scheint. Sie betritt die Rednerbühne und setzt sich für eine Minute mit gebücktem Haupte nieder, als erwarte sie den Anhauch der Begeisterung von oben. Dann erhebt sie sich mit vollster Unbefangenheit, richtet ihr lebensvolles Auge auf die Zuhörermenge und beginnt – mit entsprechender Handbewegung – den Fluß einer Rede, die im gemessensten Vortrage etwa eine Stunde währt, in der auch nicht ein einziges Mal angestoßen, oder nach dem rechten Worte gesucht, oder ein unglücklich begonnener Satz verbessert, oder derselbe Gedanke wiederholt wird; Alles in zwar einfacher, doch so vortrefflicher Sprache, daß man über die schöne Rundung sowohl als über die treffenden Ausdrücke beständig staunt, und doch bemerkt man im Augenblick, daß dies keine memorirte Rede ist, sondern daß Alles frisch gedacht und gefühlt aus dem Innern hervorquillt.

Und was bildet den Inhalt dieser Reden? Ein schlagender Gedanke reiht sich an den andern, alle entsprossen der reinsten und edelsten Humanität. Sie stellt die ewige Wahrheit den Satzungen des Pfaffenthums, die natürliche Freiheit der tausendjährigen Knechtung, das menschenwürdige Handeln der Rohheit gegenüber, greift mit sicherer Hand da und dort in die Geschichte, mustert die gesellschaftlichen Zustände der civilisirten Nationen unserer Zeit und hält den hingerissenen Zuhörern ein Ideal vor, nicht wie der Fanatiker es aus den Wolken greift, sondern wie Alles sein kann und wird, sobald die Menschen vernünftig sein wollen. Was mehr gehört denn zum Wohle der gesammten Menschheit, als allgemeines Wohlwollen, Wahrheitsliebe und Selbstachtung, womit alle die Auswüchse beseitigt wären, welche jetzt das Dasein der Millionen verkümmern? Die Natur will uns wohl mit ihren Gaben und ihren unwandelbaren Gesetzen, – folgen die Menschen einfach ihrem Rufe!

Sie schließt mit einem nachhaltigen Gedanken und verläßt, etwas erschöpft, wie es scheint, aber in natürlichst einfacher Haltung den Rednerstuhl. Nichts Theatralisches ist in dem ganzen Vortrage, der vielmehr den Eindruck der tiefsten, auf klarstem Denken beruhenden Ueberzeugung, ja den Eindruck eines Prophetenwortes macht.

Die Dame kam nach dem Westen als Abgesandte eines spiritualistischen Cirkels in Massachusetts. Doch – so schien es – wollte sie nur den Weg bahnen für die neue Lehre und erwähnte derselben nur kurz im letzten Vortrage in dieser Weise: „Wie fast alle wahrhaft Weisen, wurde auch der große Nazarener von dem vornehmen Pöbel verfolgt und von der Menge nicht verstanden. Was er von seiner Verbindung mit dem Vater im Himmel sagt – eine Verbindung, die für uns Alle dieselbe sein sollte –, begreifen die Menschen noch heute nicht; er lehrt, daß wir von Schutzengeln umgeben sind, und erzählt wird, daß die Geister der bedeutendsten Männer seines Volkes, längst dahingeschieden, mit ihm zusammentrafen (? D. R.), man glaubt es entweder nicht, oder erklärt das ganz Natürliche für ein unbegreifliches Wunder; ebenso muß die von ihm ausgegangene Heilkraft ein Wunder sein und doch war nichts natürlicher; ist doch aller Wunderglaube eine kindische Thorheit. Bereits aber ist in diesem Lande die so lange verborgen gewesene, nur von einzelnen Begabteren (Swedenborg u. A.) geahnte Wahrheit deutlich an das Licht getreten. (? D. R.) Höchst unvollkommene Kundgebungen zogen zuerst die Aufmerksamkeit Einzelner auf sich; leider bemächtigte sich auch – und bemächtigt sich theilweise noch immer da und dort – der Betrug und Schwindel der Sache, wie ja auch mit dem Christenthume und allem an sich Vortrefflichen gemeine Schwindelei getrieben wird und von Anfang getrieben wurde. Aber von Enthüllungen untergeordneter Art kam es bald zu immer bedeutungsvolleren, bis es nunmehr gelungen ist, einen vollständigen Verkehr mit der Geisterwelt zu vermitteln (? D. R.), so daß uns, die wir die Wahrheit erkannt haben, ja sie täglich vor Augen haben können, das ganze Menschenleben mit seiner herrlichen Zukunft in so tröstlichem Lichte erscheint, wie es vordem nicht erkannt werden konnte, und daß in Zukunft an die Stelle des Wahns, der niedrigen Leidenschaft und der Rohheit ein Leben in Reinheit, in allseitigem Wohlwollen, in Hoffnung und edler Freude hingebracht treten muß. Das tausendjährige Dunkel ist bereits im Verschwinden und das neue Licht bricht mit Macht sich Bahn, so daß binnen kurzer Frist nicht nur dieses ganze Land davon erhellt sein wird, sondern seine Strahlen selbst bis in die fernsten Winkel der Erde dringen werden. (?? D. R.)

