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verschiedene: Die Gartenlaube (1866)

fünfthalb Jahrhunderten außerhalb Deutschlands – wie in diesem Augenblick das ganze Oesterreich selbst! – Die Wittelsbacher haben eine Gedenksäule errichtet auf der öden Stätte, wo einst ihre Wiege stand; doch sind sie noch Herren dieses Bodens. – Nur Hohenzollern prangt wieder neu in alter Pracht, steht noch auf deutschem Boden und trägt noch heute Fahne und Wappen seines alten Geschlechts. Süddeutsche Männer, wollen die Blicke Euch trüb werden vor diesen Bildern, so versöhne uns ein Wunsch, der jedes deutsche Herz erfüllt! Wenn den Hohenzollern gelingt, was weder den Habsburgern, noch den Welfen und Wittelsbachern gelang, wenn sie überhaupt je darnach gestrebt haben, das seit Jahrhunderten zerrissene Vaterland durch Einheit mächtig und durch Freiheit glücklich zu machen, so wollen wir aus bloßer Heimathwehmuth keine solche Ruine mehr betrauern, denn über alle Fürstenburgen geht unser Wunsch: „Gott segne Deutschland!“




Englische Sonderlinge.


Englische Sonderlinge haben mitunter zu den dankbarsten Figuren und Rollen in deutschen Reisenovellen und Lustspielen gehört. Wir verlangen nicht viel von ihnen in der Wirklichkeit. Ein langer Brite mit wasserblauen Augen, übermäßigen Vatermördern, schiefgeknöpfter Weste, in Nanking oder große schottische Carrés von Kopf bis zu Füßen gekleidet, einen Wasserdichten als

John Marley’s Einsiedelei.

Ueberrock, Lorgnette und unser Bild ist fertig; jedoch den Regenschirm nicht zu vergessen, den man unter die „angeborenen“ Eigenschaften eines Engländers rechnen kann. Solchen Figuren ist man auf deutschen Bahnhöfen begegnet. Man sieht sie auch in Paris auf den Boulevards in gleichem Reisecostüm. Das sind jedoch Sonderlinge, die sich nur im Auslande so präsentiren. In England würde in einer nur einigermaßen belebten Straße kein Brite in so auffälliger Tracht erscheinen; auch das „God dam!“ verstieße durchaus gegen den gewöhnlichsten guten Ton. Man hört es fast nur von Engländern im Auslande. Mehr als ein englischer Zeitungscorrespondent hat diese Marotten in Briefen an seine Londoner Zeitung gerügt, weil sie den Ausländern einen ganz falschen Begriff von „John Bull at home“, dem „Engländer zu Hause“ beibrächten.

In England wird der Sonderling nicht öffentlich erkennbar. Die Einförmigkeit des gesellschaftlichen oder, viel richtiger gesagt, ungesellschaftlichen Lebens kleidet auch die Absonderlichen in das allgemeine Grau, denn nichts wird mehr gescheut, als mit der eigenen Person Aufsehen zu erregen. Wie der Engländer Alles mit Ernst anfaßt, so ernsthaft betreibt er auch die Sonderbarkeiten, und ein Sonderling will nie als solcher erscheinen. Eitelkeit giebt ihm die Marotten nicht ein. Er zieht sich in sich selbst zurück, um sich selbst zu gefallen, und wird Einsiedler, was am allerleichtesten in London ist, denn in dieser Millionenstadt weiß die eine Hälfte der Einwohner kaum, wie die andere lebt. Niemand stört denjenigen, welcher sich der Einsiedlerschaft ergiebt. Nach dem Urtheile mancher Leute ist Freiheit die höchste Potenz „völliger Ungeschorenheit“, und diese Leute müssen ihr Ideal in London finden. Nur in Processen tauchen mitunter solche Einsiedler an das Tageslicht, wenn z. B. Hauswirthe gegen sie klagbar werden, wie folgender ergötzliche Fall beweist. Vor dem Richter erschien in diesem Sommer eine alte Dame in höchster Aufregung. Sie vermochte, äußerster Entrüstung voll, ihre Klage kaum zu stammeln und es währte eine Weile, bevor es zu folgendem verständlichem Dialoge kam.

Richter. Sie klagen gegen Charlotte N. wegen Störung des Hausfriedens, und doch räumen Sie ein, daß Sie dieselbe seit sechs Monaten nicht gesehen und ebensowenig einer der andern Miether in Ihrem Hause.

Klägerin. Es ist unerhört, unerhört in einem christlichen Lande! Wahr, sie hält sich eingeschlossen und ist die ruhigste Person von der Welt. Nahrungsmittel werden ihr durch die Thür gereicht und sie wirft das Geld, in Papier gewickelt, durch die Spalte. Aber ich habe keine Ruhe bei Tag und Nacht. Das gackert und kräht und schnurrt in ihren Zimmern und das Wasser strömt durch die Decke auf meine schönen Brüsseler Teppiche. Sie hält Hühner im Hinterzimmer und läßt Enten im Salon schwimmen. Alle Bitten und Vorstellungen sind vergebens. Es ist unerhört in einem christlichen Lande!

Richter. Bezahlt sie Ihnen die Miethe?

Klägerin. Auf die Minute.

Richter. Es ist hier kein Bruch des Hausfriedens erwiesen. Ihr Fall gehört nicht vor diesen Gerichtshof. Der einzige Rath, den ich Ihnen geben kann, ist, bei dem Polizeihof eine Exmission gegen Ihre Mietherin zu beantragen. Dann können Sie in einigen Wochen von derselben befreit sein.

Klägerin. In einigen Wochen? In der Zeit können die Enten noch Junge bekommen.

Richter. Dem ist nicht abzuhelfen.

Klägerin. Und das nennt man Gerechtigkeit? O ich weiß, das wird noch mein Tod sein!

Um dieselbe Zeit war es, daß eine ganze erregte Nachbarschaft, die verschiedensten Stände vereinigend, in corpore gegen eine andere Einsiedlerin klagbar wurde, die sich seit Jahren in ein Haus und in die Thierwelt zurückgezogen. Es handelte sich dabei um einen originellen altjüngferlichen Sport. Mit einem Paar Katzen hatte die Verklagte vor mehreren Jahren ein Haus bezogen und dort in völliger Einsamkeit aus diesem einen Paar nicht weniger als einhundertundvierzehn Katzen gezüchtet, deren musikalische Exercitien nach dem alten deutschen Gedichte[WS 1] bekanntlich „Steine erweichen und Menschen rasend machen können“. Bei diesem Proceß kam es zu einem Vergleich. Die Katzenliebhaberin gab ein volles Hundert ihrer Zöglinge auf und behielt nur einige auserlesene Stammhalter. So hat bis zur nächsten Entwickelung natürlicher Multiplication die Nachbarschaft jener Lady Ruhe.

Eine andere weltmüde Dame vertheidigte ihre Einsiedelei mit einer Schaar Bulldoggen, denen sie mehrere Zimmer eingeräumt und welche sie, wie vor Gericht zur Erwähnung kam, „nur mit dem zartesten jungen Geflügel nährte“. Auch hier lag eine vierjährige

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Magnus Gottfried Lichtwer, „Die Katzen und der Hausherr“
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1866). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1866, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1866)_517.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)