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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

Scenen und Bilder aus dem Feld- und Lagerleben.
4. Das erste böhmische Quartier.


Es mag recht interessant sein, aus einem Fenster auf die vorbeimarschirenden Colonnen hinabschauen zu können, aber dem, der in dieser staubumhüllten Colonne mitmarschiren muß, sei es bescheiden zu Fuß, oder hoch zu Roß, oder auf dem Protzkasten der Kanone, ist wahrlich nicht wohl dabei zu Muthe, zumal, wenn der Marsch bereits acht Stunden gewährt hat und die Aussicht auf Ruhe sich dem sehnlichst in die Ferne schauenden Blicke noch immer nicht zeigen will. Vorauf die Infanterie mit ihren blitzenden Helmen und Gewehrläufen, mit ihrem Tambour-Major und der Janitscharen-Musik an der Spitze; dann die Cavallerie mit schmetterndem Hörnerklang und zum Schluß die Artillerie mit den Tod und Vernichtung speienden Geschützen! Das sieht Alles recht hübsch aus.

Im ersten böhmischen Quartier.
Originalzeichnung von A. Nikutowski

Wenn man aber wie wir seit dem 8. Juni theils in furchtbarer Sonnenhitze, theils in strömendem Regen tagtäglich sechs und acht Stunden die Landstraße getreten, wenn man die nicht ganz Arkadien gleichenden Gegenden von Jüterbogk, Warmbruck, Finsterwalde, Pockwitz etc. etc. mit gepacktem „Affen“ und warmen Mantel in fortwährenden Staubwolken durchwandert, Abends schlechte Quartiere bezogen und kein vernünftiges Bier gefunden, dann lernt man auch die Kehrseite des Soldatenlebens kennen. Aber, Gott sei Dank, den preußischen Soldaten verläßt der gute Humor nicht. Der gestrige Tag – wir hatten in Großhennersdorf in guten Quartieren uns erholt – hatte Vieles wieder gut gemacht und heute den 23. Juni sollte nun endlich die österreichische Grenze überschritten werden.

Kein Lüftchen regte sich, drückend, fast erdrückend lag die Sommerschwüle auf uns, vergeblich wurden die Helme gelüftet, vergeblich die Röcke aufgeknöpft, so weit das Marschreglement es erlaubte, kein kühler Wind fächelte die heiße Brust und die nasse Stirn. Die Feldflaschen waren geleert, die Marketender weit hinter der Colonne, der betäubende Duft von Hoffmann’s Tropfen, Pfefferminze und anderen Universalmitteln, der bald hier, bald dort emporstieg, war keineswegs geeignet, die ermatteten Kräfte neu zu beleben. Diese Universalmittel erfüllen ihren Zweck nur für den Augenblick, sie reizen und spannen die Nerven an, die gleich darauf um so mehr wieder erschlaffen. Die hübsche Marketenderin, die hoch oben auf dem Gepäckwagen thronte und von diesem hohen Sitzpunkte aus recht vergnügt in die Lande hinausschaute und recht mitleidig auf mich herunterschaute, reichte mir eine gefüllte Weinflasche, die ich, ohne vorher ihren Inhalt zu prüfen, unverzüglich an die Lippen setzte und zur Hälfte leerte. Sie enthielt Branntwein, einen ganz gewöhnlichen Fusel, ich entdeckte es erst, als ich die Flasche absetzte, und ich bleibe auch heute noch bei dieser Behauptung, wenn gleich auch die Marketenderin mich belehren wollte, daß ich den feinsten Batavia-Rum getrunken habe! Die Gute! Sie ahnte wohl nicht, daß in dem staubbedeckten Rocke ein Mann steckte, der das würzige Aroma des Rums in mancher Tasse Thee mit Behagen geschlürft hatte. Der Labetrunk raubte meinem Geldbeutel fünfzehn Silbergroschen, und ich kann nicht leugnen, daß meine fünf Sinne die Wirkung desselben etwas stärker empfanden, als mir lieb war. Aber ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_453.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)