Dies waren nicht genau die Schlußworte der Rednerin, deren ich mich nicht vollständig erinnere, aber die Gedanken, mit welchen sie endigte, ohne über sich selbst ein Wort zu sagen, ja ohne irgend eine nicht durchaus zur Sache gehörige Bemerkung. Der Eindruck auf die gedrängte Zuhörerschaft war überwältigender, als ich irgend etwas der Art jemals gesehen habe. „Mehr Licht!“ schien das innigste Verlangen Aller zu sein. Da waren Gläubige von allen Secten, Deutsche, vertraut mit den neuesten Ergebnissen der wissenschaftlichen Forschung, Alte und Junge, Männer und Frauen, Alle gleich ergriffen.




So weit Herr Fr. Münch, dessen Darstellung wir mit einigen Fragezeichen zu ergänzen uns erlaubten. Es wird damit indeß nur bewiesen, daß die Frau Currier, die ihre Vorträge mit großer Geschicklichkeit producirt hat, noch in einem Mysticismus befangen ist, der in Deutschland wenigstens weit hinter uns liegt.

Die Redaction.




Ein Wink. Heute, wo ganz Deutschland von Kriegsgetümmel erfüllt ist, der Kern seiner Jugend unter den Waffen steht und der Ausbruch der thatsächlichen Feindseligkeiten begonnen hat, ohne daß man noch absehen kann, wohin sie führen, ist die Summe derer nicht klein, die, sei es um ihrer schwachen Nervenconstitution willen, sei es im Allgemeinen ihres leidenden Körperzustandes wegen, sei es aus absolutem Ruhe- und Friedens-Bedürfniß, sich mit dem Gedanken vertraut machen, Haus und Hof (oder wer solches nicht selbst besitzt, die Besorgung seiner Angelegenheiten) irgend einem mit mehr Fassung, Ruhe und größerer Nerven-Widerstandsfähigkeit ausgerüsteten Freunde und Anwalt zu übergeben und eine Gegend für den Sommeraufenthalt zu suchen, die voraussichtlich noch einige Zeit vom allgemeinen Weltbrande verschont bleiben dürfte.

In dieser Beziehung sind, wie dies die Gartenlaube bereits hervorgehoben hat, Aller Augen auf die keiner diplomatisch-abgegrenzten Partei angehörende, neutrale Schweiz gerichtet, und schon jetzt geschehen Anfragen von Deutschland aus dorthin, um im Falle des Entschlusses gehörig unterrichtet zu sein. Daß in diesem Sommer die Schweiz, die aus den Reisemonaten Juni bis October jährlich eine Einnahmequelle von vielen Millionen Franken zieht, keine brillanten Geschäfte mit den Geldbeuteln der Touristen machen wird, darüber ist man einig. Aber deshalb wird die Schweiz eben nicht ohne Fremde sein, sondern es wird sich theilweise ein Aequivalent durch die vor den Kriegsunruhen sich flüchtenden Friedensleute herausstellen, wenn es auch vielleicht seinem Gesammt-Geldumsatze nach nicht das bietet, was ein guter Reise-Sommer im Frieden dem Lande einbringen würde. Der Schweizer ist übrigens nichts weniger als Umstürzler und Revolutionär, für den man ihn noch hier und da im Auslande hält; es kann vielmehr kein friedliebenderes und conservativeres Volk in ganz Europa geben als die Schweizer, so daß der Fremde in der Schweiz unangefochtener und sicherer lebt als irgendwo anders.

