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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

31 u. 32.   1866.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.    Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.



An unsere Leser!

Um die durch die Sistirung unserer Zeitschrift entstandene Störung in dem regelmäßigen Erscheinen derselben auszugleichen, sehen wir uns veranlaßt, für diesmal eine Doppelnummer (Nr. 31 und 32) zu geben. Die Verlagshandlung. 




Blaubart.
Von E. Marlitt.
(Schluß.)


Am andern Morgen saß Lilli neben Tante Bärbchen in der Frühstückslaube. Das junge Mädchen hatte den Schooß voll Myrthenzweige, die sich allmählich unter ihren Händen zu einer Brautkrone ineinanderschlangen. Nachmittags sollte die Trauung einer ihrer Freundinnen stattfinden und Lilli hatte als Brautjungfer die Sorge für den bräutlichen Kopfschmuck übernommen. Wie bleich und müde neigte sich ihr Gesicht über den vielverheißenden Kranz, auf dessen zarten Blättern die meisten Mädchenaugen endlose Weissagungen künftigen Glückes zu lesen pflegen!

Der ganze gestrige Tag und die schlaflose Nacht waren Lilli wie ein Traum vergangen, aber es war einer jener Träume, die uns unablässig durch einen Kreislauf marternder Gedanken und Gebilde jagen und die wir frohlockend abschütteln, wenn uns das süße Morgenlicht in die beruhigende Wirklichkeit zurückführt. Hier gab es jedoch kein Erwachen; das Leben und Geräusch des Tages scholl herein in den stillen Garten, und durch das Gezweig der Laube sinkend irrte ein heller Sonnenstrahl über die Stirn des jungen Mädchens… Welch’ ein Chaos widerstreitender Empfindungen hatte das Begegniß mit dem Blaubart in ihr hervorgerufen! Wie sie auch rang und sich und ihre eigene Schwäche und Charakterlosigkeit verspottete, das Gefühl eines unsäglichen Mitleidens ließ sich nicht unterdrücken. Sie fand es vollkommen unwürdig, dem Bild eines Mannes, dessen Haus ein so zweideutiges Geheimniß umschloß, auch nur für einen Augenblick Raum zu geben, und doch fühlte sie fort und fort seinen düster traurigen Blick auf sich ruhen, und ihr Gedächtniß wiederholte mit peinlicher Genauigkeit Alles, was er gesagt hatte; das aber war edel und außergewöhnlich gewesen und konnte aus keiner lasterhaften Seele kommen… Sie schämte sich vor der Tante, und – seltsam – gleichwohl stieg ein nieempfundenes Gefühl von Bitterkeit gegen die mütterliche Freundin in ihr auf; es kamen Momente, in denen sie die alte Dame des blinden Hasses anklagte, der auch sie verleitet habe zu so rauhen, zurückweisenden Antworten. Diese Antworten brannten ihr auf der Seele, ja, sie meinte bisweilen, ein böser Dämon habe sie ihr eingeflüstert. Gedachte sie aber plötzlich jenes Abends, an welchem sie den Blaubart mit der Unbekannten zusammen gesehen hatte, dann überkam sie selbst wieder ein Gefühl von Grausamkeit, dann rief sie sich prüfend und mit unbeschreiblicher Genugthuung jedes herbe Wort zurück, ob es auch ihren Mädchenstolz, ihre Unnahbarkeit gehörig an den Tag gelegt habe. Wer vermöchte alle die Regungen eines jungen Mädchenherzens zu verfolgen, das neben dem urplötzlich aufleuchtenden Strahl einer wunderbaren Seligkeit den unerbittlichen Schatten völliger Hoffnungslosigkeit erblickt?

Die Hofräthin hatte längst die Brille zusammengeklappt und auf das vor ihr ruhende, aufgeschlagene Buch gelegt; ihr Blick haftete eine Weile forschend und befremdet auf dem Gesicht des in trübes Sinnen völlig verlorenen jungen Mädchens.

„Na, Kind,“ unterbrach sie endlich die lautlose Stille in der Laube, „wer’s nicht wüßte, daß Du da einen Brautkranz bindest, der müßte d’rauf schwören, es sei ein Andenken für den Gottesacker! … Wie siehst Du denn aus? Ein schönes Hochzeitsgesicht das!“

Lilli war bei den ersten Worten jäh emporgefahren, und die von der Hofräthin auf Lippen und Wangen vermißte Farbe kehrte für einen Moment hochaufglühend zurück.

„Ich habe freilich auch so meine eigenen trüben Gedanken gerade bei dem Kranz da,“ fuhr Tante Bärbchen fort, als die Angeredete schwieg; „ist er doch erzwungen und ertrotzt worden von den Eltern, die nun einmal die Wahl ihrer Tochter für eine unglückliche halten. Das hat böse, böse Auftritte gegeben in dem Hause! … Ich weiß nicht, zu meiner Zeit war das ganz anders; da hatte man mehr Respect vor der Einsicht der Eltern und, ich meine auch, man liebte sie mit mehr Aufopferung.“

Ihre großen, grellen Augen verschleierten sich und schweiften achtlos über den Garten hinweg weit, weit hinaus in die Ferne, aber nicht in das sonnige Blau, dessen äußerster Saum in einem zart rosigen Duft zerschmolz, in die längst versunkene Jugend irrten sie zurück, und es mußte ein wehmüthiger Moment sein, auf welchem sie ruhten, denn um die Lippen schwebte ein trauriges Lächeln.

„Ich hatte meinen Vater über die Maßen lieb,“ hob sie von Neuem an, „ich hätte ihn nicht betrüben mögen, um Alles in der Welt nicht! … Es giebt mir jetzt noch jedesmal einen Stich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_481.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2019)