Ein altes bekanntes Sprüchwort heißt: „Point d’argent, point de Suisse,“ zu Deutsch: „Kein Geld, kein Schweizer,“ was etwa so viel sagen soll, als: „Wo kein Geld zu verdienen ist, da ist auch kein Schweizer zu haben.“ An dem Worte ist Wahres und Unwahres, nicht mehr und nicht minder, als wie man sagen könnte: „Kein Geld, kein Amerikaner,“ „Kein Geld, kein Pariser, Londoner, Petersburger“ etc. etc. Die Jagd nach Geld ist allgemein und wahrlich in Deutschland nicht geringer, als anderswo. Wer auf der breiten Heerstraße läuft, nun freilich, der muß zahlen, in der Schweiz wie am Rhein und in England und überall, wo er fremd ist; aber wer einigen Anhalt hat, wer die Leute kennen lernt, der wird finden, daß es in der Schweiz nicht schlimmer ist, als anderswo.

Dies jedoch schließt nicht aus, daß derjenige, welcher die Schweiz für längere Zeit zum Aufenthalte zu nehmen gesonnen ist, vorher ruhigen Blickes, vielleicht an der Hand eines Freundes oder Landsmannes, das Terrain genau recognosciren sollte, auf dem er sich zu bewegen gedenkt. In diesem Falle wird ein Jeder, und wenn er über den allergesegnetsten Geldbeutel der germanischen Christenheit zu verfügen hätte, dennoch neben den Anforderungen, die er an Lage, Leistung und Comfort seiner Wohnung stellt, auch die financielle Seite gebührend in’s Auge fassen. Es handelt sich hier nicht darum, für eine Nacht, ein Essen oder ein Frühstück in diesem oder jenem Hotel einer Uebertheuerung auszuweichen, – auf solche muß man zur Zeit der allgemeinen Touristen-Wanderung im Voraus gefaßt sein und sie ruhig in Kauf nehmen, ohne sich im Reisegenusse stören zu lassen, – es handelt sich um einen monatlichen oder mehrmonatlichen Aufenthalt, sei es im Gasthofe oder im Pensionshause oder in der Privatwohnung, und das damit verbundene, mehr oder minder entsprechende Behagen.

Nun der Kernpunkt dieser Zeilen. Nicht Jeder hat einen Freund oder Verwandten oder Landsmann in der Schweiz, an den er sich wenden könnte, und falls er wirklich einen solchen hat, ist dieser vielleicht nicht im Fall, die umfassende Auskunft geben zu können, die man verlangt. Ich lebe seit fast zwanzig Jahren in der Schweiz und glaube, ihre Localitäten, Zustände, Einrichtungen und auch ein gut Theil ihrer Leute kennen gelernt zu haben, – sowohl solche, mit denen man frisch gerade und loyal verkehren kann, die, wie man sagt, rechte Leute sind, – als auch solche, die – anders sind.

In den letzten Wochen haben Freunde und Benutzer meines Reisebuches mehrfach an mich geschrieben und um meinen Rath gebeten. Ich denke, es ist mithin im Sinne der Tendenzen, welche die Gartenlaube verfolgt, wenn ich sage, daß ich zu gleichem Zwecke auch fernerweit zu nützen bereit bin. Also, wer meine Adresse benutzen will, sie ist: Hottingen bei Zürich.

H. A. Berlepsch.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_432.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)